31. Januar 2025, 17:01 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Warum altern manche Menschen geistig fit und gesund, während andere frühzeitig kognitiv abbauen oder sogar Demenz entwickeln? Eine neue Studie zeigt: Die eigene Persönlichkeit könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Wissenschaftler identifizierten drei psychologische Profile, die verschieden hohe Risiken für Demenz aufweisen.
Die Alterung der Gesellschaft stellt große Herausforderungen für das Gesundheitssystem dar, insbesondere im Hinblick auf die Prävention von Demenz. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft berichtet, dass hierzulande rund 1,84 Millionen Menschen an einer Demenzerkrankung leiden. Laut Prognosen wird sich die Zahl der Menschen über 65 Jahre mit Demenz bis 2050 auf 2,3 bis 2,7 Millionen erhöhen.1 Die Forschung sucht daher nach Möglichkeiten, das Risiko für kognitiven Abbau frühzeitig zu erkennen und so präventive Maßnahmen vornehmen zu können. Vergangenes Jahr identifizierte eine britische Kohortenstudie 15 Risikofaktoren für eine früh einsetzende Demenz – darunter Depressionen und Vitamin-D-Mangel. Was bisher jedoch außer Acht gelassen wurde, ist die Persönlichkeit eines Menschen. Eine kürzlich erschienene internationale Studie hat drei Persönlichkeitstypen identifiziert, die jeweils ein unterschiedliches Demenzrisiko aufweisen.
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Übersicht
Psychologische Risikofaktoren standen im Fokus der Studie
Ziel der Studie war es, psychologische Profile von Erwachsenen mittleren und höheren Alters zu identifizieren und deren Zusammenhang mit mentaler Gesundheit, kognitiver Leistungsfähigkeit und Gehirnstruktur zu beleuchten.2 Die Forscher wollten herausfinden, ob bestimmte Kombinationen psychologischer Merkmale – also nicht nur einzelne Faktoren wie Depression oder Stress – mit kognitivem Abbau im Alter in Verbindung stehen. Studienleiter David Bartrés-Faz von der Universität Barcelona erklärt in einer Pressemitteilung: „Bislang wurden psychologische Risiko- und Schutzfaktoren fast ausschließlich unabhängig voneinander untersucht: Dieser Ansatz ist einschränkend, da psychologische Merkmale nicht isoliert existieren.“3
Die Studienautoren erklären eingangs, dass frühere Untersuchungen bereits gezeigt hätten, dass psychologische Merkmale Einfluss auf die geistige Gesundheit im Alter haben können. Während Faktoren wie eine hohe Lebenszufriedenheit, Selbstreflexion oder einen Sinn im Leben zu sehen als schützend gelten, sind emotionale Labilität (Neurotizismus) und wiederkehrendes negatives Denken mit einem erhöhten Demenzrisiko assoziiert.
Im Zentrum der Studie steht daher die Frage: Gibt es bestimmte Persönlichkeitstypen, die sich günstig oder ungünstig auf das Gehirn und damit auf das Demenzrisiko auswirken?
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Wie die Wissenschaftler vorgingen
Zur Beantwortung der Frage wurden Daten über 1.000 kognitiv gesunden Erwachsenen aus zwei unabhängigen Studienkohorten – der Barcelona Brain Health Initiative (BBHI) und der Medit-Ageing-Studie – analysiert. Aus der ersten stammen die Daten von 750 Teilnehmenden im mittleren Alter (durchschnittlich 51,4 Jahre). Aus der zweiten entnahmen die Forscher Daten von 282 älteren Erwachsenen (durchschnittlich 71,1 Jahre). Dabei wurden in beiden eine Querschnittsanalyse und in der BBHI auch eine Längsschnittanalyse durchgeführt. Dafür nahm ein Teil der BBHI-Teilnehmenden nach 2,3 Jahren erneut an Untersuchungen teil, sodass die Wissenschaftler etwaige Veränderungen in Kognition und Hirnstruktur erfassen konnten.
Mittels latenter Profilanalyse (LPA), einer Methode zur Identifikation verborgener Muster psychologischer Merkmale bei Einzelpersonen, wurden die psychologischen Profile anhand von neun Faktoren gebildet. Diese umfassten sowohl Risikofaktoren (z. B. Grübeln, Neurotizismus) als auch Schutzfaktoren (z. B. Lebenssinn, Selbstreflexion).
Weiterhin führten die Wissenschaftler kognitive Tests mit den Probanden durch, um die geistige Leistungsfähigkeit zu messen. Daneben nutzten sie MRT-Aufnahmen, um die Hirnstruktur zu analysieren. Außerdem wurden Gesundheits- und Lebensstilfaktoren wie Schlafqualität und soziale Kontakte erfasst.
Studie identifiziert 3 psychologische Profile
Und, gibt es eine „Demenz-Persönlichkeit“? Bartrés-Faz und sein Team konnten drei Persönlichkeitstypen und ihr jeweiliges Demenzrisiko identifizieren.
- Profil 1 („geringe Schutzeigenschaften“): Probanden dieses Profils zeigten sich wenig zielstrebig und offen für Neues. Zudem war ihre Bereitschaft zu einer gesunden Lebensweise gering. Diese Gruppe wies eine schlechtere kognitive Leistung auf, insbesondere im höheren Alter. Im mittleren Alter war die Ausdünnung der grauen Substanz beschleunigt. Dieses Profil hat das höchste Demenzrisiko.
- Profil 2 („Hohes Risiko-Profil“): Personen, bei denen Eigenschaften wie Grübeln, Stressanfälligkeit und negative Gedanken ausgeprägt waren. Sie litten häufiger unter Depressionen, Angststörungen, Schlafproblemen und sozialer Isolation. Ihr Demenzrisiko ist erhöht, allerdings geringer als in Profil 1.
- Profil 3 („Gut ausbalanciertes Profil“): Diese Gruppe hatte sowohl moderate Schutz- als auch niedrige Risikofaktoren. Sie waren z. B. wenig stressanfällig und offen für Neues. In allen getesteten Bereichen erzielten sie die besten Werte: mentale Gesundheit, Kognition und Gehirnstruktur.
Überraschenderweise zeigte Profil 2 keine stärkeren kognitiven Einschränkungen oder Hirnveränderungen. Das deutet darauf hin, dass emotionale Belastung und kognitiver Abbau unterschiedliche Pfade nehmen könnten.
Bedeutung der Ergebnisse
Die Studie hebt hervor, dass psychologische Faktoren nicht nur die mentale Gesundheit beeinflussen, sondern auch kognitive Alterungsprozesse. Besonders relevant ist, dass Personen mit geringen Schutzfaktoren – auch ohne ausgeprägte Stresssymptome – einem höheren Risiko für kognitive Einschränkungen und Hirnatrophie ausgesetzt sein könnten. Bartrés-Faz erläutert: „Diese Assoziationen wurden in allen untersuchten Altersgruppen beobachtet, was die Bedeutung eines ausgewogenen Spektrums psychologischer Aspekte als bestimmende Größe der psychischen und kognitiven Gesundheit im Erwachsenenalter und im höheren Alter unterstreicht.“
Sollten diese Ergebnisse in Studien mit höheren Teilnehmerzahlen bestätigt werden können, könnten sie Auswirkungen auf die Entwicklung künftiger Präventionsmaßnahmen haben, die darauf abzielen, psychologische Faktoren und Lebensstile zu verändern. „Zum Beispiel könnten Menschen mit Merkmalen, die mit dem psychologischen Profil mit geringen Schutzfaktoren vereinbar sind, mehr von psychologischen Therapien profitieren, die die Identifizierung oder Neuidentifizierung wertvoller Verhaltensweisen und Lebenszwecke beinhalten, wie etwa Akzeptanz- und Commitmenttherapie“, so Bartrés-Faz. Sprich: Die Prävention von Demenz könnte besser individuell an einen Menschen angepasst werden.
Einordnung der Studie
Wenngleich die Studie wertvolle Erkenntnisse über die Rolle psychologischer Faktoren im Alterungsprozess liefert, so weist sie auch Einschränkungen auf. Zum einen lagen nur begrenzt Langzeitdaten vor, da nur in eine der beiden Kohorten nach 2,3 Jahren erneut untersucht wurde. Da die untersuchten Kohorten hauptsächlich aus Europa stammen, werden kulturelle Unterschiede in der psychologischen Veranlagung und Lebensweise nicht vollständig abgebildet. Entsprechend können die Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf andere Bevölkerungsgruppen übertragen werden. Das Design der Studie erlaubt zudem nur Korrelationen festzustellen. Sie kann aber nicht zweifelsfrei belegen, ob psychologische Profile ursächlich für kognitive und hirnstrukturelle Veränderungen sind. Zuletzt ist zu erwähnen, dass keine Demenz-spezifischen Biomarker analysiert wurden, sodass die direkten Auswirkungen auf das Demenzrisiko noch weiter untersucht werden müssen.
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Fazit
Die Studie zeigt, dass Persönlichkeitstypen die kognitive und mentale Gesundheit im Alter beeinflussen. Besonders wichtig ist die Erkenntnis, dass nicht nur klassische Risikofaktoren wie Stress oder Depressionen relevant sind, sondern auch das Fehlen schützender Eigenschaften das Risiko für kognitiven Abbau erhöhen kann. Für die Prävention bedeutet dies, dass neben körperlichen und verhaltensbezogenen Faktoren auch psychologische Aspekte stärker in den Fokus rücken sollten.