1. August 2020, 6:27 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Sie ist die „Arzneipflanze des Jahres 2020“ und hat weit mehr zu bieten als einen hübschen Anblick und einen schönen Duft: Lavandula angustifolia, auch als Echter Lavendel bekannt, hat es in Sachen medizinischer Wirkung ganz schön in sich. Was die Pflanze mit unserer Psyche anstellt und welchen starken chemischen Beruhigungsmitteln sie sogar überlegen sind, darüber hat FITBOOK mit einer Heilpflanzenexpertin gesprochen.
Es scheint fast so, als habe die Natur mit Lavendel absichtlich eine Pflanze „erfunden“, die den Menschen ein gutes Gefühl geben soll. Als Arzneimittel taugt sie aber weniger dazu, Wehwehchen zu beseitigen, die Wirkung ihrer Inhaltsstoffe entfalten sich vor allem im Kopf – und zwar ganz ohne Placebo-Effekt, wie zahlreiche Doppelblind-Studien bereits belegen konnten. „Lavendel ist eine Seelenpflanze“, weiß Dr. Ursula Stumpf, Pharmazeutin, Kräuterexpertin und Autorin des Buches „Unsere Heilkräuter – bestimmen und anwenden“. Auch die geistliche Universalgelehrte Hildegard von Bingen erkannte bereits im 12. Jahrhundert: „Lavendel schenkt reines Wissen und klares Verstehen.“ Wie das purpurne Gewächs das anstellt, war lange Zeit ein Geheimnis – bis sich die Wissenschaft vor einigen Jahrzehnten damit begann, sich den Lavendel einmal genauer anzuschauen.
Die Wirkung von Lavendel im Gehirn
„Über die Wirkung im Gehirn gibt es spannende neue Erkenntnisse“, sagt Dr. Ursula Stumpf zu FITBOOK. „Die im Öl enthaltenen Hauptwirkstoffe Linalool und Linalylacetat docken an die sogenannten Calciumkanäle im Gehirn an und blockieren so den Fluss der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin.“ Bei sehr gestressten, ängstlichen und nervösen Menschen seien besagte Kanäle zu weit offen. Lavendel wirke da wir eine Art Bremse, der den aufwühlenden Botenstoffen den Weg versperrt. Der Effekt: Ruhe, Entspannung, innere Ausgeglichenheit sowie leichteres Einschlafen. „Hinzu kommt, dass der Abbau des Glücksbotenstoffs Serotonin gehemmt wird“, erklärt Stumpf weiter. „So verschwinden nicht nur Angstgefühle, sondern mitunter auch Albträume.“ Sogar bei schwereren psychischen Leiden wie Traumata oder heftigen Panikattacken soll Lavendel einen wichtigen heilsamen Beitrag leisten. Und nicht zuletzt wird dem Lavendel nachgesagt, bei Liebeskummer zu helfen.
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Studien: Lavendel ist sogar Valium überlegen
Eine Untersuchung unter Leitung des deutschen Duftforschers Prof. Hans Hatt offenbarte, dass die Wirkstoffe ebenso auf die GABA-Rezeptoren im Gehirn ansprechen. Das sind jene Stellen, über die auch stark süchtig machende Beruhigungsmittel wie Valium (gehört zur Gruppe der Benzodiazepine) ihre Wirkung entfalten. Prof. Hatt kam in einem Laborversuch mit Mäusen zu dem Schluss, dass Lavendel einen besseren Job erledigt als Stimmungsaufheller und Schlaftabletten – und das ganz ohne Abhängigkeitspotenzial. Auch Heilpflanzenexpertin Dr. Ursula Stumpf ist davon überzeugt: „Medizinisches Lavendelöl in Kapselform kann chemische Medikamente absolut ersetzen.“
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Lavendel in der Antibiotika-Forschung
Der Name Lavendel stammt übrigens von lavare (lat. für waschen). Die antiken Römer nutzten die Pflanze als Zusatz für ihr Wasch- und Badewasser, da es zuverlässig Keime, Bakterien, Pilze und sogar Viren abtötet. „Das erklärt auch, warum Lavendelbauern nachweislich viel seltener erkältet sind und insgesamt ein besonders starkes Immunsystem haben“, sagt Stumpf zu FITBOOK. Ein Fakt, mit dem sich übrigens auch die Antibiotika-Forschung aktuell beschäftigt. „Wie neuere Untersuchungen ergeben, sind die Lavendelwirkstoffe in der Lage, den ‚Tarnmodus‘, mit denen sich Bakterien vor Antibiotika schützen, aufzubrechen“, weiß Stumpf. Quorum Sensing heißt das Phänomen, bei denen sich die Bakterien eine Art Schutzhülle zulegen. Lavendel mache als willkommenes Helferlein besagte Hülle löchrig, sodass Antibiotika wieder richtig wirken können. Es besteht diesbezüglich noch Forschungsbedarf, doch erweist sich die Pflanze als sehr vielversprechend.
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Die spirituelle Seite von Lavendel
Und da ist noch eine Seite an Lavendel, die sich mit den üblichen wissenschaftlichen Methoden nicht unbedingt erklären lässt, ergänzt die Pflanzenexpertin im FITBOOK-Interview. „Viele Menschen fühlen sich mit Lavendel auf besondere Art verbunden. Sie lieben den Geruch, seinen Anblick und haben eine eigene Pflanze auf dem Balkon.“ Echtes, naturreines Lavendelöl (nicht Lavendin) in einer Duftlampe wirke zudem unterstützend bei Meditationsübungen, und nicht zuletzt sorgt bereits der Anblick eines Fotos, auf dem ein Lavendelfeld abgebildet ist, bei manchen für Entspannungsgefühle. „Ich bin davon überzeugt, dass die Pflanze besonders die Menschen anspricht, die Lavendel und ihre Wirkung gerade brauchen“, glaubt Stumpf.
„Die Farbe Lila repräsentiert zudem nach der indischen Chakra-Lehre das sogenannte Kronen-Chakra, das über dem Kopf sitzt. Das ist dort, wo nach Vorstellung der Hindu und Buddhisten das Geistige in die Seelen-Ebene übergeht. Man muss natürlich einen gewissen Zugang dafür haben, um das zu erfahren. Aber am Ende ist es genau das, was Hildegard von Bingen auch über die Pflanze gesagt hat.“ Dass ausgerechnet Lavendel im Herbst 2019 zur „Arzneipflanze des Jahres 2020“ gekürt wurde, mag für spirituelle Menschen – angesichts des aktuellen Weltgeschehens – rückblickend vielleicht kein Zufall gewesen sein.
Fest steht jedenfalls: Lavendel ist in vielerlei Hinsicht unser Verbündeter. Die Heilpflanze hält im Säckchen oder als Wischwasser-Zusatz Motten und andere Ungeziefer aus der Wohnung fern, lockt aber auf dem Balkon Bienen heran.
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Als Kräuterexpertin weiß Dr. Ursula Stumpf ebenso über die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten Bescheid. Für ihre einfachen Lavendelrezepte eignet sich übrigens der handelsübliche, winterharte Lavendel, der auch in unseren Breitengraden wächst. Dieser ist glücklicherweise auch die Lavendelsorte mit der besten medizinischen Wirkung.
Klärendes Lavendel-Gesichtswasser
Anleitung: Morgens drei frisch gepflückte Blütenstände mit dem Kopf zuerst in 100 Milliliter Wasser eintauchen und bis zum Abend stehen lassen. Vor dem Zubettgehen das Gesicht sanft mit dem Lavendelwasser reinigen.
Wirkung: Soll straffen, klären und für super zarte Haut sorgen.
Entspannender Lavendel-Tee
Anleitung: Zwei bis drei Blütenstände mit heißem Wasser übergießen und einige Minuten ziehen lassen. Eine Tasse frischer Lavendeltee vor dem Einschlafen ist ein wunderbar entspannendes Abendritual.
Wirkung: Macht müde, zufrieden und fährt die Gedanken runter.
Aromatisierter Lavendelhonig
Anleitung: Nach Belieben viele Blütenstände mit Honig übergießen, das Glas fest verschrauben und mindesten vier Wochen stehen lassen. Das Lavendelaroma geht so an den Honig über und sorgt auf dem Sonntagsbrötchen für einen herrlich intensiven Geschmack, der direkt aus der „Haute cuisine“ stammen könnte
Edle Lavendelplätzchen
Zubereitung: 150 Gramm Butter und 115 Gramm Zucker schaumig rühren, 1 Ei dazugeben. 1 Esslöffel getrocknete Lavendelblüten, 170 Gramm Mehl und 1 Teelöffel Backpulver unterheben.
Zwei Bleche mit Backpapier auslegen und den Teig löffelweise darauf geben. Im Ofen bei 180 Grad / Stufe 4 in etwa 15 bis 20 Min goldbraun backen. Vor dem Anbieten mit frischen Blüten verzieren. Schön zum Tee!
Wichtig: Lavendel bzw. Lavendelöl niemals direkt bei Babys und Kleinkindern anwenden. Ein kleines Lavendelkissen in der Wiege zur Schlafförderung ist allerdings unbedenklich.