25. September 2017, 10:32 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Wer Schmerzen hat, flucht. Kein bedeutungsloser Reflex, sondern ein Mechanismus, der uns länger durch- und aushalten lässt – das wurde in mehreren Studien bewiesen. FITBOOK erklärt, was dabei im Körper passiert und welche weiteren Argumente es pro Fluchen gibt.
Einen Fluch auszustoßen, wenn man sich etwa den Finger eingeklemmt hat, versucht man in der Öffentlichkeit für gewöhnlich zu vermeiden – es könnte schließlich als unfein aufgefasst werden. Doch diese vermeintliche Etikette gilt es spätestens jetzt zu überdenken.
Fluchen macht weniger schmerzempfindlich
Wenn wir fluchen, löst das eine körperliche Reaktion aus – das konnte Dr. Richard Stephens, Psychologe an der Keele University im britischen Staffordshire, mit einer Reihe von Tests belegen. In einer ersten Untersuchung waren Probanden in zwei Gruppen aufgeteilt. Sie alle sollten ihre Hände in Eiswasser halten, aber nur eine der Gruppen durfte dem Impuls folgen, zu fluchen. Das Ergebnis: Die Fluchenden ertrugen den Schmerz länger als die anderen. „Ein möglicher Grund könnte sein, dass es den Sympathikus stimuliert“, äußerte Dr. Stephens dazu in einer Pressemitteilung seiner Fakultät, „das Nervensystem, das auch das Herz höherschlagen lässt, wenn wir uns in Gefahr befinden.“
Leistungsfähiger durch Dampf ablassen
Um seine Erkenntnis zu stützen, schlossen der Psychologe und sein Forscherteam weitere Untersuchungen an. Zunächst baten sie 29 Teilnehmer zu einer Sprinteinheit auf einem Ergometer: einmal, nachdem sie vorher geflucht hatten, und einmal ohne. In einem anderen Test wurde unter den gleichen Bedingungen der Händedruck von 52 Probanden gemessen. Erstaunlich: Die Versuchsteilnehmer waren jeweils schneller und griffen kraftvoller zu, nachdem sie vorher geflucht hatten.
Einzig die physiologische Erklärung fehlt – noch zumindest. Trotz eines erkennbaren Stärkezugewinns konnten die Wissenschaftler keine signifikante Veränderung der Herzfrequenz feststellen. „Warum genau das Fluchen diese Auswirkungen auf Stärke und Schmerztoleranz hat, bleibt noch zu untersuchen,“ so Dr. Stephens.
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Fluchen im Büro
Trotzdem ist, dass Fluchen Druck abbauen kann, eine Erfahrung, die wohl jeder schon einmal gemacht. Und die nutzen Verhaltenstrainer gerne für ihre Arbeit. So gibt es die Möglichkeit eines Wutraums (manchmal auch „Crash-Raums“), in denen gestresste Kunden mal so richtig toben dürfen. Gerade für Menschen, die ihre Anspannung sonst in sich hineinfressen, kann ein solches Loslassen sehr heilsam sein.
Seinem Ärger mal akustisch Luft zu machen, kann übrigens auch in einem anderen Wortsinn „stärken“. Das bestätigt Kathleen Husmann, Business- und Life-Coach aus Berlin, auf FITBOOK-Nachfrage. „Wer am Rechner einen Fluch ausstößt, erregt die Aufmerksamkeit der Kollegen und bekommt Hilfe angeboten. Das kann man für sich nutzen.“
Tatsächlich soll Fluchen sogar Respekt verschaffen können. Menschen, die es an der passenden Stelle (und im vertretbaren Rahmen und Jargon) tun, werden laut der Expertin von ihrem Umfeld als überzeugender wahrgenommen. Hier ist jedoch Vorsicht geboten. „Wenn man die Beherrschung verliert, erreicht man das genaue Gegenteil“, warnt Husmann.
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Je größer das Schimpfwortrepertoire, desto schlauer
Übrigens sollte auch, wer als schlau wahrgenommen werden will, sich in puncto Fluchen nicht zurückhalten – und darf dabei gerne aus seinem Repertoire an „hässlichen Worten“ schöpfen. Denn: Wer es verbal so richtig krachen lässt, ist kreativer und intelligenter. Das wurde bereits vor einigen Jahren am New Yorker Marist College belegt (hier der Abriss dazu) – und damit das Gegenteil dessen, was man geneigt wäre zu glauben: dass Menschen mit einer ‚schwierigen‘ Ausdrucksweise dumm seien.
Die Forscher ließen Probanden innerhalb von einer Minute so viele Schimpfworte benutzen, wie nur möglich, und unternahmen mit ihnen danach einen Intelligenztest. Und tatsächlich schnitten diejenigen, denen die meisten Flüche über die Lippen kamen, auch bei der Folgeuntersuchung besser ab. Klingt komisch, ist aber schon lange ein Thema: Vergleichbare Formen von Sprachkompetenztests – Fachbegriff: „Controlled Oral Word Association Test“ – nutzt auch die Sozialwissenschaft, um Intelligenz und den allgemeinen Wortschatz von Menschen zu untersuchen.