24. Oktober 2020, 17:42 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Gerade in turbulenten Zeiten wie der aktuellen Coronapandemie zeigt sich deutlich, wie unterschiedlich Menschen mit äußeren Belastungen umgehen. Bei einigen brechen in Krisen und Stresssituationen Depressionen, Burnout oder andere psychische Erkrankungen aus. Manche Betroffene entwickeln auch Süchte. Andere scheinen eine Art seelischen Schutzschild zu tragen – nichts scheint sie aus der Bahn zu werfen oder auch nur mehr als einen Moment zu überfordern. Das Stichwort ist Resilienz. Doch was ist das genau? Und kann die jeder aufbauen?
Wenn wir über Resilienz reden, sollte zunächst einmal der Begriff geklärt werden. Was genau ist Resilienz? Das Leibnitz-Institut für Resilienzforschung (LIR) definiert sie so: „Resilienz ist die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung psychischer Gesundheit während oder nach stressvollen Lebensereignissen.” Es geht bei Resilienz also um die psychische Widerstandskraft, sich nicht von äußeren Umständen wie etwa Schicksalsschlägen oder Stress umwerfen zu lassen, sondern in der inneren Ruhe zu bleiben oder dahin zurückzukehren. Mit umwerfen ist gemeint: krank werden. Beispiele für psychische Erkrankungen als Folge überfordernder Belastungen sind Depressionen, Sucht- oder Angsterkrankungen sowie posttraumatische Belastungsstörungen. Somit handelt es sich also gewissermaßen um die Abwehr psychischer Erkrankungen. FITBOOK erklärt, wie man seine Resilienz stärken kann.
Es geht nicht darum, „abgehärtet“ zu sein
Dabei ist besonders eine Abgrenzung wichtig: Resilienz meint nicht abhärten und auch nicht ertragen. Es geht nicht darum, weniger zu fühlen oder sich so sehr gegen Krisen, Stress und Druck abzuhärten, dass man unempfindlich wird. Es geht bei Resilienz um eine gesunde Umgangsweise und Auseinandersetzung mit der jeweiligen Situation. Das bedeutet das Annehmen derselben genauso, wie Wege zu finden, sie gut zu bewältigen.
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Sich nicht von äußeren Umständen umwerfen lassen
Sich nicht von den äußeren Umständen umwerfen zu lassen, klingt für viele gerade in der aktuellen Pandemie-Situation vermutlich leichter gesagt als getan. Denn für viele Menschen bringt der überraschende Wandel ihres als normal empfundenen Alltags sowie die Vielzahl an Erkrankten und Verstorbenen Ängste, Sorgen und Gefühle von Unsicherheit und auch Machtlosigkeit hervor. Und dies wirft sie emotional aus der Bahn. Aber nicht alle. Manchen Menschen scheint es viel leichter zu fallen, sich den neuen Umständen anzupassen und daraus etwas Gutes zu ziehen. Was ist der Unterschied? In einem Wort: Resilienz.
5 Faktoren, die resiliente Menschen teilen
„Worin besteht seelische Widerstandskraft?“, fragt Schamforscherin und Bestseller-Autorin Dr. Brené Brown in ihrem Buch „The Gift of Imperfection” (oder in der deutschen Fassung „Die Gaben der Unvollkommenheit”) und antwortet mit fünf Kern-Faktoren, die resiliente Menschen teilen:
- Sie sind einfallsreich und verfügen über gute Problemlösungsfähigkeiten.
- Sie bitten eher um Hilfe als andere Menschen.
- Resiliente Menschen sind fest davon überzeugt, dass sie etwas machen können, was ihnen dabei hilft, mit ihren Gefühlen umzugehen und die Situation zu bewältigen.
- Ihnen steht Unterstützung aus dem sozialen Umfeld zur Verfügung.
- Sie sind mit anderen verbunden, zum Beispiel mit Familienmitgliedern oder Freunden.*
Warum sind manche Menschen resilienter als andere?
Woran liegt es nun, dass manche Menschen resilienter sind als andere? Dieser Frage geht die Resilienzforschung bereits seit dem letzten Jahrhundert nach – abgeschlossen ist sie noch nicht. Die Forscher gehen davon aus, dass Resilienz ein komplexes psychisches System mit verschiedenen Faktoren ist. Gene könnten hier eine Rolle spielen, genauso wie tägliches Lernen.
„Das Konzept der Resilienz als psychische Widerstandskraft entwickelte sich bereits in den 1950er-Jahren, basierend auf entwicklungspsychologischen Studien an Kindern und Jugendlichen“, heißt es in einem Artikel zur Resilienzforschung vom Deutschen Resilienz-Zentrum (DRZ) in Mainz. Pionierin auf dem Gebiet war die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner.
Sie stellte als ein Ergebnis einer Langzeitstudie fest, „dass etwa ein Drittel der (untersuchten) Kinder trotz schwerwiegender Risikofaktoren zu gesunden und erfolgreichen Erwachsenen heranwuchsen” – also Resilienz zeigten, wie die Autoren des DRZ erklären. Alle Probanden verfügten über bestimmte soziale Schutzfaktoren, die ihnen halfen, ihre schwierigen Entwicklungsumstände auszugleichen. Das waren zum einen individuelle Merkmale wie „positives Temperament, hohe Sozialkompetenz, ein aktives Bewältigungsverhalten und eine positive Selbstwirksamkeits-Erwartung“. Hinzu kamen zum anderen bei allen enge emotionale Bindungen zu mindestens einer Bezugsperson sowie auch ein unterstützendes Netzwerk außerhalb der Familie.
Verschiedene Ressourcen wirken zusammen
Mittlerweile sind verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Schluss gekommen, dass bei der Entwicklung von Resilienz (neuro-)biologische, psychische und soziale Ressourcen zusammenwirken. Gemeinsam schützen sie einen Menschen vor der Entwicklung einer stressbedingten Erkrankung. Kurz zusammengefasst geschieht das durch eine positive Anpassung an den Stressfaktor – in der Psychologie oft als „Stressor” bezeichnet. Positive Anpassung meint Resistenz oder eine zeitnahe Erholung von der Moment-Überforderung. Eine negative Anpassung wären eben genannte psychische Störungen, Burnout oder ähnliche Erscheinungen.
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Resilienz kann man stärken
Die Voraussetzungen, die wir in der Kindheit mitbekommen haben, können wir natürlich im Nachhinein nicht mehr ändern – wir können aber mit ihnen arbeiten und uns aus ihnen weiterentwickeln. „Resilienz ist ein aktiver und dynamischer Prozess und kein starres Persönlichkeitsmerkmal“, erklärt das LIR: „Menschen ändern sich, während sie erfolgreich mit Stressoren umgehen.“ Das zeige sich an sich verändernden Sichtweisen, neu entwickelten Stärken und Kompetenzen, ebenso wie durch „die teilweise Immunisierung gegen die Auswirkungen zukünftiger Stressoren oder sogar als epigenetische Veränderungen und modifizierte Genexpressionsmuster.”
Wie das DRZ deutlich macht, ist Resilienz „das Endprodukt eines Anpassungsprozesses, der Stressoren nicht eliminiert, sondern Menschen befähigt, effektiv damit umzugehen.“ Dazu gehört einerseits zu erkennen, welche Verhaltensweisen bei der Bewältigung nicht funktionieren wie andererseits vor allem Strategien zur Krisenbewältigung zu entwickeln und die Resilienzfaktoren zu stärken.
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So können Sie Ihre Resilienz stärken
Eins vorweg: Resilienz ist – genauso wie Ihr Training – individuell verschieden. Für viele Menschen ist es ein andauernder (Lern-)Prozess, der von vielen Faktoren abhängig ist, wie etwa der Offenheit dafür.
Entsprechend sind die folgenden Tipps nicht abschließend und universal gültig. Sie sollen nur als erste Anhaltspunkte dienen.
Gefühle fühlen und akzeptieren
Lassen Sie Ihre Gefühle zu. Hochkommen tun sie ohnehin. Wehren Sie sich dagegen und schieben Sie sie weg, verschwinden sie vielleicht für den Moment, kommen aber wieder. Außerdem wächst der Widerstand und damit die Angst, sich wieder so zu fühlen. Üben Sie stattdessen jedes Gefühl zu akzeptieren und beobachten Sie Ihre Emotionen. Je mehr Sie sie zu- und einfach da sein lassen können, desto eher werden Sie sehen, dass Gefühle wie etwa Schmerz, Angst oder Trauer kommen und gehen. Es sind die Geschichten (und damit Gedanken), die wir um die Gefühle herumbauen, wegen derer wir mitunter leiden.
Ehrlich zu sich sein – Realitätscheck
Deshalb ist dies der nächste Punkt: Seien Sie ehrlich zu sich selbst und überprüfen Sie die Geschichte in Ihrem Kopf. Was ist hier tatsächlich Realität und was Ihre Interpretation oder angstvolle Voraussage? Ein Beispiel: Die Corona-Situation macht Ihnen fürchterliche Angst? Dann fragen Sie sich: Fühlen ich einfach das Gefühl oder kreiere ich in meinem Kopf Worst-Case-Szenarien und blicke entsprechend voller Sorge in die Zukunft?
Fokus verschieben
Liegt Ihr Fokus auf dem Problem (und damit auf der Angst), wird es schwer sein, es zu lösen. Statt sich darauf zu konzentrieren, was gerade alles fürchterlich ist und wie schlimm es noch werden kann, hilft es (nachdem Sie sich Zeit für die dabei hochkommenden Gefühle genommen haben), sich auf die Lösung zu konzentrieren: Was wünschen Sie sich? Was brauchen Sie dafür? Welche Schritte können Sie dahin gehen? Versetzen diese gezielten Gedanken Sie in einen neuen Wirbel von Angstgefühlen, brauchen diese noch mal verstärkt Raum.
Sich der eigenen Kraft bewusst werden
Im Angesicht von Machtlosigkeits- und Überforderungsgefühlen ist es schwer, trotzdem hilft es, Stück für Stück zu versuchen, sich seiner eigenen Kraft bewusst zu werden. Sie haben die „Macht”, Ihre Gedanken zu steuern, können sich also entsprechend auch für positives, lösungsorientiertes Denken entscheiden. Davon ausgehend gibt es diverse Handlungen, die Sie unternehmen oder auch unterlassen können. Ein Beispiel: Die Zeit, die Sie vielleicht damit zubringen, den schwarz ausgemalten Horrorszenarien anderer verängstigter Menschen zu lauschen, könnten Sie auch damit verbringen, sich zu überlegen, was Sie aus der Situation lernen und wie Sie daran wachsen können.
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Unterstützung suchen
Sie müssen das alles nicht allein machen. Klar, niemand kann Ihnen schmerzliche Gefühle nehmen. Aber: Sie können mit jemandem darüber sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Fühlen Sie sich mit jemand Außenstehendem besser, wenden Sie sich an einen Coach oder Therapeuten. Gerade wenn Sie merken, dass Sie aus Ihrer Gefühls- bzw. Gedankenschleife nicht allein rauskommen, ist es besonders ratsam, sich Hilfe zu suchen.
Sich Zeit für sich nehmen
Die vorangegangenen Tipps brauchen vor allem das: Raum. Wenn Sie von einem Termin zum nächsten rennen und Ihren Tag bis oben hin mit To Dos vollstopfen und sich dazwischen auf Social-Media-Kanälen oder mit Netflix die Zeit vertreiben, werden Sie die Resilienz vermutlich eher nicht stärken können. Sie wird eher schwächer werden. Gefühle brauchen Raum. Das Gleiche gilt für schöne Dinge, die Ihnen wirklich gut tun. Schaffen Sie sich zeitliche Räume fürs Lesen, Meditieren, Schlafen, Spazieren in der Natur, Enten füttern, Yoga oder was auch immer Sie zur Ruhe bringt und entspannt. Seien Sie ehrlich zu sich: Was tut Ihnen gut? Und Bier trinken, Junkfood essen und Netflix bingen zählt nicht – das lenkt nur ab, verbessert aber nichts.
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All diese Tipps lassen sich mit einem Wort zusammenfassen: Achtsamkeit. Üben Sie sich darin, bewusster zu werden und das in allen Lebensbereichen. Dann ist eine stärkere Resilienz eine logische Folge.
Resilienz in kleinen Momenten üben und stärken
„Dieser Text war für mich ein kleiner Test meiner eigenen Resilienz. Er ist eine Kombination meiner beiden Berufsbereiche: Journalismus und Coaching. Dieses Zusammenspiel ist neu für mich und das hat besonders eins getriggert: Perfektionismus. Ich wollte diesen Text richtig gut, nein, perfekt machen. Die Folge: Überforderung, mich wie ein Hochstapler und sowieso schon mal nicht gut genug zu fühlen – und dann auch überhaupt nicht mehr in der Lage sein, einen richtig guten Text zu schreiben. Was geholfen hat, waren alle Tipps zusammen, angefangen mit Nummer eins: diese Gefühle einfach zulassen und fühlen. Na gut, nicht einfach. Nach stundenlangem Zeug schreiben und wieder löschen, wurde die Unruhe in mir immer größer, sodass ich schließlich verstanden habe, dass da Gefühle Aufmerksamkeit wollen. Eine Stunde spazieren gehen, über das, was an Gedanken und Gefühlen hochkam, mit meinem Partner reden und diverse Male tief ein- und ausatmen haben geholfen. So konnte ich schließlich wieder zurück an diesen Text gehen und ihn so gut, wie ich es jetzt in diesem Moment eben kann, schreiben. Meine Unruhe ist nicht weg, aber ich kann sie hier sein lassen und trotzdem weitermachen – und finde daran etwas Positives: Genauso wie ich mir wünsche, dass ich hier etwas zusammenbastle, das für Sie irgendwie hilfreich ist und Sie vielleicht sogar in Ihrem Prozess unterstützen kann, lerne auch ich hier was dazu und sehe, wo ich in meinem Prozess stehe. Auch in kleinen Alltagsmomenten wie diesem zeigt sich die Resilienz – und noch viel wichtiger: lässt sie sich üben.” Anna Wengel, Autorin FITBOOK
* Brown, Brené: Die Gaben der Unvollkommenheit, S. 112/113