19. Dezember 2024, 11:03 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Die Winter- und Weihnachtszeit ist nicht für jeden besinnlich. Manche Personen neigen besonders in den dunklen Monaten zu einer saisonal abhängigen Depression (SAD) – bekannter als Winterdepression. Doch ein Social-Media-Trend sagt diesen den Kampf an. Mit einem sogenannten „Dopamin-Menü“ soll die Bildung und Ausschüttung von Dopamin angeregt werden, ein Botenstoff unseres Belohnungssystems. Ob es klappt, verrät FITBOOK-Ernährungsexpertin Sophie Brünke.
Ein Speiseplan fürs persönliche Glücksgefühl, welches jeden Anflug einer depressiven Verstimmung abwehrt – klingt erst mal vielversprechend. Den Winterdepressionen den Garaus machen soll laut einem Social-Media-Trend ein sogenanntes „Dopamin-Menü“. Das Hormon Dopamin ist wichtig für unsere Motivation und unseren Antrieb. Andersherum ist Antriebslosigkeit ein häufig auftretendes Symptom von Depressionen. Hinzu kommen Konzentrationsstörungen, innere Leere und Lustlosigkeit. Ob der Dopamin-Speiseplan funktioniert und was Sie auf Ihr Menü setzen können, erfahren Sie im Folgenden.
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Übersicht
Wie stellt man sich ein persönliches Dopamin-Menü zusammen?
Auf Social Media findet man eine Reihe von „Speiseplänen“, die suggerieren, man könne mit einfachen Mitteln den Dopaminhaushalt anregen. Dabei handelt es sich um mehrere Gänge, doch haben diese weniger mit Essen zu tun – es ist mehr eine kreativ verpackte To-do-Liste mit Tätigkeiten, die die Stimmung über den Tag verteilt heben sollen. Schmackhafte Aufgaben inklusive.
Das Menü besteht aus fünf Gängen: Sie werden etwas irreführend wie bei Mahlzeiten in Vorspeise, Hauptgang, zusätzliche Beilagen, ein Dessert und manchmal noch ein Appetithäppchen eingeteilt. Vorspeisen sind Aktivitäten, die mit wenig Zeitaufwand einen Dopamin-Kick auslösen sollen. Dabei sollen unliebsame mit schönen Aufgaben kombiniert werden. Eine TikTokerin hat auf ihrem Menüplan hier beispielsweise „Kaffee kochen, kurz Ordnung machen und ein Kapitel in einem Buch lesen“ stehen.
Hauptspeisen hingegen dürfen mehr Zeit beanspruchen und entsprechend auch mehr Dopamin ausschütten. Hier steht z. B. ein Workout, das Lieblingsessen oder Töpfern auf dem Plan. Die Beilagen hingegen sind ein „Add-ons“ zu Aufgaben, die erledigt werden müssen. So putzt sich die Wohnung besser mit einem Podcast auf den Ohren, die Zeit im Homeoffice wird gemütlicher mit einer Duftkerze.
Das Beste kommt zum Schluss: Als Desserts gelten Dinge, die im Übermaß nicht guttun würden. Ein Kaffee mit reichlich Sirup, ein Stück Kuchen oder durch Social Media scrollen.
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Wie Lebensmittel unsere Stimmung beeinflussen können
Vorab sei erwähnt, dass es keine „wissenschaftlich belegten Ernährungstipps bei einer SAD gibt“, so Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, in einem früheren FITBOOK-Artikel. Eine gesunde Ernährung sei dennoch empfehlenswert. Und auch wenn aus dem aktuellen Forschungsstand noch keine offiziellen Ernährungsempfehlungen abgeleitet werden können, zeigen einzelne Studien richtungsweisende Ergebnisse, wie wir unserem psychischen Befinden über die Ernährung etwas Gutes (oder auch Schlechtes) tun können.
Der Effekt einer ausgewogenen Ernährung
Die Deutsche Depressionshilfe berichtet von einer Untersuchung, welche die Auswirkung einer gesundheitsbewussten Ernährung (hoher Anteil von Gemüse, Obst und Fisch) mit der einer nicht gesundheitsbewussten Ernährung (hoher Anteil an gesättigten Fetten und Zucker) im Hinblick auf das Depressionsrisiko betrachtete. Es zeigte sich, dass eine gesundheitsbewusste Ernährung das Risiko einer Depression für Personen mittleren Alters senkte. Dieser Zusammenhang liefert jedoch keinen Beweis, dass ungesunde Ernährung Depressionen verursacht. Es ist auch möglich, dass Menschen, die dabei sind, eine Depression zu entwickeln, ihr Ernährungsverhalten verändern. Etwa, weil die Motivation zu kochen durch die Erkrankung fehlt.1
Einer klinischen Studie aus Australien zur Folge ist eine gesunde Ernährung ein wichtiger Baustein in der Therapie von Depressionen. Die Forscher fanden heraus, dass Teilnehmende, die im Laufe der dreimonatigen Studie neben einer anderen Therapieform außerdem sieben individuelle Ernährungsberatungen erhielten, stärker ihre Depressionssymptomatik verbesserten, als Teilnehmende in der Kontrollgruppe.2 Die Beratungseinheiten basierten auf den australischen und griechischen Ernährungsempfehlungen, sowie depressionsspezifischen Ernährungstipps aus einer Studie aus 2016.3 Diese besagen:
- Befolgen Sie „traditionelle“ Ernährungsmuster, wie etwa die mediterrane, norwegische oder japanische Ernährung
- Erhöhen Sie den Verzehr von Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, Vollkorngetreide, Nüssen und Samen
- Nehmen Sie viele Lebensmittel zu sich, die reich an mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren sind
- Ersetzen Sie ungesunde Lebensmittel durch gesunde, nahrhafte Lebensmittel
- Beschränken Sie Ihren Verzehr von verarbeiteten Lebensmitteln, Fast Food, kommerziellen Backwaren und Süßigkeiten
Dauerbrenner Obst und Gemüse
An dem englischen Sprichwort „an apple a day keeps the doctor away“ (dt.: Ein Apfel am Tag hält Ärzte fern) ist was dran, auch was die psychische Gesundheit betrifft. So zeigte eine kanadische Langzeitstudie mit 27.162 Probanden, dass diese ein höheres Risiko für Depressionen aufwiesen, wenn sie wenig Obst und Gemüse aßen. Die Wissenschaftler mutmaßten, dass ausreichend Obst und Gemüse wichtig ist, um den Bedarf an Mineralstoffen und Vitaminen zu decken, welche die Konzentration des C-reaktiven Proteins (CRP) im Blutplasma senken können. Dieses Protein dient Medizinern als Entzündungsmarker und es steht mit Depressionen im Zusammenhang.4
Comfort Food – sinnvoll oder nicht?
Scrollt man durch Dopamin-Menüs auf Social Media, entsteht schon fast der Eindruck, süße und salzige Snacks seien unerlässlich für die psychische Gesundheit. Klar, gelegentlich darf unter „Dessert“ auch mal eine Süßspeise auf dem Plan stehen, sollte aber auch mal durch Fernsehschauen oder andere in Übermaßen ungesunde Aktivitäten ausgetauscht werden. Immerhin zeigte sich in der erwähnten kanadischen Studie, dass salzige Snacks, Schokolade und Fruchtsaft bei Frauen einen negativen Effekt auf die Psyche ausübten. Männer entwickelten mit höherer Wahrscheinlichkeit Depressionen, wenn sie häufig zu Schokolade griffen. Eine zuckerarme und Obst- sowie Gemüse-reiche (und damit antientzündliche) Ernährung scheint also von Vorteil zu sein. Hierfür gibt auch eine Randomisierungsstudie Hinweise, welche genetischen Überschneidungen und Zusammenhänge zwischen Entzündungen (CRP), sowie einzelnen depressiven Symptomen untersuchte. Dabei zeigten sich Zusammenhänge zwischen erhöhten Entzündungswerten sowie Minderwertigkeitsgefühlen und Suizidalität.5
Brauchen wir ständig Dopamin, um glücklich zu sein?
Kurz und knapp: nein. Etwas ausführlicher: Dopamin ist lediglich der Botenstoff, damit wir Glück empfinden. Das eigentliche Glückshormon ist Serotonin und wird häufig mit Dopamin verwechselt. Ein zu hoher Dopaminspiegel kann etwa Schlafprobleme, Wahnvorstellungen und manisches Verhalten herbeiführen. Einige Erkrankungen wie ADHS, Drogenabhängigkeit und Angstzustände stehen in Zusammenhang mit erhöhten Dopaminwerten.6
Gefährlich ist weiterhin der Suchtfaktor von Dopamin. Es kann bei Menschen zu zwanghaften Verhaltensweisen führen, insbesondere bei Aktivitäten, die eine schnelle Belohnung inklusive Dopamin-Kick auslösen. Klassische Beispiele sind Glücksspiel oder Shoppen. Wäre das nicht schon genug, gibt es auch noch einen Gewöhnungseffekt, sodass die Aktivität immer intensiver ausgeübt werden muss, um das gleiche „Dopamin-High“ zu erzielen.
Entsprechend bewusst sollte man sein „Dopamin-Menü“ gestalten. Fünf kleine Annehmlichkeiten sind gut, eine Jagd auf Dopamin, die den Tagesablauf bestimmt, definitiv nicht.
Australische Studie Warum Männer auf mediterrane Ernährung setzen sollten
Aktuelle Studie Schlechte Ernährung kann zu Krebs führen
Mikronährstoffmangel Macht Junkfood das Gehirn wütend?
Fazit
Die Idee sich einen Speiseplan für den Tag zu schreiben, um ihn mit kleinen „Glücksködern“ angenehmer zu gestalten, erheitert den ein oder anderen sicherlich in der dunklen Jahreszeit und kann kleine Verstimmungen wettmachen. Dass er auch die Macht hat, eine klinische Depression zu heilen, ist jedoch etwas überheblich und kann für Betroffene auch zur Gefahr werden. Der Gang zum Psychiater oder Psychotherapeuten sollte definitiv nicht auf dem „Dopamin-Menü“ im Kampf gegen die Winterdepressionen fehlen. Und genauso wie Freude bringende Aktivitäten nur ein Puzzleteil im Genesungsprozess darstellen, darf auch nicht die Wirkung der richtigen Ernährung überschätzt werden. Eine ausreichende Nährstoffversorgung stellt lediglich eine unterstützende Säule in einem multifaktoriellen Behandlungsansatz dar.