22. April 2024, 20:02 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Eins steht fest: Das sogenannte „Vogelgrippe-Virus“ H5N1 sollte nicht unterschätzt werden. Zwar besteht derzeit keine unmittelbare Bedrohung, dass das Virus auf Menschen überspringen kann – ein mögliches Pandemiepotenzial bleibt es jedoch trotzdem. Bereits vor einem Jahr lag eine erhöhte Aufmerksamkeit wegen der Ausbreitung des Virus vor und auch jetzt schlägt die WHO erneut Alarm.
Ein akuter Ausbruch hatte im Jahr 2020 begonnen und den Tod dutzender Millionen Geflügelnutztiere zur Folge gehabt. Vier Jahre später hat sich die Lage weiterhin verschlechtert, da das Virus immer mehr auf andere Tierarten übergeht – was auch eine Infektion mit einem Menschen nicht ausschließen würde. Besteht jetzt eine Gefahr?
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Übersicht
Was ist die „Vogelgrippe“?
Das Virus H5N1 ist unter mehreren Namen bekannt, wobei die gängigsten „Vogelgrippe“ oder „Geflügelpest“ sind. Verursacht wird sie durch Influenzaviren vom Typ A, wodurch sie auch als „Aviväre Influenza“ bezeichnet wird. Für gewöhnlich sind Wildvögel die Überträger. Dabei befinden sich die wenig ansteckenden Viren meistens in ihrem Magen-Darmtrakt oder den Atemwegen. Die betroffenen Vögel selbst erkranken schwach oder gar nicht daran. Man vermutet, dass wenn sich Hausgeflügel infizieren sollten, die Viren in eine aggressivere Form mutieren und sich somit mehr ausbreiten können.
Wie infizieren sich die Tiere?
Es wird angenommen, dass eine Übertragung auf Hausgeflügel stattfindet, indem die Tiere Kontakt mit dem Kot infizierter Vögel haben oder sich die Viren bei den Tieren über die Schleimhäute einnisten können.1
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Vogelgrippe: Der Stand vor einem Jahr
Aufgrund der Ausweitung der Vogelgrippe letztes Jahr hielt die Angst vor einer möglichen Übertragung auf den Menschen an. „Das ist kein Anlass zur Panik“, sagte die Direktorin der WHO-Abteilung für die Vorbereitung auf Infektionsgefahren, Sylvie Briand, 2023 in Genf. „Aber wir müssen prüfen, wie gut wir vorbereitet sind.“
Beunruhigende Meldungen
Zudem grassierte die Vogelgrippe in nicht bekanntem Ausmaß: Außer in Australien und der Antarktis gab es auf allen Kontinenten Nachweise. Zig Millionen Tiere starben, insbesondere Seevögel. Ebenfalls besorgniserregend war der Fakt, dass das Virus bei rund 30 Säugetierarten entdeckt worden war. Darunter fielen Nerze, Füchse, Waschbären, Marder, Bären und andere Tiere, die infiziert und getötet wurden. Auch bei einem Schweinswal in der Ostsee wurde im Jahr 2022 eine Infektion mit dem Virus nachgewiesen, wie Timm Harder vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) bei Greifswald mitgeteilt hatte.
Höheres Risiko auch für Menschen möglich
„Das Virus breitet sich nicht nur aus, es überspringt auch leichter die Artenschranken“, sagte Briand. „Das stellt ein höheres Risiko auch für Menschen dar.“ Je stärker ein Virus sich ausbreite, desto höher sei auch die Gefahr, dass es sich verändere und für den Menschen gefährlicher werden könne.
Der WHO wurden seit den ersten tödlichen H5N1-Fällen bei Menschen in Hongkong 1997 insgesamt 873 Fälle gemeldet. 458 der Infizierten starben, sagte der niederländische Virologe Ron Fouchier. Er warnte aber davor, daraus abzuleiten, dass das Virus beim Menschen oft zum Tod führt. Denn Ansteckungen ohne oder mit milden Symptome würden in der Regel nicht gemeldet und daher bei der Berechnung nicht gezählt werden.
Notfallpläne für Pandemie überprüfen
„Eine Pandemie steht vielleicht nicht direkt vor der Tür, aber es wäre keine schlechte Idee, die Notfallpläne zu überprüfen“, sagte er. Bei der H5N1-Entwicklungslinie 2.3.4.4b wurde nach Angaben des Friedrich-Loeffler-Instituts ein Todesfall bei Menschen erfasst: Im Oktober 2023 starb eine 38-jährige Chinesin nach Kontakt zu infiziertem Hausgeflügel.
Vollständige Impfstoffentwicklung noch nicht möglich
Vergangenes Jahr waren bereits Vorarbeiten für einen Impfstoff für potenzielle Massenimpfungen gelaufen, sagte Richard Webby vom St. Jude Kinderkrankenhaus in Memphis in den USA. Aber ohne die genaue Art zu kennen, die sich im Menschen vermehren kann, sei es nur möglich, die ersten Bausteine für Impfstoffe anzufertigen.
Das Ebola- und das Mpox-Virus sowie höchstwahrscheinlich auch das Coronavirus Sars-CoV-2 waren alle von Tieren auf den Menschen übergesprungen. Dementsprechend kam die Frage auf, warum die Gefahr solcher Zoonosen wachsen würde. „Das hat mit dem menschlichen Verhalten zu tun“, sagte Tierärztin May Hokan von der Umweltstiftung WWF der Deutschen Presse-Agentur.
Mögliche Gefahr von Zoonosen
Abgesehen von der Gefahr für den Menschen war die Wissenschaft auch so über die Ausbreitung des Virus unter Wildvögeln besorgt: Das Drama sei, dass das Virus viele Arten befalle. „Es löscht ganze Kolonien aus, wir müssen mit schweren Folgen für die Biodiversität rechnen“, sagte Wildtier-Expertin Ursula Höfle von der Universität Kastilien-La Mancha in Spanien in einem früheren WHO-Seminar.
Die Ausweitung der Wohngebiete, des Straßennetzes, die Entwaldung – das schränke den Lebensraum wilder Tiere immer mehr ein. Wichtig seien mehr Schutzgebiete als Rückzugsraum für Wildtiere.
WHO trieb One-Health-Ansatz voran
Die WHO verlangte zudem, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt auf allen Regierungsebenen viel stärker zusammen gedacht werden müsste. So trieb sie den Ansatz One Health (Eine Gesundheit) mit der Vernetzung mit den UN-Organisationen für Agrar (FAO), Umwelt (UNEP) und Tiergesundheit (WOAH) voran und hatte Regierungen in aller Welt aufgerufen, diesen Grundsatz in ihrer eigenen Politik umzusetzen.
Sie sei zuversichtlich gewesen, dass dieses Bewusstsein nach der Covid-Pandemie auch in der deutschen Politik angekommen sei, sagte Hokan. „Es wird sich zeigen, wie das umgesetzt wird“, sagte sie.
Tierhaltung muss geändert werden
Mareike Petersen vom Verein ProVieh forderte zudem auf, dass die Tierhaltung dringend geändert werden müsste und das auf kleinere Gruppen. Das verringere die Ausbreitung von Krankheiten und erlaube den Tieren arteigene Verhaltensweisen auszuleben: freies Laufen, Flattern und ungestörtes Ruhen.
Die Bedeutung der Geflügelhaltung hielt auch FLI-Experte Harder für zentral. Dort gebe es die größten Schnittstellen mit dem Menschen und das Risiko, dass das Virus direkt auf den Menschen überspringe. „Wir dürfen nicht nachlassen in unseren Aktivitäten, dem Virus auf der Spur zu bleiben und vor allen Dingen die Infektionen aus Haltungen – klein oder groß – herauszuhalten“, sagte er der „dpa“. Er leitet das Nationale Referenzlabor für Aviäre Influenza am Friedrich-Loeffler-Institut.
Wie war die Situation in Deutschland?
In Deutschland war das Infektionsgeschehen geringer als bei früheren Infektionswellen. Das konnte ein Hinweis auf eine Teilimmunität sein, die sich inzwischen bei einigen Vögeln herausgebildet hatte. Jahrelang grassierte die Vogelgrippe hierzulande im Zusammenhang mit dem Vogelzug nur saisonal. Zuletzt gab es ganzjährig Infektionen. Das FLI registrierte letztes Jahr etwa 20 bis 40 Fälle bei Wildvögeln in Deutschland pro Woche. „Erstmal deutet sich da kein Nachlassen an“, sagte Harder.
Derzeitige Lage: Wie sieht es heute aus?
Nun ein Jahr später nach dem letzten Erkenntnisstand schlägt die WHO erneut Alarm. Denn der Erreger der Vogelgrippe ist auf immer mehr Tierarten übergegangen. Aufgrund dessen, dass das H5N1-Virus nicht nur Vögel befällt, kam es inzwischen zu einer weltweiten „Tierpandemie“. Somit würde auch die Gefahr wachsen, dass eine Ansteckung mit dem Mensch möglich wäre – genauso wie der Fakt, dass der Mensch als Überträger fungieren könnte.
Erste Infektionen bei Kühen und Ziegen
Bereits im März 2024 kam es zu einer Erweiterung der Liste der befallenen Tierarten: Das Vogelgrippe-Virus ist bei Kühen und Ziegen festgestellt worden.
Kann sich das Virus unter Menschen ausbreiten?
Bislang schlägt die WHO noch keinen Alarm, dass sich das Virus unter Menschen ausbreiten kann. Allerdings gibt es mehrere 100 Fälle, bei welchen sich Menschen bei infizierten Tieren mit dem Virus ansteckten. Gefährlich dabei ist, dass solche Infektionen extrem oft tödlich verlaufen: Von 2003 bis zum 1. April 2024 wurden laut WHO weltweit in 23 Ländern 889 Fälle von Infektionen bei Menschen aufgezeichnet, von denen 463 tödlich verliefen, was einer Sterberate von 52 Prozent entspricht.
Zudem gab es diesen Monat die Meldung, dass sich ein Mensch im US-Bundesstaat Texas durch Kontakt mit einer Milchkuh mit dem Virus infiziert hatte. Dabei wäre es laut der WHO der erste Fall, in welchem eine Übertragung von einem Säugetier auf den Menschen stattgefunden hat.2
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Bislang keine Fälle in Deutschland
Auch wenn es in Deutschland noch keine Erkrankungen des Menschen mit der Vogelgrippe gab, ist dennoch Vorsicht angesagt. Es wird geraten Schutzmaßnahmen zu ergreifen, gerade, wenn man im engen Kontakt mit Geflügel- oder Nutztieren arbeitet, die vielleicht infiziert sein könnten. Somit kann das Risiko einer Übertragung auf den Menschen minimiert werden. Das Robert Koch-Institut schätzt eine Infizierung des Menschen mit Vogelgrippe durch ein anderes Säugetier als relativ gering ein.3
*Mit Material von dpa