
14. Januar 2025, 4:11 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Wir alle tun es – unbewusst, oft und in erstaunlichem Ausmaß: Bis zu 800 Mal am Tag berühren wir unser Gesicht. Was steckt hinter dieser alltäglichen Gewohnheit? Forscher erklären, warum diese Berührung mehr ist als eine unbedeutende Geste, was sie über unser Inneres verrät und warum man sie manchmal nicht unterdrücken sollte.
Menschen berühren ihr Gesicht etwa 50 Mal pro Stunde – oft ohne es zu merken. Diese unbewussten Gesten dienen der Stressregulation und sind Ausdruck innerer Beweggründe, so Wissenschaftler. Doch sie bergen auch Risiken, wie die Übertragung von Krankheitserregern.
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Übersicht
- Bevorzugtes Ziel der Hände
- Haptikforscher erklärt, warum wir uns ins Gesicht fassen
- Eigene und fremde Berührungen senken Cortisol-Level laut Studie
- Schnelles Erreichen des Gehirns
- Experte hält nichts von Maßnahmen, die Gesichtsberührungen unterbinden sollen
- Tipp: Vermeiden, was Stress verursacht und auf Hygiene achten
- Quellen
Bevorzugtes Ziel der Hände
Bevorzugtes Ziel der Hände sind dabei nicht Stirn oder Kinn, sondern interessanterweise Mund, Nase und Augen. Also da, wo die Schleimhäute nicht weit weg sind. Wissenschaftler sehen darin ein ernstes Problem. Denn das ist geradezu ein Einfallstor für Keime und Krankheitserreger.
Haptikforscher erklärt, warum wir uns ins Gesicht fassen
Aber warum wandern die Hände ständig in Richtung Gesicht? Klar ist, dass sich schon Embryos im Bauch der Mutter mit dem Finger am Mund berühren. Das sogar öfter, wenn die Mutter sich in einer Stresssituation befindet. Womöglich hat die spontane Selbstberührung eine beruhigende Wirkung.
So sieht das auch Martin Grunwald, der Leiter des Haptik-Labors am Paul-Flechsing-Instituts für Brainresearch an der Universität Leipzig. Der Psychologe und Haptikforscher hat zwei Studien über Gesichtsberührungen durchgeführt.1,2 Selbstberührungen seien der Versuch des Organismus, nach oder während einer psychischen Irritation wieder einen Zustand der psychischen Balance herzustellen. Mit anderen Worten: Man berührt sich selbst, um eine Stresssituation psychisch auszubalancieren.
Auch der Psychologe Julian Packheiser von der Ruhr-Universität Bochum erforscht dieses Thema – und schließt sich Grunwald an. „Laut neueren Theorien dienen unbewusste Gesichtsberührungen zur Stressreduktion und helfen, den Gefühlshaushalt zu regulieren“, verrät der Experte der dpa. Neben Stress können Gesichtsberührungen aber auch Ängste lindern, Traurigkeit vermindern und Schmerzen reduzieren – und sogar den Blutdruck senken!
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Eigene und fremde Berührungen senken Cortisol-Level laut Studie
Forschende der Goethe-Universität Frankfurt fanden 2021 in einer randomisierten kontrollierten Studie heraus, dass sowohl Berührungen von anderen als auch von einem selbst vor einer Stresssituation einen Effekt auf das Stresslevel der Teilnehmer hatten.3 Sowohl diejenigen, die von anderen berührt wurden als auch die, die sich selbst berührten, hatten hinterher einen niedrigeren Wert des Stresshormons Cortisol im Blut als die dritte Gruppe der „Unberührten“.
Zwar wählten die Teilnehmenden der Selbstberührungsgruppe nicht immer das Gesicht, manche strichen sich über den Arm oder legten die Hände auf die Brust. Dennoch deuten andere Forschungen darauf hin, dass Gesichtsberührungen in stressigen oder kognitiv anspruchsvollen Situationen besonders häufig vorkommen, so Packheiser weiter. „Obwohl es noch wenig Forschung zu Selbstberührungen gibt, deuten solche Indizien darauf hin, dass das Berühren des eigenen Gesichts Stress mildern kann“, so Packheiser.
Schnelles Erreichen des Gehirns
Joe Navarro, ein ehemaliger FBI-Verhaltensanalyst, erklärt im Magazin «Psychology Today», dass die Gründe für diese Vorliebe in der Anatomie unseres Körpers liegen. Unsere Gesichter sind besonders reich an empfindlichen Nervenenden, die mit dem Gehirn direkt verbunden sind. Diese Nerven – insbesondere der fünfte (Trigeminusnerv) und der siebte Hirnnerv (Facialisnerv) – ermöglichten es, dass Berührungen im Gesicht das Gehirn schneller und effektiver erreichen als an anderen Körperstellen.
Ein sanftes Streichen über die Wange oder das Berühren der Lippen sende beruhigende Signale blitzschnell ins Gehirn. Diese Sofortwirkung ist entscheidend, weil wir gerade in stressigen Momenten schnell Erleichterung brauchen. Das Ins-Gesicht-Fassen beruhige das Gehirn und helfe dabei, die innere Balance wiederherzustellen.
So sei es für andere auch ein Hinweis darauf, wie es im Inneren aussieht, ob jemand gestresst ist und Unterstützung braucht, so Navarro. „Wenn sich also Ihr Partner oder die Kollegin das nächste Mal häufig an die Nase fasst, fragen Sie ruhig einmal nach, ob alles in Ordnung ist“, rät Julian Packheiser.
Experte hält nichts von Maßnahmen, die Gesichtsberührungen unterbinden sollen
Sich nicht ins Gesicht zu fassen, wäre manchmal besser. Stichwort: Krankheitserreger, Hautreizungen und Pickel. „Die aktive Vermeidung von Berührungen im Gesicht zur Verringerung von Infektionen erfordert geistige Anstrengung“, schreiben die Leipziger Forscher. Das müssen wir also ganz bewusst tun. Das ist jedoch leichter gesagt, als getan. Wer Unterstützung benötigt, um seine Hände vom Gesicht zu lassen, wird im Internet fündig. Die Webseite „donottochyourface“ gibt ein Warnsignal, sobald man sich im Gesicht berührt. So funktioniert’s: Man aktiviert die Kamera des Computers oder Handys und nimmt zunächst ein kurzes Video auf, bei dem man sein Gesicht nicht berührt – dann wird man aufgefordert, dasselbe mit Gesichtsberührung zu tun. Anschließend ertönt (Aktivierung von Kamera und Laufsprecher vorausgesetzt) ein „No“, sobald man sich im Gesicht berührt.

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Tipp: Vermeiden, was Stress verursacht und auf Hygiene achten
Der Haken: Die Kontrolle über das sich „Ständig ins Gesicht fassen“, verursacht wiederum Stress. Und dann wandern die Finger mitunter verstärkt in Richtung Gesicht – ein Teufelskreis. Daher ein besserer Rat: Alles vermeiden, was Stress verursacht – und öfter die Hände waschen!