12. Oktober 2019, 9:44 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
«Mist, schon Mitternacht – und ich bin immer noch wach.» Dann ist es eins, dann zwei, dann plötzlich Morgen. Wer das jede Nacht mitmacht, kann ernsthaft krank werden. Doch es gibt Gegenmittel.
Jeder schläft mal schlecht, kein Thema. Doch wer nie gut schläft, für den gibt es bald kein anderes Thema mehr – und darunter leidet langfristig auch die Seele.
Chronische Schlafstörungen können sogar Depressionen verursachen, sagt Ulrich Voderholzer, Chefarzt für Psychosomatik und Psychotherapie an der Schön Klinik Roseneck. Ein Gespräch über Wecker auf dem Nachttisch und gefährliche Gedankenkarusselle.
Herr Voderholzer, dass Schlafmangel nicht gut für die Gesundheit ist, wissen die meisten vermutlich. Warum ist Schlaf auch wichtig für die Seele?
Prof. Ulrich Voderholzer: „Schlechter Schlaf kann seelisch krank machen. Chronisch schlechter Schlaf hat zunächst die bekannten Folgen wie Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und missmutige Stimmung.
Er kann aber auch das Risiko von Depressionen und von Suchterkrankungen fördern. Menschen, die chronisch schlecht schlafen, neigen zum Beispiel dazu, Alkohol zu trinken oder Beruhigungsmittel einzunehmen. Das ist aber kontraproduktiv.“
Schlechte Laune, weil man schlecht geschlafen hat – das kennt jeder. Aber wie wird daraus eine Depression?
Voderholzer: „Schlafstörungen sind häufig Symptom einer Depression – da stellt sich natürlich die Frage, was die Henne und was das Ei ist. Es ist aber zweifelsfrei belegt, dass Schlafstörungen ohne Depression das Risiko einer späteren Depression fördern.
Die Betroffenen fühlen sich tagsüber beeinträchtigt, hilflos gegenüber dem allnächtlichen Problem, ziehen sich oft zurück, engen sich gedanklich ein, grübeln viel und entwickeln oft ungünstige Schlafgewohnheiten wie einen sehr unregelmäßigen Schlafrhythmus. Und das sind alles Risikofaktoren für Depressionen.“
Die Gedanken kreisen nur noch um das Problem Schlaflosigkeit.
Voderholzer: „Genau. Ich unternehme abends nichts mehr, weil mich das nur aufregt und ich dann nicht schlafen kann – solche Gedanken sehen wir oft bei den Betroffenen. Wenn man sich aber dauernd mit dem Schlaf beschäftigt, ist das eher kontraproduktiv.
Der Ärger darüber macht eher wach und noch mehr angespannt. Und Schlaf wird autonom reguliert, das heißt er lässt sich nicht willentlich erzwingen, genau wie die Verdauung.“
Wann spricht man von chronischen Schlafstörungen?
Voderholzer: „Von Schlafstörungen spricht man, wenn sie länger als vier Wochen in mindestens drei Nächten pro Woche bestehen – und wenn sie gleichzeitig, und das ist ganz wichtig, negative Auswirkungen auf den Tag haben. Von chronischen Schlafstörungen spricht man, wenn die Betroffenen über Monate und Jahre daran leiden.
Wenn man nicht durchschläft oder länger zum Einschlafen braucht, sich tagsüber aber topfit fühlt, würden wir gar nicht von Schlafstörungen sprechen. Tatsächlich ist es bei Erwachsenen sogar ganz normal, wenn man nachts immer wieder mal kurz wach ist.“
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„Mist, ich kann nicht schlafen.“ Wenn ich merke, dass ich auf diesem Gedankenkarussell gelandet bin, was mache ich dann?
Voderholzer: „Es gibt allgemeine Empfehlungen der sogenannten Schlafhygiene. Ein wichtiger Aspekt ist, dass man einen regelmäßigen Rhythmus einhält. Menschen mit chronischen Schlafstörungen haben das oft nicht: Die gehen dann manchmal sehr früh zu Bett und verbringen viel Zeit im Bett – dadurch wird dann automatisch auch die Wachliegezeit länger.
Oder sie neigen dazu, dass sie morgens lang schlafen oder den verpassten Schlaf tagsüber nachholen wollen. Das vermindert den Schlafdruck und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit, in der Folgenacht wiederum schlecht zu schlafen. Das ist nicht gut. Man braucht einen festen Aufstehzeitpunkt morgens, den man einhält.“
Und wenn das Gedankenkarussell sich dann doch dreht?
Voderholzer: „Das Loslassen von der gedanklichen Beschäftigung kann man üben. Das geht mit Entspannungstechniken und Achtsamkeitsübungen. Und eine wichtige Empfehlung ist, nachts nicht auf die Uhr zu schauen, den Wecker richtig aus dem Gesichtsfeld zu verbannen. Bei einigen Patienten führt schon diese kleine Änderung zu einer deutlichen Verbesserung.“
Gibt es Risikogruppen – also Menschen, die solche Schlafstörungen eher entwickeln als andere?
Voderholzer: „Ja. Das sind zum Beispiel Menschen, die sehr ängstlich oder perfektionistisch sind. Die können oft abends schlechter abschalten – weil sie sich Gedanken machen, was sie am nächsten Tag alles machen müssen.
Schwere Konflikte, zum Beispiel in einer Partnerschaft oder am Arbeitsplatz sind oft Auslöser für Schlafstörungen, sowie Traumatische Erlebnisse. Menschen mit den schwersten Schlafstörungen sind oft Menschen, die ein Trauma erlitten haben.
Und natürlich müssen körperliche Ursachen von Schlafstörungen ausgeschlossen werden. Das können zum Beispiel nächtliche Atemstörungen, neurologische Erkrankungen oder hormonelle Störungen wie Schilddrüsenerkrankungen sein.“
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Wie funktioniert der Zusammenhang von Trauma und Schlaflosigkeit?
Voderholzer: „Traumata führen in der Folge zu einem sogenannten Hyperarousal, also einer Art ständigem inneren Alarm. Die Balance zwischen den wachmachenden und schlaffördernden Systemen im Gehirn ist ständig im Ungleichgewicht.“
Jeder von uns kennt das, wenn er einen extrem aufregenden Tag hat, dass er abends nicht zur Ruhe kommt – das haben viele Menschen nach schweren Traumatisierungen jeden Tag. Behandelt man in solchen Fällen die zugrundeliegende Erkrankung oder die Schlafstörung?
Voderholzer: „Bei einer psychischen Erkrankung als Ursache der Schlafstörung sollte eine spezialisierte Behandlung erfolgen. Wenn der Schlaf extrem schlecht ist, ist von Beginn an eine begleitende Behandlung der Schlafstörung sinnvoll, weil die Schlafstörung das psychische Befinden noch weiter verschlechtern kann. Wenn die Menschen besser schlafen, fühlen sie sich oft stabiler.“
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Man kann gutes Schlafen also auch wieder lernen?
Voderholzer: „Genau. Neben einem regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus sollte man auf weitere Punkte achten: Alkohol zum Beispiel nicht als Schlafmittel zu verwenden, kein Koffein nach 14.00 Uhr, Einschlafrituale, eine entsprechend gestaltete Atmosphäre im Schlafzimmer, regelmäßige körperliche Aktivität und sich viel dem Tageslicht aussetzen.
Gerade ältere Menschen sind oft den ganzen Tag in geschlossenen Räumen und schlafen oft tagsüber ein, was sich ungünstig auf die Nacht auswirkt.“
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Und was, wenn das nichts bringt?
Voderholzer: „Dann gibt es andere Wege. Aber, und das ist mir wichtig: Diese allgemeinen Regeln der Schlafhygiene sind oft sehr wirksam – wenn man sie über längere Zeit, das heißt mindestens ein bis zwei Wochen konsequent anwendet. Das führt bei den meisten Menschen schon dazu, dass sie besser schlafen.
Wenn das nicht hilft, zum Beispiel weil eine psychische Erkrankung oder ein schweres Trauma besteht, dann kann eine Psychotherapie oder bei einer schweren Depression auch medikamentöse Therapie notwendig sein.“