8. August 2021, 18:03 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Um Freunde empfinden zu können, müssen wir über die Nahrung bestimmte Aminosäuren aufnehmen. Unser Gehirn bildet dann daraus u.a. Serotonin, bekannt als Glückshormon. Warum es sich manchmal lohnt, die natürlich vorkommende Serotonin-Vorstufe 5-HTP als Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen, hat FITBOOK von dem Münchner Serotonin-Experten Dr. Alexander Römmler erfahren.
Schlecht gelaunt, reizbar, ängstlich, schlaflos und das alles scheinbar ohne nennenswerten Grund. Wer ein bisschen dazu im Internet recherchiert, findet schnell eine erste Diagnose: Ein Mangel des Glücksbotenstoffs Serotonin in Körper und Gehirn. Dazu auch das etwas sperrig klingende Gegenmittel namens 5-HTP – eine Aminosäure und Serotonin-Vorstufe, welche als Nahrungsergänzungsmittel rezeptfrei in der Apotheke oder via Internet erhältlich ist und schon nach kurzer Zeit Besserung der Symptome verspricht. Was ist dran? FITBOOK klärt auf.
Übersicht
- Wie verbreitet ist Serotoninmangel?
- Mögliche Symptome eines Serotoninmangels
- Wie hängen 5-HTP und Serotonin zusammen?
- In welchen Lebensmitteln steckt 5-HTP?
- Wie wirkt 5-HTP?
- Serotonin und Melatonin
- Dosierungsempfehlung von 5-HTP
- Woran erkennt man hochwertiges 5-HTP?
- Kein Allheilmittel gegen Depressionen
- Fazit
Wie verbreitet ist Serotoninmangel?
Der Münchner Endokrinologe Dr. Alexander Römmler forscht seit über 20 Jahren zu Serotonin und den damit verbundenen Vorgängen in Körper und Gehirn. „Ich stelle bei jedem vierten meiner Patienten einen erheblichen Serotoninmangel fest“, sagt der Hormonexperte gegenüber FITBOOK. „Auch Symptome wie Ängstlichkeit, Unbehagen, Unsicherheit, schlechte oder gänzlich ausbleibende Träume, das heftige Verlangen nach Zucker oder Suchtmittel wie Nikotin oder Alkohol, Zwangshandlungen bis hin zu Panikattacken deuten bereits darauf hin. Genau messen lässt es sich erst durch eine Blutanalyse.“
Mögliche Symptome eines Serotoninmangels
Serotonin ist nicht nur die chemische Basis für ein echtes Glücksgefühl; dieser Botenstoff ist an zahlreichen Stoffwechselprozessen beteiligt. Er reguliert den Fettstoffwechsel, spielt beim Muskelaufbau eine Rolle, unterstützt die Wundheilung, reguliert den Blutdruck oder regeneriert die Leber. „Im Körper ist alles miteinander Verbunden und steht in Wechselwirkung. Serotoninmangel drück nicht nur auf die Stimmung, auch der Körper wird krank.“ Wenn also die Seele leidet – und sei es nur in Form einer leichten, aber dauerhaft anhaltende Verstimmung – ist das für den Mediziner nicht etwas, das man aushalten müsse – sondern ein ernsthaftes Signal. Dazu zähle ebenso das Phänomen Winterdepression, worunter schätzungsweise jeder fünfte Deutsche Jahr für Jahr leide.
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Wie hängen 5-HTP und Serotonin zusammen?
Ganz vereinfacht erklärt: Von den 22 verschiedenen Aminosäuren, die wir über die Nahrung aufnehmen, hat eines den Namen L-Tryptophan. Bis daraus ein Serotoninmolekül entsteht, muss zunächst 5-HTP gebildet werden. Als Serotonin-Vor-Vor-Stufe hat L-Tryptophan keinen leichten Stand: Zum einen steht es mit den anderen Aminosäuren in Konkurrenz, zum anderen bedarf es komplizierter Stoffwechselprozesse, an dessen Ende das gewünschte Glücks- oder auch Wohlfühlhormon entsteht, welches sich schließlich als Botenstoff zwischen den Hirn-Synapsen als ein Gefühl der Freude bemerkbar macht.
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Gerät in diesem Prozess etwas aus der Balance, sei es beispielsweise durch Stress oder schlechte Ernährung, werden die Serotoninspeicher nicht ausreichend gefüllt. Ein niedriger Serotoninspiegel macht es schwer, sich heiter und ausgeglichen zu fühlen – da helfen langfristig weder Shopping-Touren, Urlaubsreisen noch sonstige, künstlich herbeigeführte, freudige Ereignisse. Denn: Serotonin ist nicht verantwortlich für die totale Ekstase, den ultimativen Kick, das schnelle, leicht verpuffende Glück – es ist jene Substanz, die für innere Stabilität sorgt: eine behagliche und vor allem beständige Gelassenheit.
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In welchen Lebensmitteln steckt 5-HTP?
Ist der Serotoninmangel einmal da, ist es laut Römmler unmöglich, diesen allein durch L-Tryptophan-haltige Nahrung (z.B. Fisch, Fleisch, Eier) wieder in den Griff zu bekommen. Doch mit 5-HTP (L-5-Hydroxytryptophan) stelle die Natur ein großartiges „Helferlein“ bereit. In hohen Mengen komme es zum Beispiel in der der Afrikanischen Schwarzbohne vor; als Extrakt wird es in Kapselform angeboten.
Wie wirkt 5-HTP?
„5-HTP ist die direkte Vorstufe zu Serotonin und damit einen großen Schritt weiter als L-Tryptophan. Es ist eine Art Fahrstuhl, der Darm und Blut-Hirn-Schranke ohne große Verluste und Gegenspieler passiert, sodass bis zu 90 Prozent davon zu Serotonin umgewandelt werden“, erklärt Römmler. Was der Hormonexperte durch seine Forschung weiß: Dass es mit der Synthese von L-Tryptophan zu Serotonin oft so hapert, hat auch oft genetische Gründe. „Diesen Menschen fehlt ein wichtiges Enzym, das dank 5-HTP dann nicht mehr benötig wird.“
Serotonin und Melatonin
Serotonin ist nicht das Ende des besagten komplizierten Entstehungsprozesses: Jeden Abend sendet die eintretende Dunkelheit das Signal, Melatonin für den bevorstehenden Schlaf zu produzieren. Dieses holt sich das Gehirn aus dem vorhandenen Serotonin – es wird regelrecht abgezwackt. Sei davon wenig vorhanden, kommt laut Römmler, was kommen müsse: Eine unbändige Lust auf Zucker, vielleicht ein Glas Wein oder eine Zigarette. „Solche Verlangen sind Reaktionen darauf, das weggeschnappte Serotonin durch eine schnelle Ersatzbefriedigung wieder auszugleichen.“ Ein Phänomen, das fast jedem vertraut vorkommen dürfte. Und es zeigt einmal mehr: Ein zufriedener Geist und ein guter Schlaf hängen eng miteinander zusammen.
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Dosierungsempfehlung von 5-HTP
Die genaue Dosierung hänge davon ab, zu welchem Ergebnis die Blutabnahme geführt hat, so Römmler. „Bei leichten Verstimmungen empfehle ich, morgens mit 50 Milligramm und abends noch einmal mit 50 Milligramm zu beginnen. Schon nach drei bis vier Wochen macht sich nicht nur eine Veränderung in der Psyche bemerkbar, auch im Blut lässt sich dann ein wieder gesunder Serotoninspiegel nachweisen.“ Was das genau bedeutet: Weniger Angst, weniger Heißhunger, weniger Sorgen, weniger das Gefühl nicht zu genügen, dafür mehr Selbstsicherheit. „Meine Patienten berichten, dass sie endlich wieder lebendige Träume haben und kleine Hürden sie nicht mehr so aus der Bahn werfen.“
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Woran erkennt man hochwertiges 5-HTP?
Für den Hormonexperten ist 5-HTP gegenüber Psychopharmaka (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, auch SSRI genannt) die bessere Wahl. Und tatsächlich wurde die aus der Griffonia-Bohne extrahierte Aminosäure in den 70er- und 80er-Jahren als verschreibungspflichtiges Medikament gegen Depressionen eingesetzt. Dann wurde das Präparat vom Markt genommen und trat vor einigen Jahren als freiverkäufliches Nahrungsergänzungsmittel wieder in Erscheinung.
Für Dr. Karen Hirsch-Ernst, Leiterin der Fachgruppe „Ernährungsrisiken, Allergien und neuartige Lebensmittel“ am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), liegt genau da das Problem: „Rechtlich gesehen unterliegen Nahrungsergänzungsmittel dem Lebensmittelrecht, sie sind Lebensmittel.“ Das bedeutet: Solche Präparate unterliegen keiner Zulassungspflicht, haben keine Beipackzettel und können auf den Markt gebracht werden, ohne, dass eine Behörde die Sicherheit geprüft hat. „Die Qualität, des Herstellungsprozesses und die tatsächliche Zusammensetzung der Inhaltsstoffe können sich von Produkt zu Produkt stark unterscheiden“, erklärt Hirsch-Ernst. Falsch dosiert würden Übelkeit und Kopfschmerzen drohen, im schlimmsten (aber äußerst seltenen) Fall ein Serotoninsyndrom: Ein akut lebensbedrohlicher Zustand, der durch einen Serotoninüberschuss erzeugt wird.
Die Ernährungsexpertin rät deshalb, 5-HTP nicht blind aus dem Internet zu bestellen, um sich damit auf eigene Faust zu therapieren, sondern das Vorhaben immer mit einem Arzt abzusprechen und überwachen zu lassen. Dieser wisse auch, welches Produkt den höchsten medizinischen Nutzen hat.
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Kein Allheilmittel gegen Depressionen
Wer vermutet, an einer Depression zu leiden, sollte ohnehin immer zuerst einen Arzt oder Therapeuten aufsuchen, da sind sich beide Experten einig. Und auch wenn die Wirkung von 5-HTP in zahlreichen Studien bereits gut nachgewiesen worden ist, sei es nicht der Serotoninmangel allein, der das Leben schwer mache. Dahinter stehen meist negative Verhaltensmuster, eine ungesunde Lebensweise, Stress oder oder ein traumatisches Ereignis in der Vergangenheit.
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Fazit
Unter Anleitung und Aufsicht kann 5-HTP als erster Schritt der biochemischen Komponente einen Schubs in die richtige Richtung geben, sodass der Patient sich mental stark genug fühlt, die anderen Baustellen anzugehen. Stimme der Serotoninspiegel wieder, stimme es auch wieder an der Basis, ist Römmler überzeugt. „Danach können wir überlegen, mit welche Maßnahmen und Therapieformen wir weitermachen.“