12. Juli 2023, 11:11 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Pfeifen, Zischen, Rauschen, Klingeln – hatten Sie schon mal einen Tinnitus? Für das lästige Ohrensausen gibt es vielerlei Behandlungen, deren Wirksamkeit nicht immer belegt ist. Wissenschaftler der Universität Michigan haben nun eine Erfolg versprechende Methode entwickelt.
Unter Tinnitus (lat. tinire für „klingeln“) versteht man die Wahrnehmung von Geräuschen im Ohr, die ohne äußere Reize auftreten. Diese Wahrnehmungsstörungen sind für die körperliche Gesundheit zwar ungefährlich, können für Betroffene jedoch eine große Belastung darstellen. Wenngleich die ursächlichen neuronalen Mechanismen hinter dem Ohrensausen gründlich erforscht sind, ist die Entwicklung von wirksamen Therapiemethoden eine Herausforderung. Ein Team von US-Forschern testete nun erfolgreich spezielle Kopfhörer, welche akustische und elektronische Reize abgeben.
Ablauf der Studie
Verantwortlich für die Entstehung von Tinnitus ist eine Überaktivität des dorsalen Cochleakerns (DCN) im Hirnstamm. Im DCN werden akustische Reize mit weiteren Sinneswahrnehmungen verknüpft. Dementsprechend handelt es sich beim Tinnitus nicht um eine reine Erkrankung des Hörsinns. Die meisten Patienten leiden an der subjektiven Form des Tinnitus. Hierbei verändern sich die Störgeräusche im Ohr, wenn Betroffene ihren Kopf oder Hals bewegen.
Das Forschungsteam testete mit der Studie eine „bisensorische“ Behandlung. Dabei setzen ein Kopfhörer und zwei Elektroden akustische sowie elektronische Reize, wodurch die Aktivität im DCN gemindert werden soll. Die Abfolge der Reize ist dabei individuell auf den Patienten angepasst. Jeder Teilnehmer erhielt einen Prototyp des Geräts für die Anwendung zu Hause.
An der klinischen Studie nahmen 99 Probanden teil. Eingeschlossen wurden Teilnehmer, die an einem subjektiven Tinnitus litten, normalen bis mittelschweren Hörverlust aufwiesen, sowie keine anderen Behandlungsmethoden in den letzten sechs Monaten getestet hatten. Die Teilnehmenden wurden in zwei Behandlungsgruppen eingeteilt und der Untersuchungszeitraum in zwei Phasen unterteilt:
- In der ersten Phase der Studie wurde Behandlungsgruppe 1 für sechs Wochen mit der bisensorischen Methode behandelt. Die tägliche Anwendung dauerte 30 Minuten. Behandlungsgruppe 2 diente als Kontrollgruppe. Auch wenn sie Kopfhörer und Elektroden in Ohrnähe befestigten, blieb der elektronische Reiz aus, sie bekamen lediglich den akustischen Reiz. Da der elektronische Reiz nicht spürbar ist, wussten die Probanden nicht, welcher Behandlungsmethode sie zugeordnet waren („doppelblindes“ Studiendesign).
- In einer zweiten Phase wurden die Methoden für erneute sechs Wochen zwischen den Gruppen getauscht. Die Studie endete mit einer dreimonatigen Nachuntersuchung.
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Ergebnisse der Studie
Bereits nach der ersten Phase reduzierte sich der Tinnitus in der Behandlungsgruppe 1 signifikant. Durch die bisensorische Therapie nahmen die Probanden ihren Tinnitus im Schnitt nur noch halb so laut wahr, wie vor der Behandlung. Folglich verbesserter sich auch ihre Lebensqualität. Nach Beendigung der Therapie hielt der Effekt bis zu 36 Wochen an. Gleichzeitig konnte dieser Effekt in der Kontrollgruppe, welche eine lediglich akustische Reize erhielt, nicht beobachtet werden.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass eine individuell auf den Patienten zugeschnittene, bisensorische Behandlung bei Erwachsenen mit subjektivem Tinnitus wirksam ist. Es handelt sich um einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung von Therapieverfahren.
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Einschränkungen der Studie
Da bei Tinnitus häufig ein hoher Leidensdruck besteht, ist es möglich, dass bei den Probanden durch die Aussicht auf Symptomlinderung ein Placebo-Effekt eingesetzt hat. Allerdings sind die Autoren der Studie der Meinung, dass dieser Effekt lediglich einen Teil des beobachteten Effekts ausmacht. Zum einen, da jeder Proband eine individuelle Behandlung erhalten hat, zum anderen, weil die anfängliche Euphorie durch die tägliche Prozedur des Reinigens, Anlegens und ruhigen Sitzens während der 30-minütigen Behandlung abgemildert wurde.
Da es sich zudem um eine doppelblinde Studie handelt und es einen signifikanten Unterschied in der Reduktion des Tinnitus zwischen Behandlungsgruppe 1 und 2 gab, ist es wahrscheinlich, dass die aktive Behandlung der Hauptfaktor für den therapeutischen Nutzen war.
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Quelle
- Jones, G., Martel, D., Riffle, T. et al. (2023). Reversing Synchronized Brain Circuits Using Targeted Auditory-Somatosensory Stimulation to Treat Phantom Percepts: A Randomized Clinical Trial. JAMA Network Open.