6. Februar 2021, 17:22 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Ein Schwimmer ohne Schwimmbad? Hilflos. Schwimmtraining ohne Wettkämpfe? Ernüchternd. Der 19-jährige Alex ist einer von vielen jungen Athlet*innen, denen der aktuelle Corona-Lockdown sehr zusetzt. Bei FITBOOK erzählt der Marburger, wie sich der lange Sportverzicht auf seine mentale Gesundheit, seine Ziele und seine Motivation auswirkt.
Der zweite Lockdown zieht sich immer länger. Das ist psychisch belastend, weil er viele von uns zwingt, auf Aktivitäten zu verzichten, die unserem Leben bisher Halt gaben und unseren Alltag prägten. Umfragen aus dem vergangenen Jahr zeigen: Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene leiden unter Ängsten und einer depressiven Stimmung. FITBOOK hat junge Athleten und Athletinnen im Alter von 18 bis 30 Jahren deshalb gefragt: Wie fühlt ihr euch gerade? Wie wirkt sich der plötzliche Sportverzicht auf eure mentale Gesundheit aus? Im dritten Teil unserer Serie erzählt der junge Schwimmer Alex, wie es ist, mit 19 Jahren plötzlich „zu alt“ zu sein und warum Wettkämpfe essenziell sind.
„Ich schwimme seit 13 Jahren oder anders gesagt: Ich habe zwei Drittel meines bisherigen Lebens schwimmend verbracht. Vor dem Lockdown habe ich fünfmal die Woche trainiert. Mein Alltag war klar strukturiert: Schule, danach ging es ins Schwimmbad, in den letzten Jahren bin ich zusätzlich noch ins Fitnessstudio gegangen.
2018 bin ich bei den Süddeutschen und Deutschen Meisterschaften gestartet, 2019 habe ich bei den hessischen Meisterschaften zweimal Gold und zweimal Silber gewonnen und durfte in Berlin beim FINA Worldcup mitschwimmen. Das waren krasse Erfolge für mich. Und ich wusste: Jedes Training hat mich zu dem gemacht, was ich in diesen beiden Jahren erreicht habe.
Anfang 2020 dachten mein Trainer und ich, dass das jetzt nochmal mein Jahr werden könnte. Dass ich mit intensivem Training ähnliche Erfolge einfahren könnte. Dann kam Corona – und damit sind alle Pläne einfach untergegangen.
Der Lockdown trifft Schwimmer hart
Plötzlich stand alles in der Luft. Ich habe mich echt hilflos gefühlt. Weil plötzlich nicht nur die Schwimmbäder, sondern auch die Fitnessstudios geschlossen waren, bin ich am Anfang joggen gegangen. Aber eine langfristige Lösung war das für mich nicht. Ich habe zum Glück ein Fitnessgerät zu Hause, mit dem ich Kraftübungen machen konnte. Und meine Freundin hat auch einige Fitnessgeräte im Haus. Ich habe vergangenes Jahr außerdem eine handwerkliche Ausbildung angefangen, die mich körperlich fit hält. Aber Schwimmsport ist Wassergefühl, das kann man nicht mit anderem Training ausgleichen.
Auch mental musste ich mit dem veränderten Alltag zurechtkommen. Ich habe mir vor der Pandemie nie vorgestellt, wie es wäre, von jetzt auf gleich mit dem Schwimmen aufzuhören. Hätte ich die Entscheidung getroffen, hätte ich das ja schrittweise minimiert. Von fünfmal die Woche zu viermal, dreimal, zweimal …
„Es ist alles weg, was ich mir über die vergangenen Jahre antrainiert habe“
Seit Mitte Januar darf ich wieder schwimmen, weil ich durch meine Leistungen zum hessischen Kader gehöre. Dreimal die Woche, 2:15 Stunden. Ich habe mich wahnsinnig gefreut, endlich ins Wasser zurückzudürfen. Aber es ist extrem anstrengend, wieder reinzukommen. Was man über den Schwimmsport verstehen muss: Einfach da anknüpfen, wo man aufgehört hat, ist unmöglich. Alles baut auf einem regelmäßigen Training auf. Ich werde Monate brauchen, wahrscheinlich ein halbes Jahr, bis ich wieder auf dem Stand von früher bin. Es ist alles weg, was ich mir über die vergangenen Jahre antrainiert habe. Ich war so gut dabei… und wurde dann von ganz oben komplett auf 0 herunter katapultiert.
Die aktuelle Situation stellt mich vor die Entscheidung, wie ich weitermache. Ob ich auf den Stand zurückkomme, den ich vor der Pandemie hatte, ist fraglich. Außerdem bin ich jetzt in einem Alter, in dem ich „offen“ gewertet werde: Beim Schwimmen geht es nämlich um Jahrgangswerte. Weil ich mittlerweile 19 bin, werde ich mit allen anderen Jahrgängen zusammen gewertet. Es wird nach der langen Pause verdammt schwierig werden, mit den jüngeren Schwimmern mitzuhalten.
„Jetzt trainieren wir – aber für was?“
Außerdem sind für dieses Jahr alle Wettkämpfe abgesagt – keine Ahnung, ob sich das durch die Impfung ändert. Somit habe ich kein direktes Ziel, auf das ich gerade hinarbeiten kann und dementsprechend schwierig ist es, sich zu motivieren. Wettkämpfe sind unfassbar wichtig für uns Schwimmer*innen. Dabei geht es nicht darum, andere zu schlagen, sondern für sich selbst abzurufen, was du durch das Training geschafft hast. Sie sind ein Ansporn, mehr zu geben. Eine Bestätigung. Und wenn es gut läuft, sind es Erfolge, die du mit deinem Trainer feiern kannst. Du schwimmst deine Lieblingsstrecke, haust eine neue Bestzeit raus und weißt, das habe ich geschafft, weil ich hart genug an mir gearbeitet habe. Jetzt trainieren wir – aber für was?
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Lockdown-Training: Im Kader statt mit der eigenen Mannschaft
Ich nehme natürlich trotzdem jedes Training mit und will mich Schritt für Schritt wieder aufbauen. Aktuell trainiere ich nicht mit meinem eigenen Verein, mit denen ich sonst so viel Zeit verbracht habe. Ich trainiere mit den besten Schwimmern aus Hessen. Das ist anders, anstrengender, es wird mehr Disziplin gefordert. Klar kennt man die Namen und Gesichter der anderen von Wettkämpfen, aber privat habe ich mit denen nichts zu tun. Man trifft sich in der Schwimmhalle und geht direkt wieder. Die soziale Komponente, die ich jahrelang im Verein gespürt habe, ist nicht mehr vorhanden. Ich darf gerade auch nicht mit meinem eigenen Trainer arbeiten, ich werde von einem anderen trainiert. Den kenne ich zwar, aber nicht so gut, dass es keine Umstellung wäre.
Unabhängig von meinen eigenen Leistungen wünsche ich mir, dass wieder mehr Leute die Möglichkeit hätten, zu schwimmen. Ich finde es unfair, dass gerade nur die Besten trainieren dürfen. Es gibt so viele aus meiner Mannschaft, die auch auf Wettkampf-Niveau schwimmen und hart trainieren, aber einfach nicht ganz so schnell sind wie ich. Dass denen gerade jegliche Möglichkeit genommen ist, tut mir echt leid. Denn bis die wieder ins Wasser dürfen, wird es, glaube ich, noch lange dauern.“
Wie Sie sehen, ist es keine einfache Situation für einen Schwimmer im Lockdown – nicht nur für seine Fitness, sondern speziell in Bezug auf die mentale Gesundheit, seine Ziele und Hoffnungen. Vielleicht gibt Ihnen dieser persönliche Einblick ein bisschen Mut und Inspiration für Ihren eigenen Kampf mit den Lockdown-Restriktionen. Stay strong!
Protokolliert von Katharina Kunath