31. Juli 2024, 20:22 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Zu den typischen Geräuschen bei einem Tennis-Match gehört – neben dem Aufprallen des Balls auf Schlägerbespannung und Platz – häufig auch ein lautes Stöhnen. Als Zuschauer kann man sich schon mal fragen, was diese irritierenden Laute bringen sollen. Und genau darauf haben Forscher spannende Antworten gefunden. FITBOOK-Autorin Laura Pomer erläutert die Studienergebnisse.
Beim einen klingt es wie bei manchen im Schlafzimmer, andere kreischen wie am Spieß: Es kann schon ziemlich befremdlich wirken, wie und in welcher Lautstärke Spieler beim Tennis in Aktion stöhnen. Irritierend finden das nicht nur viele Zuschauer, sondern auch einige Profis. Was das Stöhnen – auch „Grunting“ genannt – wirklich bringt, lesen Sie hier.
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Übersicht
Auch Tennisprofis können das Stöhnen nicht leiden
Unter anderem Martina Navratilova (67), eine der erfolgreichsten Tennisspielerinnen aller Zeiten, hat sich im Wimbledon-Halbfinale 1992 bei der Schiedsrichterin darüber beschwert, wie laut ihre Gegnerin Monica Seles stöhnte. Und auch Tennislegende Roger Federer (42), welcher 2022 seine Karriere beendete, hat öffentlich gemacht: Er könne ein Stöhnen bei seinem Gegner bis zu einem gewissen Grad tolerieren, „aber es gefällt mir nicht, wenn es zu laut wird oder in Schlüsselmomenten vorkommt. Das ist unsportlich.“
Warum wird trotzdem auf dem Platz gestöhnt? Das sagen Wissenschaftler
Handelt es sich beim Stöhnen tatsächlich um eine Ablenkung des Gegners und sorgt für einen Wettbewerbsvorteil des „Stöhnenden“? Dieser Frage ist ein Forscherteam um Dr. Florian Müller und Prof. Dr. Rouwen Cañal-Bruland vom Institut für Sportwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena auf den Grund gegangen. Details zu der 2019 publizierten Studie wurden auf der Online-Fachzeitschrift „PLOS ONE“ veröffentlicht.1 FITBOOK hatte zum Veröffentlichungszeitpunkt darüber direkt mit einem der Verantwortlichen gesprochen.
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Vor- oder Nachteil – was bringt Stöhnen beim Tennis wirklich?
„An der Studie haben insgesamt 31 Tennisspieler eines regionalen Clubs teilgenommen“, berichtet uns Dr. Müller. Alle von ihnen seien Männer gewesen, die auf Amateurniveau spielten, und zwar „im Schnitt durchschnittlich zweimal pro Woche.“ Außerdem konnten sie durchschnittlich 14,5 Jahre Spielerfahrung vorweisen. Ihnen wurden Szenen aus dem professionellen Tennis vorgespielt, auf denen Bälle – unter Stöhnen – geschlagen wurden. Die Studienteilnehmer sollten daraufhin den Auftreffpunkt möglichst genau angeben. Um zu ermitteln, inwieweit die Lautstärke des Stöhnens das Urteil der Probanden beeinflusste, manipulierten die Forscher den Regler.
Je lauter gestöhnt wird, desto weiter fliegt der Ball
Je lauter das Stöhnen (von den Forschern eingestellt) war, das den Schlag begleitete, desto größer die Distanz, die der Ball zurücklegte. So lautete die Einschätzung der Probanden. Dr. Müller hält für denkbar, dass sie „die physiologischen Vorteile“ durch das Stöhnen berücksichtigt haben, die sie aus eigener (Tennis-)Erfahrung kennen dürften.
Diese Ergebnisse decken sich mit denen älterer Studien, bei welchen erfahrene sowie unerfahrene Tennisspieler durch das Tragen von Ohrstöpseln eine verminderte Leistung zeigten und die Flugbahn des Tennisballs schlechter voraussagten.2,3
Auch das Geräusch des Schläger-Ball-Kontakts nimmt Einfluss
In einer weiteren Studie von Müller aus 2022 wurde untersucht, inwieweit das Geräusch des Schläger-Ball-Kontakts die Einschätzung der Ballgeschwindigkeit beeinflusst.4 Hierbei wurden 24 Teilnehmern mit und ohne Tenniserfahrung kurze Videos von Tennisballwechseln gezeigt, die beim Schläger-Ball-Kontakt verdeckt waren. Die Kontaktgeräusche des letzten Schlags waren entweder vorhanden oder fehlten. Sahen die Teilnehmer die Videos mit Ton, schätzten sie die Ballflugbahnen länger und die Ballgeschwindigkeiten höher, als wenn sie ohne Ton abgespielt wurden.
Um zu überprüfen, ob dieser Effekt erhalten bleibt, wenn der Sportkontext fehlt, wurde das Experiment wiederholt. Dieses Mal sahen die Teilnehmer nur einen sich bewegenden Kreis vor einem leeren Hintergrund. Sinustöne ersetzten die Schläger-Ball-Kontaktgeräusche. Erstaunlicherweise zeigten sich hier durch das Weglassen des Tons keine Fehleinschätzung der Flugbahn, wohl aber der Geschwindigkeit. Die Ergebnisse beider Experimente zeigen, dass der Einfluss akustischer Informationen auf die Erwartung, wie ein Ball bzw. Kreis sich bewegt, nicht allein durch die Geräusche selbst bestimmt wird, sondern auch durch den Kontext.
Es kann festgehalten werden: Nicht visuelle Reize allein sind entscheidend für die Leistung eines Tennisspielers, auch das Gehör trägt zum Erfolg bei. Wichtig ist das Zusammenspiel beider.
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Warum stöhnt man überhaupt?
Ob beim Tennis oder bei anderen Aktivitäten und Anstrengungen: „Betrachtet man einschlägige Studien zum Thema, scheint Stöhnen tatsächlich die Kraftübertragung zu optimieren“, erklärt der Sportpsychologe. Er bezieht sich dabei unter anderem auf eine Untersuchung aus dem Jahr 2014. Diese fand unter der Leitung des Wissenschaftlers Dennis G. O’Connel an der Hardin-Simmons-Universität im texanischen Abilene statt.5 Durch Stöhnen, also starkes Ausatmen, sollen sich Kräfte mobilisieren lassen – etwa durch Aktivieren der Bauchmuskeln. „Insofern hat man damit einen Vorteil“, schließt Dr. Müller, „oder besser gesagt, man vermeidet einen Nachteil.“ Zumindest, was das Körperliche anbetrifft.
Wenngleich Stöhnen kraftvollere Schläge ermöglichen soll – man bringe man sich damit nicht uneingeschränkt in eine bessere Position. „Schließlich liefert man dem anderen Informationen zur Schlaghärte, was dieser wieder für sein eigenes Spiel nutzen kann.“ Allerdings sehen Dr. Müller und seine Kollegen auch die Möglichkeit, dass der Stil des Stöhnens bewusst verändert werden könnte, um das Gegenüber zu täuschen. „Die Spieler könnten versuchen, tief zu stöhnen, obwohl sie einen leichten Schlag ausführen. Oder sie könnten ihr Stöhnen unterdrücken, wenn sie einen starken Schlag ausführen“, schildert er im Gespräch mit FITBOOK.