12. Oktober 2023, 20:14 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Gewicht verlieren ohne Hungern und Schwitzen? Ein Traum für viele. In jüngster Vergangenheit haben Abnehmspritzen wie Ozempic so schnell an Popularität gewonnen, dass es sogar zu Lieferengpässen kam. Doch jedes Medikament geht mit Nebenwirkungen einher. FITBOOK-Redakteurin Sophie Brünke erklärt, warum die Wunder-Spritze nicht so traumhaft wirkt, wie es scheint.
Übergewicht und Adipositas haben längst epidemische Ausmaße angenommen, insbesondere in Europa und Amerika. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind fast 60 Prozent der Erwachsenen und fast jedes dritte Kind in Europa betroffen.1 Nicht verwunderlich, dass zu immer radikaleren Maßnahmen gegriffen wird. Begonnen hat der Trend der Abnehmspritzen in den USA, seit Juli 2023 ist der darin enthaltene Wirkstoff Semaglutid auch in Deutschland zugelassen. Zunächst wurde Semaglutid für die Diabetes-Therapie freigegeben (Handelsname: Ozempic), inzwischen wird er auch bei Adipositas (Handelsnamen: Wegovy, Novo Nordisk) eingesetzt.2 Kann damit die Adipositas-Epidemie wirksam bekämpft werden? Nur zu einem hohen Preis: der eigenen Gesundheit. Denn es werden immer mehr heftige Nebenwirkungen von Abnehmspritzen wie Ozempic bekannt.
Übersicht
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Wie funktionieren Abnehmspritzen?
Der Wirkstoff Semaglutid gehört zur Gruppe der GLP-1-Rezeptoragonisten. Es wirkt ähnlich wie das körpereigene, appetithemmende Hormon GLP-1 (Glucagon-like Peptid 1). Wöchentlich gespritzt oder täglich als Pille eingenommen, regt der Wirkstoff die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse dazu an, Insulin freizusetzen, wodurch der Appetit und die Geschwindigkeit der Magenentleerung gezügelt wird.
Agonisten sind in der Medizin kein Neuland, sie werden seit Jahren wirksam in der Diabetes-Therapie eingesetzt, um den Blutzuckerspiegel zu senken. Doch eine Studie im Jahr 2021 stellte fest, dass Semaglutid auch übergewichtigen Erwachsenen, die nicht an Diabetes erkrankt sind, beim Abnehmen hilft. Probanden, die eine Semaglutid-Behandlung erhielten, hatten einen um 12,4 Prozent höheren Gewichtsverlust, als die Kontrollgruppe.3
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Spritze gegen den Wohlstandsbauch? Stars befeuern den Trend
Einen Ernährungsberater aufsuchen oder mit einem Personal Coach trainieren? Einige Stars scheinen auf dem harten Weg der Gewichtsabnahme einen Abkürzer nehmen zu wollen. Obwohl Semaglutid nur bei starkem Übergewicht zur Therapie angewendet werden sollte, missbrauchten auch Prominente die Abnehmspritze. Allen voran Tech-Milliardär Elon Musk: Er berichtete stolz, er habe 13 Kilogramm Gewicht durch das Medikament verloren.4 Anschließend entbrannte ein Hype in den sozialen Medien. Inzwischen zählt das Hashtag „Ozempic“ unglaubliche 1,3 Milliarden Aufrufe auf TikTok.
Die Folgen: Hersteller meldeten Lieferengpässe wegen der extrem hohen Nachfrage und Fälschungen des Medikaments schwemmen den Markt.5
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Die heftigen Nebenwirkungen von Ozempic und Co.
Jedes Medikament hat Nebenwirkungen. Diese können günstig ausfallen und als sogenannte „erwünschte Nebenwirkung“ genutzt werden. Sie können jedoch auch sehr gefährlich für die Gesundheit werden, sodass Mediziner sorgfältig abwägen müssen, was sie ihren Patienten verschreiben. Bei Semaglutid wurde bereits in der Vergangenheit bekannt, dass es womöglich Schilddrüsenkrebs auslösen könnte (FITBOOK berichtete).
GLP-1-Agonisten führen zu schweren Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts
Eine kanadische Studie hat nun weitere verheerende Nebenwirkungen von Ozempic und anderen Präparaten festgestellt. Die Kohorten-Studie betrachtete 5411 Patienten. Darunter befanden sich 4757 Probanden, die regelmäßig ein Medikament der Wirkstoffklasse der GLP-1-Agonisten einnehmen (Semaglutid und Liraglutid). Die restlichen Probanden wurden zum Vergleich herangezogen: Sie nahmen ebenfalls ein gewichtsreduzierendes Medikament namens Bupropion-Naltrexon ein, dieses beeinflusst jedoch nicht den GLP-1-Rezeptor.6
Es wurden vier Krankheitsbilder betrachtet:
- Erkrankungen der Galle
- Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse)
- Darmverschluss
- Gastroparese (Lähmung des Magens und verzögerte Magenentleerung)
Hinsichtlich Gallenerkrankungen gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. Die Nebenwirkungen von Ozempic und anderen GLP-1-Agonisten erhöhten jedoch das Risiko, an einem der anderen drei Organe zu erkranken: Die Verwendung von GLP-1-Agonisten war im Vergleich zu Bupropion-Naltrexon erhöhte das Risiko für Pankreatitis um neun Prozent, das für Darmverschluss um 4,2 Prozent und jenes für Gastroparese um 3,7 Prozent.
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Was, wenn ich die Abnehmspritze trotzdem ausprobieren möchte?
Der Hype um Abnehmspritzen zieht zwangsläufig auch eine ethische Frage mit sich: Wie weit sind Menschen bereit zu gehen, um ihren Wohlstandsbauch loszuwerden und einem Schönheitsideal zu entsprechen? Womöglich wird der Ozempic-Hype auch dadurch befeuert, dass das vorherrschende Idealbild aktuell von einer kurvigen Kim Kardashian durch den wiederkehrenden „Heroin-Chic“ der 90er-Jahre abgelöst wird.
Fest steht allerdings: Wer nicht die Kriterien erfüllt, die eine Behandlung mit Semaglutid notwendig machen, missbraucht das Medikament und gefährdet die eigene Gesundheit durch die drastischen Nebenwirkungen. Deshalb sollten Sie sich keinesfalls eigenständig mit der Abnehmspritze behandeln. Wenn Sie medikamentöse Unterstützung für einen Gewichtsverlust benötigen, sprechen Sie am besten mit einem Endokrinologen oder Diabetologen.
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Quellen
- 1. World Health Organization (WHO). (2022). WHO Eurpean Regional Obesity Report 2022. (aufgerufen am 12.09.2023)
- 2. Deutsches Ärzteblatt. Adipositastherapie: Erstmals ein wirksames Abnehmmedikament. (aufgerufen am 12.09.2023)
- 3. Wilding, J. P. H., Batterham, R. L., Calanna, S et al. (2021). Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity. The New England Journal of Medicine.
- 4. Elon Musk. Tweet am 2. Oktober 2022. (aufgerufen am 12.10.2023)
- 5. Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg. Dringende Warnung vor Fälschungen des Arzneimittels Ozempic. (aufgerufen am 12.09.2023)
- 6. Sodhi, M., Rezaeianzadeh, R., Kezouh, A. et al. (2023). Risk of Gastrointestinal Adverse Events Associated With Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonists for Weight Loss. Jama.