24. Januar 2021, 17:09 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Im Lockdown fürs Powerlifting trainieren? Ein Ding der Unmöglichkeit, sagt der 28-jährige Berliner Dominik. Er ist einer von vielen jungen Athlet*innen, denen der aktuelle Corona-Lockdown sehr zusetzt. Auf FITBOOK erzählt er, wie sich der Sportverzicht auf seine mentale Gesundheit auswirkt.
Der zweite Lockdown zieht sich immer länger. Das ist psychisch belastend, weil er viele von uns zwingt, auf Aktivitäten zu verzichten, die unserem Leben bisher Halt gaben und unseren Alltag prägten. Umfragen aus dem vergangenen Jahr zeigen: Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene leiden unter Ängsten und einer depressiven Stimmung. FITBOOK hat junge Athleten und Athletinnen im Alter von 18 bis 28 Jahren deshalb gefragt: Wie fühlt ihr euch gerade? Wie wirkt sich der plötzliche Sportverzicht auf eure mentale Gesundheit aus? Wie geht ihr mit dem Verlust der Alltagsroutine um? Und wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf eure Ziele und euer Selbstbewusstsein aus? Im ersten Teil unserer Serie beschreibt Powerlifter Dominik wie der Lockdown seiner mentalen Gesundheit zusetzt.
„Vor der Corona-Pandemie habe ich sechsmal die Woche für mindestens zwei Stunden trainiert. Diese Routine halte ich seit meinem 14. Lebensjahr ein. Für mich gibt es wenig Gründe, dieser selbstauferlegten Pflicht nicht nachzukommen. Gebrochene Knochen oder eine mittelschwere Lebensmittelvergiftung gehören nicht dazu. Nur bei besonders schweren Verletzungen habe ich in der Vergangenheit eine Pause eingelegt – und dann meistens viel zu kurz. Das viele Trainieren fühlte sich natürlich an, wie Zähneputzen am Morgen. Ich kann mir keinen anderen Lebensstil vorstellen. Denn ich nutze meine Zeit gerne, um mich in dem, was ich liebe und was mich erfüllt, zu verbessern. Das Powerlifting hat einen großen Teil meiner Identität geformt. Vieles von dem, was mich ausmacht, habe ich durch diesen Sport gelernt.
Was ist Powerlifting?
Powerlifting (oder Kraftdreikampf) ist eine Wettkampfsportart des Kraftsports und setzt sich aus den drei Disziplinen Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben zusammen.
Kinderspielplatz statt Fitnessstudio
Im ersten Lockdown war ich noch sehr gelassen. Mittlerweile fühle ich mich, als würde ich verbrennen. Ich bemerke den körperlichen Abbau immer mehr. Als würde mein gesamter Körper rosten oder verkalken. Ich fühle mich unwohl mit meinem Aussehen. Den Blick in den Spiegel vermeide ich dementsprechend, wann immer es möglich ist. Morgens komme ich nur schwer aus dem Bett, denn mir fehlt ein Grund aufzustehen. Klar, ich arbeite, ich studiere, ich treffe ein paar ausgewählte Freunde. Doch was mir fehlt, ist die eine essenzielle Komponente, die mich körperlich wie geistig geformt und täglich beansprucht hat.
Das Powerlifting so auszuführen wie davor, ist unmöglich. Mir fehlen die nötigen Hanteln und Gewichte. Durch die aktuellen Maßnahmen gibt es keinen legalen Weg, sinnvoll zu trainieren. In Berlin gibt es mittlerweile eine Underground-Fitnessszene und illegale Gyms: Eine Stunde in solchen Studios kostet 20 bis 25 Euro. Ein utopischer Preis für mein Work-out-Pensum. Bekannte von mir trainieren nachts illegal in einem Jugendzentrum, für das sie sich Schlüssel nachgemacht haben. Es gibt auch ein paar Leute, die sich das nötige Equipment für zu Hause bestellt haben. Aber das ist mit mehreren Tausend Euro Kosten und massiven Platzaufwand verbunden. Schließlich trainieren wir nicht mit 5-Kilogramm-Hanteln, sondern mit Gewichten, die zwischen 100 und 200 Kilogramm wiegen. Ich persönlich trainiere so oft wie möglich mit einigen Freunden auf einem Kinderspielplatz.
Dafür benutzen wir Seile aus dem Baumarkt, Steine, die wir von Baustellen geklaut haben, und unser eigenes Körpergewicht. Spaß macht es nicht. Wenn der Regen einem bei Minusgraden ins Gesicht peitscht, fühlt man sich wie in einem schlechten Teil der „Rocky“-Filme.
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Mentale Gesundheit im Lockdown – Schlafstörungen und Konzentrationsverlust bei Powerlifter Dominik
Bei Kälte und Regen ein paar Klimmzüge im Freien zu machen, macht mich eher depressiv, als das es mich körperlich oder geistig fordert. Das gilt auch für meine Trainingspartner: Wir sind wie eine lustige Bande trauriger Clowns, die die Spielplätze Berlins unsicher macht. Trotzdem versuche ich mich auf das zu konzentrieren, was ich tun kann, statt darüber nachzudenken, was ich nicht kann. Es geht jetzt nur darum, den Schaden, den meine Performance davonträgt, zu minimieren und abzuwarten. Der Gedanke, hoffentlich bald wieder tun zu können, was ich liebe, hält mich gerade am Leben.
Es ist schwer in Worte zu fassen, was gerade in mit vorgeht. Die „neu gewonnene“ Zeit kann ich nicht nutzen. Denn seitdem ich nicht mehr richtig trainieren kann, leide ich an Schlaflosigkeit und kann mich nur schwer konzentrieren. Ich versuche die aktuelle Situation wie einen Aufenthalt im Gefängnis auszusitzen und dabei möglichst keine anderen Häftlinge mit einer spitzen Zahnbürste anzugreifen. Vielleicht lässt sich meine mentale Gesundheit ganz gut mit einem Vergleich zu der Girlgroup Destiny’s Child aus den Neunzigern beschreiben: Vor dem ersten Lockdown war meine Psyche Beyoncé – mittlerweile ist sie bei Michelle angekommen.
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„Ich lebe für Kraft und den Kraftsport“
Die Maßnahmen geben mir das Gefühl, in einer aufgezwungenen Hilflosigkeit zu leben. Ich bin hungrig nach Freiheit. Ich will wieder stark und selbstbestimmt leben. Aktuell toleriere ich den Verzicht, aber ich akzeptiere ihn nicht. Darüber nachzudenken, wie lange dieses trostlose Aushalten noch weiter geht, macht mir Angst. Ich lebe für Kraft und den Kraftsport. Und jetzt ist es vielleicht an der Zeit, wahre Kraft zu zeigen und die Schwachen zu schützen. Auch wenn dadurch meine eigene Welt ein wenig in Trümmern liegt.“
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Natürlich ist mein Schicksal nicht das schwerste in so einer Krise. Mich frustriert gerade vor allem die Situation in Flüchtlingslagern. Hier in Deutschland wird davon gesprochen, durch die Corona-Maßnahmen Menschenleben zu retten. Doch die dort aktuell herrschenden Lebensbedingungen zu sehen, macht mich wütend – und dadurch verliere ich auch die Relation zu den mir auferlegten Verzichten.
Wie Sie sehen, ist es keine einfache Situation für einen Powerlifter im Lockdown – nicht nur für sein Krafttraining, sondern speziell in Bezug auf die mentale Gesundheit. Vielleicht gibt Ihnen dieser persönliche Einblick ein bisschen Mut und Inspiration für Ihren eigenen Kampf mit den Lockdown-Restriktionen. Stay strong!
Protokolliert von Katharina Kunath
FITBOOK sucht die besten Lockdown-Transformationen
Viele Fitness-Fans kämpfen seit dem ersten Lockdown mit Motivationsproblemen und fühlen sich aufgrund abgesagter Mannschaftstrainings oder geschlossener Gyms, Schwimmbäder und Co. völlig aus dem Tritt gebracht. Aber es gibt auch andere Beispiele von Menschen, die sich eine neue Routine geschaffen haben und sogar für sich positive optische und mentale Veränderungen erreicht haben. Gehören Sie dazu? Dann schicken Sie uns Ihre Geschichte oder Ihr Video an info@fitbook.de. Die besten Transformationen werden wir im Rahmen eines Beitrags veröffentlichen, um andere Menschen zu motivieren.