17. April 2024, 11:01 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Schlaf ist wichtig: sowohl kurzfristig, z. B. für eine gute Konzentration tagsüber, als auch langfristig für die Gesundheit. Eine gute Nachtruhe hängt von vielen Faktoren ab – offenbar auch vom Geschlecht einer Person. FITBOOK-Medizin-Redakteurin Melanie Hoffmann erklärt die Details einer aktuellen Untersuchung, die diesbezüglich Spannendes herausgefunden hat.
Dass Raumtemperatur, Geräusche, Ernährung und Bewegung Faktoren sind, die den Schlaf beeinflussen, leuchtet den meisten Menschen wohl ein – aber das Geschlecht? Was hat dieses mit Schlaf zu tun? Offenbar eine ganze Menge. Eine aktuelle Studienreview kam zu dem Schluss, dass das Geschlecht nicht nur Einfluss darauf hat, ob man eher gut oder schlecht schläft, sondern auch auf die Art der Schlafprobleme.
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Übersicht
Frühere Studien zeigten Zusammenhang zwischen Geschlecht und Schlafqualität
Die Schlafforschung fand bereits in früheren Studien Hinweise auf das Geschlecht als einen mitbestimmenden Faktor. So konnte eine Studie aus dem Jahr 2016 aufzeigen, dass Frauen eher dazu neigen, Schlafbeschwerden zu entwickeln.1 Eine andere Arbeit aus demselben Jahr kam zu dem Schluss, dass Frauen stärker auf Störungen ihres zirkadianen Rhythmus (auch als innere Uhr bezeichnet) reagieren als Männer.2
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Wie sich der Schlaf bei Männern und Frauen unterscheidet – aktuelle Studie
Es gab also zuvor schon eine Reihe von Hinweisen darauf, dass das Geschlecht eine Rolle bei der Qualität des Schlafs spielen könnte. Ein Forscherinnen-Team aus den USA und England wollte diese Rolle nun noch besser verstehen. Dafür führte es eine Review bereits bestehender Studien durch, um detailliertere Erkenntnisse über geschlechtsspezifische Unterschiede des Schlafs zu gewinnen.3
Ablauf der Untersuchung
Die Wissenschaftlerinnen werteten rund 150 Studiendokumentationen aus, von denen die meisten in den letzten zehn Jahren veröffentlicht wurden. Die in die Analyse aufgenommenen Facharbeiten beschäftigten sich mit verschiedenen Aspekten des Schlafs, des zirkadianen Rhythmus und des Stoffwechsels. Außerdem bezogen die Forscherinnen einige Studien mit ein, die sich auf mögliche Geschlechtsunterschiede in Bezug auf diese Aspekte beschäftigt hatten.
Die Erkenntnisse der Analyse
Schlafqualität und Schlafstörungen
Die Auswertung der Studien zum Aspekt der Schlafqualität ergab, dass die Frauen in ihren Selbstauskünften ihre Schlafqualität als schlechter beurteilten als die Männer. So berichteten Frauen häufiger von Schlafstörungen, einschließlich Schlaflosigkeit, häufigem Erwachen, nicht erholsamem Schlaf, unangenehmen Träumen oder Albträumen.
Eine mögliche Erklärung für den vom weiblichen Geschlecht subjektiv als schlechter wahrgenommenen Schlaf könnten die Hormone sein. Denn die Frauen berichteten auch von größeren Schwankungen der Schlafqualität innerhalb eines Monats, die zugleich mit einer bestimmten Menstruationsphase korrelierten. So waren die Beschwerden in der prämenstruellen Phase im Durchschnitt ausgeprägter als in anderen Zyklusphasen.
Die Forscherinnen kamen in ihrer Analyse zu einem weiteren interessanten Schluss. Es zeigte sich, dass Frauen ein 20 bis 50 Prozent höheres Risiko dafür haben, das den Schlaf beeinträchtigende Restless-Legs-Syndrom zu entwickeln, als Männer. Männer scheinen dagegen anfälliger für Schlafapnoe (verringerte Atmung im Schlaf bis hin zu Atemaussetzern) zu sein. Sie sind davon offenbar etwa dreimal so häufig betroffen wie Frauen. Allerdings fanden die Wissenschaftlerinnen auch Hinweise dafür, dass Schlafapnoe bei Frauen stärkeren Schwankungen (wahrscheinlich ebenfalls aufgrund hormoneller Veränderungen in den Zyklusphasen) unterliegen könnte und deshalb womöglich seltener als bei Männern als solche diagnostiziert werde.
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Schlafenszeit
Eine weitere Erkenntnis betrifft weniger Schlafbeschwerden als eher Schlafvorlieben. Heterosexuelle Paare werden es vielleicht kennen: Sie möchte am liebsten um 21 Uhr schon ins Bett gehen, während er sich noch wach fühlt und eher Mitternacht als Zubettgehzeit bevorzugt. Laut der aktuellen Review könnte dies weniger eine persönliche als eine durch das biologische Geschlecht beeinflusste Vorliebe sein. Sie lieferte Daten dafür, dass Frauen tendenziell früher schlafen gehen und früher ihren Tag beginnen. Männer sind eher späte Einschläfer und Aufsteher. Der Grund dafür könnte in der Produktion des Schlafhormons Melatonin liegen.
Dieses wird im Verlauf von 24 Stunden bei Frauen früher ausgeschüttet. Ebenso erreicht die Körpertemperatur bei Frauen früher am Tag ihren Höhepunkt. Diese ist am höchsten kurz vor dem Schlafen und am niedrigsten kurz vor dem Aufwachen. Bei Männern scheint sowohl die Melatonin-Ausschüttung als auch das Erreichen der höchsten Körpertemperatur im Verlaufe von 24 Stunden tendenziell später zu erfolgen.
Unterschiedliche Auswirkungen auf den Stoffwechsel
Die Qualität des Schlafs hat bekanntlich auch Auswirkungen auf den Stoffwechsel. Dieser wiederum ist bei der Entstehung von Krankheiten wie z. B. Diabetes Typ 2 oder Adipositas entscheidend.4 Doch inwiefern beeinflusst der Schlaf oder Schlafmangel je nach Geschlecht den Stoffwechsel unterschiedlich bzw. führt zu unterschiedlichen Folgen in Form von Krankheiten oder Übergewicht? Auch diesbezüglich gewannen die Forscherinnen in ihrer aktuellen Analyse spannende Erkenntnisse.
So scheint das Gehirn von Männern und Frauen unterschiedlich mit Schlafmangel und Müdigkeit umzugehen und unterschiedlich zu reagieren, wenn es mit Essen konfrontiert wird. Dies wurde in den analysierten Studien getestet, indem man den Probandinnen und Probanden Bildern von Essen zeigte. Gleichzeitig beobachtete man, was in ihren Gehirnen passierte. Während bei Frauen in dieser Situation Gehirnareale, die im Zusammenhang mit Emotionen stehen, doppelt so aktiv waren wie bei Männern, berichteten Männer wiederum von stärkerem Hungerempfinden als die Frauen.
Weitere in der Analyse enthaltende Studien hatten in Nachtschicht arbeitende Frauen und Männer untersucht. Es zeigte sich, dass beide Geschlechter, deren zirkadianer Rhythmus aufgrund des fehlenden nächtlichen Schlafs gestört war, ein erhöhtes Diabetesrisiko aufwiesen. Aber Männer hatten ein doppelt so hohes Risiko wie Frauen.
Schlussfolgerungen der Forscherinnen
Doch was bedeuten die Erkenntnisse zu den Zusammenhängen zwischen Geschlecht und Schlaf nun für uns und unseren Alltag? Unser Geschlecht ist schließlich kein Faktor, den wir so einfach ändern können. Und wäre das überhaupt von Nutzen? Denn auch, wenn Frauen das offenbar schlechtere Los beim Thema Schlaf gezogen haben, sind ja auch Männer häufig nicht beschwerdefrei und an anderen Stellen gefährdeter. Das wissen natürlich auch die Wissenschaftlerinnen und sehen den Mehrwert ihrer Analyse-Ergebnisse daher auch eher bei der Schlaftherapie.
„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, die Behandlung von Schlafstörungen und Störungen des zirkadianen Rhythmus auf das Geschlecht einer Person abzustimmen – wobei unsere Forschung einige der möglichen Gründe hervorhebt, warum Frauen und Männer unterschiedlich auf bestehende Behandlungen ansprechen“, erklärt die an der Review beteiligte Sarah Chellappa, Professorin an der University of Southampton, in einem selbstverfassten Artikel.5
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Einordnung der Analyse
Mit frischem Blick konnten die Wissenschaftlerinnen in der Analyse von nahezu 150 Studien die spannenden Zusammenhänge zwischen Schlaf und Geschlecht herausarbeiten. Indem sie Studien zu verschiedenen Fokuspunkten, z. B. Schlafqualität, Schlafenszeit, zirkadianer Rhythmus usw., mit in ihre Review aufnahmen, konnten sie ein breiteres Bild der Zusammenhänge aufzeichnen, als die einzelnen Studien es konnten.
Was die Review allerdings nicht konnte: Die Mängel der von ihnen analysierten Studien ausmerzen. So wurden etwa Daten zur Schlafqualität vor allem via Selbstauskünfte der Teilnehmenden ermittelt. Diese Art der Abfrage ist bekanntlich fehleranfällig. Einige Studien umfassten nur eine geringe Anzahl von Probandinnen und Probanden. Eine genaue Bewertung der Qualität der Studiendesigns erfolgte nicht.
Auch Chellappa schränkt deshalb in ihrem Artikel die Aussagekraft ihrer Review ein: „Obwohl es erste Hinweise darauf gibt, wie das Geschlecht eines Menschen seinen zirkadianen Rhythmus und die Qualität des Schlafs beeinflussen kann, wissen wir noch immer nicht viel. Das liegt vor allem daran, dass Frauen in der Forschung zu Schlaf und zirkadianem Rhythmus unterrepräsentiert sind. Derzeit ist auch nicht bekannt, welche spezifischen Mechanismen erklären, warum Schlaf- und zirkadiane Rhythmusprobleme mit einem höheren Risiko für bestimmte Gesundheitszustände verbunden sind und warum sich Schlaf und zirkadianer Rhythmus bei Frauen und Männern unterscheiden. Auch der Menstruationszyklus und die Verwendung von Verhütungsmitteln müssen bei der Planung von Studien berücksichtigt werden, da sie den Schlaf und den zirkadianen Rhythmus beeinflussen.“
Aus diesem Grund hält sie weitere Forschung in diesem Bereich für notwendig: „Wenn wir diese Fragen untersuchen, können wir vielleicht besser verstehen, warum es diese Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Bezug auf Schlaf und Gesundheit gibt – und wir sind vielleicht besser gerüstet, um wirksamere Behandlungen für Frauen und Männer anzubieten.“