5. Januar 2021, 6:55 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Die Corona-Pandemie verändert offenbar unser Verhältnis zur Natur. Immer mehr Menschen nutzen ihre heilende Kraft, um psychisch mit den aktuellen Herausforderungen besser fertig zu werden, zeigt eine kanadische Untersuchung.
Sich draußen in der Natur zu bewegen, ist gut für die Psyche. Das klingt erstmal logisch wie unspektakulär. Aber dennoch scheint sich die Art, wie wir der Natur begegnen, durch die Corona-Pandemie verändert zu haben. Denn Camping-Urlaube mit Freunden fallen flach, genauso wie Sport-Events, Spaziergänge zu Ausflugs-Lokalen oder sonstigen Spaß-Veranstaltungen in Naherholungsgebieten. Wenn wir in Corona-Zeiten in die Natur gehen, dann offenbar hauptsächlich nur um ihrer selbst willen. Allein, mit dem Partner oder der Kernfamilie, ohne Konsum-Absichten oder konkretes Ziel wie eine Eisdiele oder Café.
Wie Menschen diese „Neubegegnung“ mit der Natur empfinden, hat ein kanadisches Wissenschaftler*innen-Team untersucht. Die Ergebnisse dazu wurden jetzt in der Fachzeitschrift „PLOS ONE“ veröffentlicht.
Tierbeobachtungen und einsame Spaziergänge in der Natur nahmen zu
Für die Studie werten die Forscher*innen Daten aus Online-Umfragen mit mehr als 3200 Bürger*innen aus Vermont aus, die in der Zeit des in Kanada verhängten Lockdowns im Frühjahr 2020 gesammelt worden waren. 70 Prozent aller Befragten gaben an, öfter draußen zu Fuß unterwegs zu sein. 64 Prozent entdeckten die Freude der Tierbeobachtungen (neu) für sich, weitere 54 Prozent sind im Lockdown vermehrt in die Natur gegangen, um dort Fotos zu schießen oder zu malen. 63 Prozent der Frauen wandten sich zudem vermehrt der Gartenarbeit zu. Der Großteil der Befragten gab zudem an, diese Aktivitäten vorrangig alleine oder mit engsten Familienmitgliedern bzw. Partnern zu machen.
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Neu entdeckte Wertschätzung für die Schönheit der Natur
Dadurch, dass aufgrund von Corona Aktivitäten mit Freunden oder soziale Events wie Outdoor-Partys nicht stattfanden, erfuhren die Befragten die Natur als einen meditativen, ja regelrecht „heiligen“ Ort. So gaben 22 Prozent an, sich wieder mit etwas verbunden zu fühlen, das „größer ist als sie selbst“. 29 Prozent begannen, die Natur auf neue Weise wertzuschätzen, und 60 Prozent stellten fest, dass der einsame Aufenthalt im Freien für eine allgemeine Verbesserung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens sorgt. Kurz: Die kontemplative Zeit in der Natur wurde insgesamt als wertvoller, heilender und erfüllender wahrgenommen.
Natur spielt während Corona zentrale Rolle für unser Wohlbefinden
Studienleiterin Dr. Rachelle Gould sieht in diesen ersten Erkenntnissen ein großes Potenzial: „Diese Daten sind wie eine Schatztruhe des Pandemie-Moments: eine Aufzeichnung darüber, wie die Menschen in einer Zeit großer Umwälzungen über ihre Beziehung zur Natur und Rest der Welt nachdenken“, zitiert „Medical News Today“ die Forscherin. Für Gould sind die obigen Ergebnisse ein Hinweis darauf, dass durch die Corona-Pandemie wieder vermehrt immaterielle Dinge in den Fokus rücken und Menschen die Erfahrung machen, auch aus etwas Kraft schöpfen zu können, das im Prinzip kostenlos ist. So berichteten diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, ebenfalls davon, sich öfter der Gartenarbeit zuzuwenden oder ausgedehnte Wanderungen zu unternehmen.
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Mitautorin Tatiana Gladkikh stellt zudem fest: „Die Studie legt nahe, dass die Natur eine zentrale Rolle für unser Wohlbefinden spielt, und wie wichtig der freie Zugang zu ihr in herausfordernden, unsicheren Zeiten wie diese Pandemie ist.“
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Warum die Studie einen Haken hat
Obwohl man die Erkenntnisse durchaus positiv bewerten kann, sollte man wissen: Der kanadische Bundesstaat Vermont ist relativ dünn besiedelt. So dürfte nahezu jede Bewohnerin und jeder Bewohner ohne großen Aufwand ein Plätzchen im Freien finden, in dem sie oder er sich ungestört bewegen kann. Szenarien wie in dichter besiedelten Regionen der Erde – mit kilometerlangen Staus und überfüllten Parkplätzen – kommen hier vermutlich weniger vor. Solche Erlebnisse verursachen Stress und bewirken eher das Gegenteil. Eine Tatsache, dessen sich übrigens das Forscher*innen-Team auch bewusst ist: „Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse bei politischen Entscheidungen helfen, wie und ob freies Land und andere Naturgebiete in Zukunft genutzt bzw. bebaut werden.“