20. November 2023, 15:55 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Nachdem unsere Autorin in einer Stressphase stark abgenommen hatte, fand sie sich plötzlich in einer Art Rechtfertigungsposition wieder. Nicht bloß Freunde, selbst entferntere Bekannte (etwa auf der Arbeit) sprachen sie auf ihren Körper an. Aber ist der nicht eigentlich Privatsache? Genauso wie bei Übergewichtigen, bei denen man sich doch mehr zurückhält – so zumindest der Eindruck der Autorin. Sie fragt sich, woher diese verbale Übergriffigkeit kommt.
Mir ist etwas ganz Blödes passiert. Ich traf vor ein paar Wochen auf eine ehemals enge Freundin, die ich vorher lange nicht gesehen hatte. „Du bist ja so dünn“, rutschte es mir raus. Dazu muss man sagen: Sie sieht nicht krank aus, sondern bezaubernd – und eben zierlich – wie eh und je. Daher hat sie mir meinen keinesfalls böse gemeinten Kommentar natürlich nicht übel genommen. Doch ich selbst ärgerte mich darüber. Denn was geht mich ihr Körper an – wieso sollte ich ihn sprechen? Zumal ich selbst das (in noch unpassenderen Momenten) auch schon erlebt habe.
Übersicht
Woher kommt der Impuls, Dünne auf ihren Körper anzusprechen?
Ich habe Anfang des Jahres stark abgenommen. Warum, das konnte ich mir zunächst nicht erklären. Die Schilddrüse, mein Essverhalten – das war alles in Ordnung. Die Ursache meines Gewichtsverlusts: schlicht und ergreifend Stress, das wollte meine Hausärztin sogar anhand meiner Blutwerte nachvollziehen können. Auch bei FITBOOK bestätigen Experten, dass emotionaler wie auch körperlicher Stress Auswirkungen auf das Gewicht haben kann.
Nun wäre der Grund ja fast egal. Ich erlebte es in dieser Phase jedenfalls auffällig oft, dass Fremde oder entferne Bekannte sich das Recht herausnahmen, mich auf meinen Körper anzusprechen. Dass meine Beine ja so dünn seien, welche Kleidergröße ich denn trage. Letztere Frage kam übrigens von einem temporären Arbeitgeber.
Essgewohnheiten von Dünnen = ein gefundenes Fressen
Natürlich bin ich damit nicht allein. Ich habe mich dazu mit mehreren dünnen Frauen in meinem privaten Umfeld ausgetauscht, und auch sie haben schon häufig solche Kommentare kassiert. Viel ging es hier übrigens darum, was sie essen (oder eben nicht). Es kann auch nur mein Eindruck sein – aber genau das würden sich bei Übergewichtigen die meisten Menschen mit Anstand wohl verkneifen. Obwohl man im Stillen vielleicht infrage stellt, ob es aus gesundheitlicher Sicht wirklich sinnvoll ist, zum doppelten Cheeseburger mit extra Speck und einer großen Portion Pommes auch noch einen halben Liter Limo zu trinken. Aber etwas sagen würde man doch nicht – wäre das nicht gar „Bodyshaming“?
Ich möchte betonen: Es spricht per se nichts dagegen, etwas zu sagen. Wenn gesundheitliche Bedenken bestehen, dann kann es durchaus sinnvoll sein, diese zu artikulieren. Klar ist aber auch, dass das Thema Gewicht triggern kann. Deshalb ist es wichtig, von wem (!) und wie eine Konfrontation erfolgt.
Besorgt, bewundernd – oder einfach unbedacht
Besorgnis ist im Zweifelsfall ehrenwert. Doch steht sie nicht jedem zu, und erst recht nicht, diese zu verbalisieren. Weder der Chef noch die Dame an der Supermarktkasse wären wohl Personen, mit denen man etwaige Probleme sezieren möchte.
Und ja, ich habe die Möglichkeit berücksichtigt, dass aus einem vermeintlich übergriffigen Kommentar Sorge spricht. Zumal es auch Freunde waren, die mich auf meinen Gewichtsverlust angesprochen haben. Diese konnte ich problemlos zurückfragen: „Sag mal bitte ehrlich, sehe ich denn krank aus?“ Das tat ich demnach nicht. Es war auch nicht etwa so, dass man mir auf der Straße erschrocken hinterherschauen würde. Ich war wohl auffällig schmal – that‘s it.
Skinny Shaming bzw. Thin-Shaming gilt als „weniger schlimm“ als Fat-Shaming
Man soll es vielleicht als Kompliment auffassen? Der eine oder andere Kommentar über sehr schlanke Beine rührt sicher zu einem gewissen Grad aus Bewunderung, vielleicht sogar im Einzelfall aus Neid. Dünn- kommt in der allgemeinen Wahrnehmung noch besser an als Dicksein. So gibt es die Theorie vom „Thin Privilege“, der zufolge dünnen Menschen soziale Vorteile gegenüber weniger schlanken zukommen, und dazu auch wissenschaftliche Studien. Auch wegen des angeblichen Thin-Privilege wird Thin-Shaming oder Skinny Shaming (beide Bezeichnungen stehen für das gleiche) im Vergleich mit Fat-Shaming als weniger schlimm angesehen. Eine TikTokerin ist mit entsprechenden Parolen viral gegangen: Während Schlanksein in der Gesellschaft verherrlicht werde, verweigere man Übergewichtigen Jobs, eine angemessene medizinische Versorgung oder die Aufnahme in Krankenversicherungen.
Selbst wenn das stimmt. Warum sollte man deshalb eine einzelne, dünne Person angreifen dürfen? Auf ihren Körper ansprechen, den sie sich womöglich selbst sogar anders wünschen würde? Was das Gegenüber vermeintlich schön oder erstrebenswert oder „besser als dick“ findet, könnte für die angesprochene Person etwas sein, das sie gerne verändern würde (wenn sie könnte). Wer dünn ist, will es nicht automatisch auch sein – ein deplatzierter Spruch kann deshalb verletzen.
Apropos verletzen. Natürlich zielen einige Wortmeldungen auch bewusst darauf ab, zu beleidigen. „Klappergerüst“, „an der holt man sich blaue Flecken“, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Auch eine freie Redakteurin der „Zeit“ hat von ihren Erfahrungen mit Skinny Shaming geschrieben. In dem Beitrag erinnert sie sich an verächtliche Kommentare à la „Du bist so flach, hinter der Laterne stehend, sieht man dich gar nicht.“ Man hat ihr demnach auch mal gesagt, man selbst wäre auch gerne dünn, „aber nicht so wie du. Das ist doch ungesund und nicht mehr schön“.
Die unverhohlene Aufforderung, zuzunehmen, fußt wohl auf der Annahme, dass das doch total einfach sei. Aber vielen Dünnen fällt es schwer, anzusetzen – ob nun aus physischen oder tatsächlich psychischen Gründen. Aber mal eine Frage: Muss man überhaupt zunehmen (wollen)? Nur, weil das Gegenüber das vielleicht erwartet?
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Gleiche Sensibilität für alle
Ich will auf der anderen Seite auch nicht sagen, dass bedingungslose „Body Positivity“ die Lösung ist. Natürlich kann ein zu geringes Gewicht irgendwann gefährlich werden, und ebenso auf der anderen Seite des Spektrums das Maß der Körperfülle irgendwann ein gesundes überschreiten. Sich daran festzuhalten, dass jeder Körper und jedes Kilo schön sind – für manche eine praktische Wegblendung davon, dass man eigentlich etwas gegen ein bereits problematisches Körpergewicht unternehmen sollte. Dazu hat sich FITBOOK-Redakteurin Melanie Hoffmann hier einige Gedanken gemacht.
Dann einigen wir uns doch auf einen Kompromiss. Eine aufrichtige Sorge bitte in der passenden Situation und mit geeigneten Worten ansprechen, bei Dünnen wie auch bei Dicken – vorausgesetzt, die Umstände und Ihr persönliches Verhältnis lassen es zu. Auf jeden Fall sollte man sich kurz, doch umso gründlicher überlegen, ob man wirklich damit hilft, wenn man jemandes Körper anspricht.