30. Oktober 2020, 5:26 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Schlafstörungen haben meist psychische Ursachen. Nun haben Forscher ein mutiertes Gen entlarvt, das unsere innere Uhr verstellt – mit dem unangenehmen Effekt, dass wir nur schwer und extrem spät einschlafen können. Daraus könnten sich neue therapeutische Ansätze für Menschen mit Schlafstörungen ergeben.
Betroffene kennen das Problem: Obwohl man es rechtzeitig ins Bett geschafft hat, will der Schlaf einfach nicht eintreten. Stattdessen wälzt man sich genervt hin und her und überschlägt im Kopf, wie viele Stunden Schlaf einem gerade durch die Finger rinnen. So geht es Nacht für Nacht, bis Schlafmangel und Überreizung irgendwann ihren Tribut fordern – und die Suche nach den Ursachen für die Schlafstörungen beginnt.
Forscher der University of California bringen nun ein mutiertes Gen ins Spiel. Ihre Erkenntnisse wurden im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht.
Einer von 75 Menschen trägt das „Schlafstörungs-Gen“
„Menschen, die dieses mutierte Gen in sich tragen, können oft erst nach zwei Uhr nachts einschlafen und haben große Probleme, morgens aufzustehen“, heißt es in der Pressemitteilung. Entdeckt wurde das „Schlafstörungs-Gen“ bereits 2017, wobei die Wissenschaftler feststellten, wie weit diese genetische Veränderung tatsächlich verbreitet ist. Besonders häufig kommt es im europäischen Raum vor, wo es geschätzt einer von 75 Menschen in sich trägt – ohne es zu ahnen. Die neuesten Forschungen haben jetzt die Mechanismen hinter der Gen-Mutation entschlüsselt und weisen zudem Wege möglicher Behandlungen auf.
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Wie das entlarvte Cryptochrom Menschen den Schlaf raubt
Vereinfacht erklärt: In unseren Genen sorgen sogenannte Uhrenproteine dafür, dass sich unsere innere Uhr mit der Umwelt im Einklang befindet: Wenn es dunkel wird, reagieren wir im Optimalfall mit wohliger Müdigkeit; geht die Sonne auf, sind wir putzmunter und ausgeschlafen. Diese Aufgabe erledigen in erster Linie vier Proteine namens CLOCK, BMAL1, Periode und Cryptochrom. Letztere sind ziemlich anfällig für Mutationen. Bei einem mutierten Cryptochrom fehlt ein Mini-Segment am „Schwanz“ des Proteins. Dies löst eine Kettenreaktion aus und bringt, durch eine Art Rückkopplungs-Effekt, auch die normal funktionierenden Proteine durcheinander. Die Folge: Betroffene können nur sehr schwer und spät einschlafen – ihre innere Uhr wurde verstellt.
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Interessant: Diese – übrigens relativ häufige – genetische Variation kann übrigens auch in die andere Richtung ausschlagen: Menschen, die sehr früh am Abend müde werden und im Gegenzug mitten in der Nacht in den Tag starten könnten.
Dramatische Auswirkungen auf Schlafmuster
„Diese Mutation hat dramatische Auswirkungen auf die Schlafmuster der Menschen. Daher ist es für uns eine aufregende Sache, den Mechanismus dahinter identifiziert zu haben“, schreibt Studienautorin Prof. Carrie Partch. „Das Schlafverhalten ist komplex. Menschen bleiben aus vielen verschiedenen Gründen lange wach. Und Störungen können schwer zu diagnostizieren sein. Die Entdeckung einer relativ häufigen genetischen Variation im Zusammenhang mit einer Schlafphasenstörung ist daher eine bemerkenswerte Entwicklung.“
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Neue therapeutische Ansätze für Menschen mit Schlafstörungen
Die Erkenntnisse der Wissenschaftler sollen nun dabei helfen, neue Therapiemöglichkeiten zur Behandlung von Schlafstörungen zu entwickeln. Da die meisten Schlafmittel stark abhängig machen und nur über einen kurzen Zeitraum eingenommen werden dürfen, bietet das entlarvte Cryptochom ganz neue Möglichkeiten. „Wir könnten beispielsweise Medikamente entwickeln, die sich an das mutierte Gen heften und somit den gleichen Zweck erfüllen wie der fehlende Schwanz am Cryptochrom-Protein“, wird Partch zitiert.
Falls es einmal so weit sein sollte, könnte solch ein Präparat allein hierzulande die Nächte und somit das Leben von Zehntausenden Menschen verbessern.