10. Oktober 2024, 17:03 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Angst ist etwas völlig Normales. Doch wer sich von ihr ausgebremst fühlt, muss ihr etwas entgegensetzen. Manchmal geht das in Eigenregie – doch manchmal braucht es auch professionelle Hilfe.
Angst gehört zum Leben wie das Salz in der Suppe. Sie ist natürlich und manchmal unvermeidlich. Wer vor der heißen Herdplatte zurückschreckt, reagiert nicht ungewöhnlich – und erst recht nicht unvernünftig. Doch was, wenn ständige Angst den Alltag überschattet? Dann ist Handeln angesagt, denn Ängste können Betroffene stark ausbremsen. Doch zumindest ein Stück weit hat es jeder auch selbst in der Hand, seinen Ängsten etwas entgegenzusetzen und dadurch zu mehr Selbstvertrauen zu kommen. Was konkret helfen kann, erfahren Sie hier.
Jetzt dem FITBOOK-Kanal bei Whatsapp folgen!
Übersicht
Ausprägungen von Angststörungen – Phobien
Angststörungen gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen: Eine Form sind Phobien – spezifische Ängste, zum Beispiel vor Spinnen oder Tunneln. Verbreitet sind auch Soziophobien. Betroffenen graut es vor bestimmten zwischenmenschlichen Situationen, einem Vortrag vor großem Publikum vielleicht oder davor, mit anderen zusammen an einem Tisch zu sitzen und zu essen.
„Hierbei steht die Angst, von anderen bewertet und für nicht gut genug gehalten zu werden, im Mittelpunkt“, sagt Prof. Dr. Markus Banger auf FITBOOK-Nachfrage. Er ist Chefarzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen und Psychotherapie der LVR-Klinik Bonn.
Auch interessant: Studie zeigt, was bei einer Spinnen- oder Schlangenphobie helfen könnte
Die generalisierte Angststörung
Weit verbreitet ist auch die generalisierte Angststörung. Betroffene sind permanent in Sorge. Sie fürchten etwa, den Arbeitsplatz zu verlieren – obwohl nichts darauf hindeutet. Oder sie leben in ständiger Angst, dass nahe Angehörige einen schweren Unfall haben. „Eine generalisierte Angststörung geht häufig mit Depressionen einher“, sagt Banger. Einer australischen Langzeitstudie zufolge erhöhen ungelöste Ängste und Angststörungen im Alter das Demenzrisiko (FITBOOK berichtete).
Panikattacken
Panikattacken sind eine weitere Form von Angststörungen. Die Attacke kommt überfallartig und geht mit heftigen Körperreaktionen einher – von Atemnot, Herzrasen, Schwitzen bis zu Zittern. Betroffene glauben in diesen Situationen manchmal sogar, sterben zu müssen.
Auch interessant: So können Außenstehende bei einer Panikattacke am besten helfen
Ursachen von Angststörungen
Angststörungen können unterschiedliche Ursachen haben. „Bei etwa 30 Prozent der Ängste gibt es eine genetische Basis“, erklärt Banger. Dagegen spielten bei den übrigen 70 Prozent Medikamente, Drogen, körperliche Erkrankungen, lebensgeschichtliche Erfahrungen und akute Ereignisse eine Rolle.
Bei schweren Angststörungen sollten Betroffene unbedingt auf professionelle Hilfe setzen und über den Hausarzt etwa einen Psychotherapeuten aufsuchen. Helfen kann eine Verhaltenstherapie, eventuell kombiniert mit Medikamenten.
So viele Menschen sind von Angststörungen betroffen
Eine Auswertung der Versichertendaten der Innungskrankenkassen IKK classic hat ergeben, dass sich die Zahl der Menschen, die unter einer Angststörung leiden, von 2013 bis 2022 deutlich erhöht hat. Die Zahl der diagnostizierten Angststörungen stieg damit von 4,8 Prozent (2013) auf 6,6 Prozent (2022). Die höchste Steigerung ergab sich bei sozialen Phobien und Panikstörungen, Frauen sind insgesamt stärker betroffen.1 Laut der Stiftung Gesundheitswissen sind in Deutschland 2 von 100 Erwachsenen im Laufe eines Jahres von einer Panikstörung betroffen.2
Dass Angst ganz aktuell ein großes Thema ist in Deutschland, zeigen auf die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage unter 2.000 Menschen in Deutschland im Alter von 16 bis 75 Jahren von der Online-Therapieplattform HelloBetter: Demnach befürchtet jeder Vierte (26 Prozent), psychisch zu erkranken. Besonders hohe Werte erzielen vor allem junge Menschen (Gen Z, zwischen 16 und 28 Jahren: 39 Prozent) und Frauen (28 Prozent). Die Studie zeigt, dass die Ängste und Sorgen der Menschen in Deutschland weiter zunehmen: 43 Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Sorgen in den letzten zwölf Monaten zugenommen haben. Vor allem die wirtschaftliche Situation macht vielen zu schaffen. Durchgeführt wurde die Studie vom Marktforschungsinstitut IPSOS.3
Von Ängsten geplagt? Diese Übungen können helfen
Doch in vielen, nicht ganz so schweren Fällen können sich Menschen, die von Ängsten geplagt sind, auch selbst helfen. Die Autorin Caroline Foran („Mehr Mut: Wie Sie an Ihren Ängsten wachsen und mehr Selbstvertrauen gewinnen“) hat hierfür viele Tipps und Strategien. Eine davon ist die Achtsamkeitsübung: Wer sich das nächste Mal nervös oder ängstlich fühlt, nimmt das Gefühl zunächst bewusst wahr. Ziel ist, seine Aufmerksamkeit auf sich und seine Gefühle und Gedanken zu richten – „auch wenn es unangenehm ist“, sagte Foran der Deutsche Presse-Agentur.
Und so geht es: Einatmen und bis vier zählen, dann ausatmen und bis acht zählen. „Diese Übung fünfmal wiederholen, bis sich der Puls verlangsamt hat.“ Im nächsten Schritt geht die Aufmerksamkeit in Richtung Füße und Unterkörper. Man verankert sich, spürt den Boden unter den Füßen, atmet ein und aus. Die Achtsamkeitsübung kann zum Beispiel vor einer Prüfung oder einem Vortrag hilfreich sein.
Weitere Achtsamkeitsübungen kann man etwa in der Atemtechnik des Kundalini Yoga finden – oder bei einer Gehmeditation. Letzteres übrigens optimal für Anfänger.
Laut dem Berliner Achtsamkeitstrainer Mathias Gugel lernen wir durch Achtsamkeit, dass wir unsere Gewohnheitsmuster bewusst wahrnehmen und verändern können. Allerdings geht das nicht von heute auf morgen. Es muss für eine Weile, circa acht bis zwölf Wochen, geübt werden. Ohne diese Übung bleiben wir in unserer alten Erfahrung und wiederholen sie immer wieder von Neuem. Ziel ist es also, Achtsamkeitsübungen konsequent in den Alltag einzubauen, sodass sie zur Gewohnheit werden.
Was sonst noch helfen kann
Eine andere Vorgehensweise: sich seine Ängste bewusst machen. Dafür setzt man sich hin und schreibt so detailliert wie möglich auf, wovor man sich eigentlich fürchtet. „Mitunter kann es schon ein erster Schritt zur Überwindung seiner Angst sein, wenn man anschließend den Zettel in viele Stücke zerreißt“, sagt Banger.
Helfen kann nach Angaben des Experten auch, über seine Ängste mit dem Partner oder mit guten Freunden zu sprechen: „Ein solches Gespräch kann dazu beitragen, Angstgefühle zu relativieren.“ Sehr hilfreich sei bei Angststörungen zudem, Sport zu treiben oder Entspannungsübungen zu praktizieren – etwa in Form von Yoga.
Auch interessant: Krafttraining kann Angststörungen vorbeugen – und bestehende lindern
Katastrophenszenarien bewusst durchgehen
Was laut Foran ebenfalls helfen kann: das sogenannte Angst-Hacking. Dabei setzt man sich hin und analysiert, was in der Situation, vor der man Angst hat, schiefgehen könnte. Im nächsten Schritt stellt man sich alle in diesem Zusammenhang möglichen Katastrophenszenarien vor und fragt sich: Was wäre, wenn…?
„Was wäre, wenn man etwa dieser einen Person endlich die Wahrheit sagen würde“, nennt Foran als Beispiel für das Angst-Hacking. Die Realität wird – davon geht die Expertin aus – oft nicht so schlimm ausfallen wie das eigene Katastrophenszenario. Kommt es dennoch dazu, wird man es überstehen. „Man ist ja auf den Ernstfall vorbereitet und kann dank dieser Strategie besser damit umgehen“, so Foran.
Dinge hinnehmen, die man nicht ändern kann
Ängsten kann man mitunter auch einfach mit mehr Gelassenheit begegnen. „Man muss sich dabei klarmachen, dass man nicht auf alle Begebenheiten im Leben Einfluss hat“, erklärt Foran. Man hat es nicht immer in der Hand, ob man seinen Job verliert, aber man kann sich beruflich weiterentwickeln und damit seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt steigern.
Für Ängste, deren Auslöser man beeinflussen kann, gilt: sich ihnen stellen und nach einer Lösung suchen. Situationen, in denen man Angst hat, einfach zu vermeiden – das bringt einen nicht weiter. Im Gegenteil: „Das kann die Angst nur schlimmer machen und die Lebensqualität des Betroffenen stark beeinträchtigen“, sagt Banger.
Freunde anrufen, einen Spaziergang machen, sich mit Sport ablenken
Wenn man ganz akut Hilfe zur Beruhigung seiner Angststörung braucht, können kleine Maßnahmen schon wahre Wunder wirken. So kann es unter anderem helfen, einen Freund oder eine Freundin anzurufen, einen kleinen Spaziergang zu machen, sich auf eine geführte Meditation einzulassen oder sich mit Sport abzulenken. Die Deutsche Angst-Hilfe e. V. bietet auf ihrer Website Informationen, die weiter über mögliche Hilfsangebote und Tipps zur Linderung der Ängste aufklären.
Seit Kindheit betroffen Sängerin Pink spricht offen über ihre Panikattacken
Mehr als Aberglaube Angst vor Freitag, den 13.? Experte erklärt, wann es krankhaft sein kann
Angststörung Studie zeigt, was bei einer Spinnen- oder Schlangenphobie helfen könnte
Hier finden Menschen mit großem Leidensdruck Hilfe
Wer durch seine Angststörungen einen so großen Leidensdruck erfährt, dass er auch mit Depressionen kämpft, sollte sich auf jeden Fall professionelle Hilfe suchen. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe leistet auf ihrer Website Arbeit zur Aufklärung über die Erkrankung und listet Betroffenen und Angehörigen eine Fülle an möglichen Hilfsangeboten auf, die Perspektiven schaffen und den Leidensdruck reduzieren können.
*Mit Material von dpa