6. November 2018, 15:00 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Einen Monat lang durch Indien reisen? Super Idee, aber leider anstrengender, als ich dachte. Der Verkehr: reiner Psychoterror. Die Luft: schlecht. Die Hitze: unerträglich. Schon nach ein paar Tagen in Delhi hatte ich genug von Indien. Doch dann flüchtete ich in den Himalaja und entdeckte die heilsame Wirkung von Ayurveda. Was es damit auf sich hat und warum es der einzige Grund ist, weshalb ich nach Indien zurückkehren würde, lesen Sie hier.
Ich hatte schon lange überlegt, nach Indien zu reisen, um mal wieder eine neue Kulturerfahrung zu machen. Doch wiederholt rieten mir Menschen, die dort schon waren, davon ab. Das Land sei anstrengend, die meisten kehrten völlig erschöpft von ihrer Indienreise zurück. „Nach Indien brauchst du erst mal Urlaub“ – so die gängige Meinung in meinem Bekanntenkreis. Da ich ein Jahr zuvor eine Backpacker-Rundreise durch Vietnam gut überstanden hatte, wagte ich mich trotzdem dorthin.
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Doch Indien ist eine ganz andere Nummer. Speziell die Megametropolen wie Delhi und Mumbai. Was mich persönlich am meisten fertig machte, war das ständige Gehupe auf den Straßen. Eine derartige Geräuschkulisse habe ich vorher nicht erlebt. Für mich unerträglich laut, für Inder völlig normal.
Nach ein paar Tagen Delhi war mir klar: So werde ich meine Indien-Reise nicht überstehen. Ich hatte schon überlegt einfach abzubrechen und in ein anderes Land weiterzufliegen. Doch dann empfahl mir ein israelischer Backpacker, in den kühleren Norden des Landes zu reisen, nach McLeod Ganj.
Der kleine Ort liegt auf etwa 1.800 Metern Höhe, am Fuße des Himalaja in dem Bundesstaat Himachal Pradesh. Hier wohnt auch der Dalai Lama seit seiner Flucht aus Tibet, weswegen McLeod Ganj auch ein spiritueller Pilgerort für Buddhisten aus aller Welt ist. Aber selbst an diesem Ort herrschen Trubel und Verkehrschaos. Die vielen Touristen tragen ihren Teil dazu bei.
Mein innerer Akku war leer – ich musste Energie tanken
Für mich war wichtiger, was sich um den Ort herum befindet: kleine Dörfer mit sogenannten Zentren, die Yoga, Meditation und Ayurveda anbieten. Doch bevor ich sie entdecken konnte, entschied ich mich spontan und völlig unvorbereitet für eine geführte Drei-Mann-Tour in den Himalaja. Und die hatte es in sich: von 1.800 auf 4.300 Meter sollte es gehen. In weniger als zwei Tagen. Das war selbst für mich, der locker zehn Kilometer am Stück – allerdings auf dem Flachland – joggt, zu viel. Und ausgerechnet beim Aufstieg am ersten Tag erwischte mich eine Magen-Darm-Verstimmung. Schließlich kapitulierte mein Körper am zweiten Tag auf etwa 3.500 Metern Höhe.
Die Oberschenkel brannten höllisch, ich litt unter Kurzatmigkeit, mein innerer Akku war leer, nichts ging mehr. Während der Bergführer mit dem zweiten Backpacker weiter nach oben zog, wanderte ich mit letzter Kraft allein hinunter. Selten zuvor war ich derart erschöpft gewesen: körperlich, aber auch mental. Ich wusste, ich musste Energie tanken und mich richtig erholen. Aber wie?
Ich fing an, nach einem Yoga- oder Meditationskurs zu suchen. Aber dann wurde mir klar: Du hast von Yoga keinerlei Ahnung und bräuchtest erst mal einen Intensivkurs, um die Grundlagen zu erlernen. Außerdem würden meine ausgelaugten Muskeln diesen Spaß nicht mitmachen. Und Meditation schien mir auch nicht das Richtige, denn nicht nur mein Geist, sondern vor allem auch mein Körper brauchte Zuwendung.
Zufällig traf ich bei meiner Suche auf eine junge Frau, die gerade eine Ausbildung in einem Ayurveda-Zentrum absolvierte. Sie empfahl mir, dort einen Termin zu machen, es sei toll und würde mir weiterhelfen. Mir war überhaupt nicht klar, was Ayurveda ist. Ich wollte einfach nur massiert werden.
Was ist eigentlich Ayurveda?
Tatsächlich handelt es sich bei Ayurveda um eine alternative Medizinform, die ihren Ursprung bereits 2.000 Jahre vor Christus hat. Deswegen war ich irritiert, als mich zunächst ein Arzt untersuchte, bevor ich meine heiß ersehnte Massage bekam: Er schaute sich nicht nur die Zunge und die Augen an, sondern tastete auch meine inneren Organe ab. „Was geht denn hier ab?“, dachte ich mir, ließ mich aber darauf ein. Schließlich ging es mir schlecht – und ich wollte die Massage.
Dann interviewte mich der Arzt: Was ich beruflich mache, ob ich Sport treibe, wie ich generell so lebe und was für ein Typ Mensch ich denn bin. Auch über meine Familie fragte er mich ein wenig aus. Als er erfuhr, dass ich Journalist bin, merkte ich, dass er ernster und vorsichtiger wurde. Journalisten sind ja grundsätzlich Skeptiker, und Ayurveda hat viel mit Glauben zu tun. Für mich also, der weder religiös ist, noch an wissenschaftlich unbestätigte Behauptungen glaubt, war das alles tatsächlich sehr skurril.
Obwohl ich nicht danach gefragt hatte, stellte mir der Arzt nach seiner Analyse eine Diagnose aus. Meine empfindlichen Organe seien die Lunge, die Leber und der Darm. Ich sei leicht übersäuert und gestresst. Mein Energiehaushalt war aus dem Gleichgewicht. Ja, zumindest der letzte Teil der Diagnose war mir schon klar.
Empfehlung des Arztes: Massagen, Umarmungen, Streicheleinheiten
Seine Empfehlungen an mich schrieb der Arzt auf zwei DIN-A4-Blättern auf: Ich sollte aus meinen täglichen Routinen ausbrechen, körperlich immer aktiv bleiben, mir Massagen, Umarmungen und Streicheleinheiten gönnen. Zudem sollte ich öfter kleine Portionen essen, hauptsächlich warme Speisen, viel Wasser trinken und mir ein Hobby suchen. Alles irgendwie Tipps, die man jedem Menschen für ein gesundes und erfülltes Leben geben kann. Dennoch fand ich es schön, daran noch mal erinnert zu werden.
Besonders den Hinweis, mich selbst mal zu streicheln und umarmen zu lassen, fand ich interessant. Ganz unabhängig davon, ob ich persönlich einen Mangel empfand oder nicht: Es ist nachgewiesen, dass bei Umarmungen und Berührungen das „Kuschelhormon“ Oxytocin und das „Glückshormon“ Serotonin ausgeschüttet werden. Das baut Stress ab und lässt uns entspannen. So etwas hatte mir ein westlicher Arzt noch nie „verschrieben“.
Die drei Lebensenergien: Vata, Pitta und Kapha
Der Arzt ordnete mich – nicht zu Unrecht – dem sogenannten Vata-Typ zu, der zu Verdauungsstörungen neigt. Dabei muss man wissen: Es gibt noch den Pitta-Typ, der zu einer schnellen Verdauung und Heißhunger neigen soll, sowie den langsam verdauenden und zu Übergewicht neigenden Kapha-Typ.
Vata, Pitta und Kapha sind darüber hinaus die drei sogenannten Doshas. In der ayurvedischen Medizin bezeichnet man damit die drei Prinzipien des Lebens, beziehungsweise die drei unterschiedlichen Lebensenergien. Sie sollten immer im Gleichgewicht zueinander stehen. Durch Faktoren wie Stress und seelische Probleme können diese aus der Balance geraten. Dann gilt es, die geschwächten Energien wieder zu stärken und so das Gleichgewicht wiederherzustellen.
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Noch mehr zu Vata, Pitta & Kapha
„Vata gilt als das Bewegungsprinzip, dem die Elemente Wind, Luft und räumliche Weite zugeschrieben werden. Pitta ist das Stoffwechselprinzip, dem Feuer und Wasser angehören. Kapha wiederum ist das Strukturprinzip mit den Elementen Erde und Wasser.“–
Vereinfacht gesagt: Es kommt auf die Balance im Leben an, es geht darum, sich um Körper und Geist zu kümmern, sich gesund zu ernähren und mögliche Stressfaktoren zu minimieren. Daraus folgt, dass man nicht in ein Ungleichgewicht fallen sollte, beispielsweise durch zu viel Arbeit oder Probleme, die einen erdrücken. Die Ayurveda-Lehren sollen helfen, genau diese Balance zu erreichen und zu halten – oder bei Bedarf wiederherzustellen.
Vorsicht bei Ayurveda-Medikamenten
Ayurveda ist eine sehr große, allumfassende Lehre und wird in Indien wie klassische Medizin über fünf Jahre lang studiert. Egal, wie man zu den Methoden stehen mag und ob die Wirkung von Behandlungen nachweislich hilft oder nicht: Ayurveda basiert auf vielen Lebensweisheiten, Erfahrungen und einer philosophischen Lebensbetrachtung. Und die Art und Weise, wie der Arzt mich analysierte und einschätzte, zeugte auf jeden Fall von einer sehr guten Menschenkenntnis.
Dennoch muss man vorsichtig sein, auf welche Behandlungsmethoden man sich einlässt. So warnt die Verbraucherzentrale, dass beispielsweise die Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, die in der ayurvedischen Medizin angewendet werden, auch Schwermetalle enthalten können. Es wird empfohlen, „beim Einkauf auf Produkte mit ISO 9001-Standard und/oder dem Prüfzeichen des BDHI zu achten“.
Überraschenderweise gab mir der Arzt auch eine Liste mit Nahrungsmitteln mit, die für mich gut und weniger gut seien. Einige von ihnen habe ich tatsächlich schon aus schlechter Erfahrung in den letzten Jahren gemieden.
Abhyanga-Massage für Körper und Seele
Nun aber zu der Massage, die für mich persönlich das Wichtigste – und Schönste – an Ayurveda war. Der Arzt verschrieb mir für drei Tage jeweils eine dreistündige Behandlung. Diese bestand aus einer Ganzkörpermassage, einem Sauna-Gang und einem abschließenden Entspannungsritual, bei dem einem warmes Sesamöl sanft über die Stirn gegossen wird. Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber ich war in einem sehr professionellen Zentrum mit gut organisierten Behandlungsabläufen gelandet. Und das übrigens zu einem für westliche Verhältnisse fast schon lächerlich anmutenden Preis: drei Tage Wellness für umgerechnet 50 Euro!
Bei der sogenannten Abhyanga-Massage kommt es vor allem auf das warme Öl an, mit dem man massiert wird und das entscheidend zum sinnlichen Erlebnis beiträgt. Es sollte von hoher Qualität und wohlriechend sein – schließlich wird es in die Haut eingerieben. Oft sind es Kräuteröle, die besonders gut für das Hautbild sein sollen. Man kann sich von dem Therapeuten beraten lassen, welches Öl das passende für die eigenen Bedürfnisse ist. Traditionell wird oft reines Sesamöl verwendet.
Im Gegensatz zu vielen anderen Massagen wird bei der Abhyanga nicht mit viel Druck gearbeitet, sondern mit geschmeidigen, wohltuenden Bewegungen. Deswegen spricht man auch von Streichungen. Dennoch wird eine Unterteilung in „Mardana“ (Druckmassage) und „Samvaha“ (sanfte Massage) vorgenommen. Zudem kann man auch seine individuellen Wünsche an die Masseurin oder den Masseur äußern.
Generell wirken das warme Öl und die gleichmäßige Ausführung mit teilweise auch kreisenden Bewegungen um die Gelenke herum besonders entspannend auf Körper und Seele. Dabei wird lediglich der Intimbereich ausgelassen, ansonsten wird man vom Kopf bis zu den Füßen massiert.
Dank Massage wird der Lymphfluss angeregt, was insofern „entgiftend“ wirkt, dass dadurch Stoffwechselprodukte besser aus den Zellen abtransportiert werden können sollen. Besonders wohltuend ist sie nach großen körperlichen Anstrengungen. Genau deswegen empfand ich die Abhyanga-Massage nach meinen Wanderstrapazen im Himalaja als so unfassbar erholsam. Und weil diese sanfte Form der Massage immer auch Streicheleinheiten enthält, tut man damit auch seiner Seele etwas Gutes.
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Wenn nochmal Indien, dann in einem Ayurveda-Zentrum
Nach dieser großartigen Erfahrung im Ayurveda-Zentrum gönnte ich mir später im Urlaub noch einmal eine solche Massage, als es wieder hieß, die 16 Stunden langen Nachtbusfahrten und das Chaos des Landes möglichst schadlos zu überstehen.
Am Ende meiner Rundreise war mir klar: Sollte ich jemals nach Indien zurückkehren, dann vermutlich nur, um mich in einem Ayurveda- oder Yoga-Zentrum von der Außenwelt abgeschottet zu erholen. Denn für mich ist genau DAS mit Abstand das Beste, was Indien zu bieten hat.