13. Mai 2019, 7:03 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Schritt für Schritt zur Selbsterkenntnis: Wandern macht glücklich, weil man dem Hamsterrad des Alltags buchstäblich davonläuft. Auf den Gipfel muss man es dafür nicht unbedingt schaffen – nur still sollte man sein.
Der eine wandert, um es auf den Gipfel zu schaffen. Der nächste für die körperliche Fitness. Und manch einem geht es vor allem um das erste Bier danach.
Doch Wandern kann auch ganz elementar glücklich machen, unabhängig vom Ziel – weil der Mensch sich dabei auf sich konzentrieren kann. Das sagt der Philosoph und Autor Albert Kitzler, der ein Buch zu dem Thema geschrieben hat („Vom Glück des Wanderns“).
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Herr Kitzler, macht Wandern glücklich?
Albert Kitzler: „Ja, aber natürlich nicht jeden und nicht immer. Es gibt beim Glück keine Patentrezepte, das wäre zu einfach. Es gibt aber viele Elemente eines glücklichen Lebens, die sich in der praktischen Philosophie ebenso wie beim Wandern finden. Die Frage ist nur, was der Einzelne daraus macht.“
Welche Elemente sind das – wie funktioniert das Glück durch Wandern genau?
Kitzler: „Man kommt zum Beispiel aus dem Hamsterrad raus, aus dem Stress beruflicher, gesellschaftlicher oder familiärer Verpflichtungen. Wandern schafft eine Stille und Distanz zum Alltag – und gibt uns so Gelegenheit, einmal ganz in Ruhe auf uns selbst und unser Leben zu schauen. Es kommt hinzu, dass Wandern in der Natur stattfindet. Da gibt es Gerüche, Geräusche, klare Luft oder schöne Aussichten, die etwas in uns auslösen – wir werden auf unsere natürlichen Wurzeln verwiesen.“
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Stille und Selbstreflexion klingt allerdings so, als sollte man am besten alleine wandern.
Kitzler: „Für den Blick auf mich selbst kann das in der Tat besser sein. Wenn ich in der Gruppe wandere und Alltagsgespräche führe, kommt es häufig weder zur Distanz noch zur inneren Einkehr. Aber natürlich kann ich auch dabei inspirierende Gespräche führen. Und auch in der Gruppe kann ich mich einmal zurückfallen lassen, 30 Minuten allein laufen, mich den Eindrücken hingeben und besinnen.“
Wie lange muss ich mindestens wandern, um diese Glückserfahrung zu machen?
Kitzler: „Fünf Minuten in den Park zu gehen, kann auch schon wohltuend sein und uns auf andere Gedanken bringen. Das ist aber etwas anderes. Zum guten Wandern gehört schon Distanz und Dauer, es müssen aber nicht immer Sieben-Stunden-Wanderungen sein. Zwei Stunden reichen auch schon, denke ich – alles darunter ist eher ein längerer Spaziergang. Das ist wie bei der Meditation, bei der ich mit zunehmender Dauer häufig tiefer eindringe und andere Bewusstseinszustände erreiche.“
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Muss ich das üben, dieses Wandern zur Selbstreflexion?
Kitzler: „Das mag individuell verschieden sein. Aber ich glaube nicht, dass es beim Wandern viel Übung braucht, um mir selbst näher zu kommen. Auch eine erste längere Wanderung kann schon eine Revitalisierung der körperlich-mentalen Kräfte und damit neue Ideen und nachhaltige Anregungen bringen.“
Wenn ich danach nicht völlig erledigt bin. Wie wichtig ist körperliche Anstrengung für ein Wandern, das glücklich macht?
Kitzler: „Das physische Element spielt eine nicht unwesentliche Rolle. Anstrengung setzt Glücksbotenstoffe im Körper frei, die auch mental zu einer Belebung führen und neue Perspektiven eröffnen können. Man kennt das ja, dass man in euphorischen Momenten die Welt oft ganz anders sieht. Erschöpfungszustände braucht man dazu aber nicht.“
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Und wie wichtig ist es, dass ich beim Wandern ein Ziel erreichen, den Gipfel oder eine bestimmte Kilometermarke?
Kitzler: „Selbst gesteckte Ziele zu erreichen, ist gut für das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl – das ist beim Wandern wie bei jedem anderen Sport. Die Selbststeuerungskräfte werden gestärkt. Es kann aber auch ein falscher Ehrgeiz ausgelöst werden, über den man wichtige Ziele aus den Augen verliert: in Ruhe zu sich zu kommen und sich seiner wesentlichen Bedürfnisse wieder bewusst zu werden, Dinge im Kopf zu ordnen und innerlich aufzuräumen. Ich selbst biege auch oft genug vor dem Gipfel ab, wenn ich spüre, es hat gereicht und gut getan.“