15. Januar 2025, 19:32 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Depressionen gehören zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland. Dabei werden oft auch Angehörige in Mitleidenschaft gezogen. Umso wichtiger ist es, zu verstehen, wie eine Depression entsteht. Wie komplex die Erkrankung ist, zeigt eine neue Studie: Forscher haben 308 genetische Risikofaktoren für eine Depression entdeckt.
Depressionen werden immer noch oft unterschätzt. Denn vielen Betroffenen sieht man es von außen nicht an, dass sie seelisch krank sind. Zudem trauen sich viele Menschen nicht, über ihr Leiden zu sprechen. Laut der „Stiftung Deutsche Depressionshilfe“ vergehen im Schnitt 20 Monate, bis sich Menschen mit einer depressiven Erkrankung Hilfe suchen.1 Die Stiftung spricht sogar von einer Volkskrankheit. Denn in einer aktuellen Befragung gaben 24 Prozent der Deutschen an, an einer Depression zu leiden. Weitere 26 Prozent sind indirekt betroffen als Angehörige. Doch warum erkranken einige Menschen daran und andere nicht? Offenbar spielt die Genetik eine wichtige Rolle, wie Forscher jetzt herausfanden. Dabei haben sie über 300 neue genetische Risikofaktoren für eine Depression ermittelt.
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Übersicht
- Welche Rolle spielt Genetik beim Entstehen einer Depression?
- Über 300 genetische Risikofaktoren für Depression ermittelt
- Erst das Zusammenspiel verschiedener Faktoren erhöht das Risiko
- Forscher untersuchten auch die Wirkung von Medikamenten auf verantwortliche Gene
- An wen sich Betroffene wenden können
- Quellen
Welche Rolle spielt Genetik beim Entstehen einer Depression?
Es ist schon länger bekannt, dass offenbar unsere genetische Veranlagung eine entscheidende Rolle beim Entstehen von Depressionen spielt. Dies erklärt uns Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bereits in einem früheren FITBOOK-Beitrag zum Thema Winterdepression. „Ob jemand depressiv wird oder nicht, hat mit Veranlagung zu tun. Es gibt Menschen, die erleben viel Frust und bekommen nie eine echte Depression. Bei anderen fragt man sich: Wie kann dieser erfolgreiche Mensch mit einem liebevollen Partner bitte depressiv sein? Die Erkrankung kann jeden treffen“, so Prof. Hegerl.
Aber welche Gene sind genau dafür verantwortlich? Dieser Frage ging ein internationales Forscherteam unter der Leitung der Universität Edinburgh und des King’s College London nach.2 Dabei hat man anonymisierte genetische Daten von mehr als fünf Millionen Menschen aus 29 Ländern ausgewertet. Nicht nur die Datenmenge ist beeindruckend, sondern auch die Diversität. Rund 25 Prozent der Informationen stammen aus dem außereuropäischen Raum. Während frühere genetische Untersuchungen meist weiße und wohlhabendere Bevölkerungsgruppen in den Fokus stellten, wurden jetzt erstmals weitere Ethnien und soziale Schichten berücksichtigt. Dadurch konnten die Forscher neue genetische Risikofaktoren für das Entstehen einer Depression ermitteln.
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Über 300 genetische Risikofaktoren für Depression ermittelt
Bei der Auswertung der Daten haben die Wissenschaftler 697 genetische Varianten ermittelt, die in Verbindung mit der Entstehung von Depressionen stehen. 293 identifizierte man zum ersten Mal. Mithilfe von sogenanntem Fine-Mapping konnten 308 hochzuverlässige genetische Risikofaktoren für eine Depression identifiziert werden.
Diese minimalen Abweichungen in der DNA wirkten sich auf Neuronen in verschiedenen Hirnregionen aus, darunter auch im Bereich der Emotionskontrolle. Etwa 100 dieser genetischen Unterschiede wurden nur deshalb entdeckt, weil erstmals auch Daten von afrikanischen, ostasiatischen, hispanischen und südasiatischen Probanden in eine solche Studie einbezogen wurden.
Erst das Zusammenspiel verschiedener Faktoren erhöht das Risiko
Eine weitere wichtige Erkenntnis: Während jeder einzelne genetische Risikofaktor für Depressionen relativ gering ist, steigt das Risiko deutlich an, wenn mehrere dieser genetischen Veränderungen in der DNA einer Person vorhanden sind. Das Identifizieren der verantwortlichen Gene könnte in Zukunft dabei helfen, das Depressionsrisiko mit Gentests bestimmen zu können, so die Forscher. Das könnte Betroffenen helfen, stärker auf ihre seelische Gesundheit zu achten. Mediziner wiederum könnten bessere Behandlungsmethoden entwickeln, die schon frühzeitig zum Einsatz kommen und das genetische Ungleichgewicht beheben.
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Forscher untersuchten auch die Wirkung von Medikamenten auf verantwortliche Gene
Einen ersten Schritt in Richtung wirksamer Therapien liefert diese Studie gleich mit. Die Wissenschaftler untersuchten nämlich mehr als 1.600 Medikamente und ihre Wirkung auf die identifizierten Gene, die als Risikofaktoren für eine Depression gelten. Die Untersuchung ergab, dass neben Antidepressiva auch Pregabalin, das bei chronischen Schmerzen eingesetzt wird, und Modafinil, das bei Narkolepsie verwendet wird, positiven Einfluss auf diese Gene haben. So könnten womöglich neue Medikamente zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden. Allerdings sind noch tiefergreifende klinische Studien notwendig, um das Potenzial dieser Medikamente bei Depressionen zu erforschen.
„Es gibt noch große Lücken in unserem Verständnis der klinischen Depression, wodurch die Möglichkeiten zur Behandlung der Betroffenen eingeschränkt sind“, kommentiert Prof. Andrew McIntosh, einer der Hauptautoren der Studie, die Ergebnisse im „The Guardian“. Man benötige weitere große und global repräsentative Studien wie diese, um bessere Therapien zu entwickeln und vor allem um präventiv Erkrankungen vorbeugen zu können.
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An wen sich Betroffene wenden können
- Erster Ansprechpartner bei Verdacht auf eine Depression oder Suizidgedanken ist der Hausarzt, Psychiater oder psychologischer Psychotherapeut
- Deutschlandweites Info-Telefon Depression 0800 33 44 5 33 (kostenfrei)
- Wissen, Selbsttest und Adressen rund um das Thema Depression unter www.deutsche-depressionshilfe.de
- Hilfe und Beratung bei den sozialpsychiatrischen Diensten der Gesundheitsämter
- fachlich moderiertes Online-Forum zum Erfahrungsaustausch www.diskussionsforum-depression.de
- Für Angehörige: www.bapk.de und www.familiencoach-depression.de