20. September 2024, 16:30 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Millionen von Menschen leiden an (chronischen) Schmerzen. Doch nicht immer ist ein Schmerzmittel vonnöten, denn offenbar gibt es eine medikamentenfreie Methode, um Schmerzen zu lindern. US-Forscher fanden heraus, dass Meditation gezielt neuronale Schmerzschaltkreise beeinflussen kann – und zwar besser als der bekannte Placebo-Effekt. FITBOOK-Autorin Sophie Brünke berichtet.
Unser Schmerzempfinden wird durch neurologische Prozesse im Rückenmark und Gehirn beeinflusst. Aber auch fernab körperlicher Empfindung können andere Faktoren, etwa die Einstellung einer Person und ihren Erwartungen an den Schmerz, dazu beitragen. Teils sorgt das Schmerzgedächtnis sogar dafür, dass Körperstellen wehtun, obwohl die Ursache behoben wurde. Eine medikamentöse Behandlung gestaltet sich in diesem Falle schwierig. Stattdessen suchen Betroffene Strategien, die ihr subjektives Schmerzempfinden lindern und damit die psychische Belastung verringern können. Ein bekanntes Beispiel ist hierbei der Placebo-Effekt; er lindert Beschwerden ohne aktives Eingreifen, es handelt sich lediglich um eine Scheinbehandlung. Laut einer neuen Studie kann Meditation eine noch wirksamere Strategie gegen Schmerzen sein.
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Übersicht
Meditation gegen Schmerzen – kann das funktionieren?
Meditation wird inzwischen teilweise von Krankenkassen zur Reduktion von Stress und zur Schmerzlinderung empfohlen. Richtig ausgeführt, können diese entspannend wirken. Und das zeigt sich offenbar auch im Gehirn. In der Vergangenheit wurde vermutet, dass Meditation lediglich auf dem Placebo-Effekt beruhe. Doch Gabriel Riegner von der University of California in San Diego und sein Team konnten mit einem modernen Forschungsansatz die Aktivität im Gehirn bei verschiedenen schmerzlindernden Strategien beobachten – und konnten wesentliche Unterschiede feststellen.1
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Probanden erhielten Schmerzreiz
An der Studie nahmen 115 gesunde Probanden teil. Diese wurden nach dem Zufallsprinzip in vier Interventionsgruppen aufgeteilt, welche unterschiedliche Strategien gegen das Schmerzempfinden testeten:
- Gruppe 1: geführte Achtsamkeitsmeditation
- Gruppe 2: Schein-Meditation (nur tiefes Atmen)
- Gruppe 3: Placebo-Creme (Vaseline); Teilnehmer sollten glauben, sie lindere Schmerzen
- Gruppe 4: Kontrollgruppe, hörte ein Hörbuch
Die Forscher übten einen schmerzhaften, aber ungefährlichen Wärmereiz auf der Rückseite des Beins der Probanden aus und scannten ihre Gehirne vor und nach den Interventionen mittels messfunktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRT). Außerdem sollten die Teilnehmer ihr subjektives Schmerzempfinden angeben.
Modernes Verfahren analysiert Hirnaktivitäten
Um die gemessenen Gehirnaktivitätsmuster der Teilnehmer zu analysieren, verwendeten die Forscher einen neuartigen Ansatz namens multivariate Musteranalyse (MVPA). Diese Methode verwendet maschinelles Lernen, um die vielen komplexen neuronalen Mechanismen, welche dem Schmerzempfinden zugrunde liegen, zu entwirren. Dazu gehören auch Mechanismen, die durch den Placebo-Effekt ausgelöst werden, etwa bei bestimmten Wärmereizen, negativen Emotionen und Schmerzreaktionen. Die Forscher konnten anhand der Aktivitätsmuster feststellen, welche Prozesse Meditation und Placebo im Gehirn auslösen.
Meditation wirkt auf Schmerzschaltkreise im Gehirn
Das Ergebnis: Sowohl die Placebo-Creme als auch die Scheinmeditation konnten die Schmerzen lindern, am stärksten ausgeprägt war dieser Effekt jedoch durch Meditation. Spannend war, dass die Reaktionen des Gehirns sich je nach Strategie deutlich unterschieden.
So bewirkte die Meditation eine Schmerzlinderung, indem sie die Synchronisation zwischen Gehirnbereichen verringerte, die an Selbstbeobachtung, Selbstwahrnehmung und emotionaler Regulierung beteiligt sind. Diese Teile des Gehirns bilden zusammen das neuronale Schmerzsignal (NPS), ein dokumentiertes Aktivitätsmuster des Gehirns, das bei verschiedenen Personen und verschiedenen Schmerzarten als üblich gilt. Im Gegensatz dazu zeigten die Placebo-Creme und die Scheinmeditation im Vergleich zur Kontrollgruppe keine signifikante Veränderung des NPS. Stattdessen griffen diese Interventionen in gänzlich unterschiedliche Gehirnmechanismen ein.
In einer Pressemitteilung der Universität erklärte Studienautor Fadel Zeidan: „Lange Zeit wurde angenommen, dass sich der Placebo-Effekt mit Gehirnmechanismen überschneidet, die durch aktive Behandlungen ausgelöst werden, aber diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass dies bei Schmerzen nicht der Fall ist. Stattdessen sind diese beiden Gehirnreaktionen völlig unterschiedlich, was den Einsatz von Achtsamkeitsmeditation als direkte Intervention bei chronischen Schmerzen unterstützt und nicht als eine Möglichkeit, den Placebo-Effekt zu aktivieren.“2
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Einordnung der Studie und Ausblick
Da die vorliegende Studie ergab, dass Meditation den Placebo-Effekt übertrifft und andere neurobiologische Prozesse als dieser aktiviert, sind die Erkenntnisse bedeutsam für die Entwicklung neuer Behandlungen für chronische Schmerzen. Auch der neuartige Einsatz von MVPA ist hervorzuheben. Allerdings wurden in dieser Studie ausschließlich Gesunde untersucht. Wie gut die Meditation bei Patienten mit chronischen Schmerzen hilft und ob sich auch dort spezifische Effekte im Gehirn zeigen, müssen Folgestudien untersuchen. Die Forscher zeigen sich jedoch optimistisch: „Unser Geist ist mächtig und wir sind erst dabei, zu verstehen, wie wir diese Macht für die Schmerzbekämpfung nutzen können“, so Zeidan.
Auf lange Sicht setzen die Wissenschaftler sich das Ziel, einfach zugängliche Interventionen entwickeln können, welche die Kraft der Meditation nutzen, um Schmerzen bei Menschen mit unterschiedlichen Gesundheitszuständen zu lindern.
„Millionen Menschen leben täglich mit chronischen Schmerzen und diese Menschen können möglicherweise mehr tun, um ihre Schmerzen zu lindern und ihre Lebensqualität zu verbessern, als wir bisher dachten“, resümiert Zeidan. „Wir freuen uns darauf, die Neurobiologie der Achtsamkeit weiterzuerforschen und herauszufinden, wie wir diese uralte Praxis in der Klinik nutzen können.“