1. April 2019, 16:35 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Die meisten Menschen werden um die 80 Jahre alt. 100 werden nur ganz wenige – und die, die das gesund und fit schaffen, faszinieren uns. Wie sind sie so alt geworden? Mit der vierteiligen Dokumentation „Die Geheimnisse der 100-Jährigen“ hat sich FITBOOK auf Spurensuche begeben. In Teil 1 lernen Sie Alfred (102) kennen.
Alfred (102) öffnet höchstpersönlich die Tür seiner Doppelhaushälfte in Berlin-Steglitz. Putzmunter steht er da in seiner tannengrünen Strickjacke – seine Körperhaltung auffallend aufrecht, die rechte Hand umfasst einen Wanderstock, mehr Accessoire als Gehhilfe. Er geht voran in sein Wohnzimmer. Ein großes Fenster gibt den Blick frei auf einen weitläufigen Garten im Winterschlaf mit altem Obstbaumbestand. „Boskop-Äpfel“, sagt der 102-Jährige mit stolzer Stimme. „Halten sich bis Ostern. Sehr gesund!“
Mit Bäumen und Pflanzen kennt Alfred sich aus. Wenn man so will, hat er ihnen sein Leben gewidmet: Der Berliner ist Gärtnermeister und hat mehr als 40 Jahre in diesem Beruf verbracht – zuletzt als Friedhofsgärtner der Stadt Berlin. Mehr als 40 Jahre harte körperliche Arbeit. Aber das ist lange her. Genau genommen fast genauso lange wie die Phase danach: Wer 102 Jahre alt ist, bei dem halten sich Arbeitsleben und Ruhestand locker die Waage.
Pflanzen als Kraftquelle
Für Menschen wie Alfred, die ihren Beruf immer als Berufung empfunden haben, bedeutet die Rente nicht zwangsläufig, dass sich das Leben radikal ändert. Die Natur ist Alfreds größte Kraftquelle – und jede Pflanze sein Vorbild. „Es ist so schön, die Natur zu bewundern und ihr Geheimnisse zu entlocken. Zu sehen, wie alles wächst! In den letzten Jahrzehnten schnitt er eben keine Friedhofsbäume mehr, sondern erntete Früchte in seinem Garten. Dass er das noch heute kann, mit 102 Jahren, hat er einer fantastischen körperlichen Verfassung zu verdanken.
„Die kommen jedes Jahr wieder. Ich gehe dann hin und sage: ‚Hast du schön gemacht, wir sehen uns nächstes Jahr!‘ Diese Kraft springt über.“
Jeden Tag Treppensteigen
Wie hat er das geschafft? Warum ist für die meisten Menschen mit um die 80 Schluss – und anderen bleibt bis über Hundert eine hohe Lebensqualität vergönnt? Die Antwort liegt zu einem Teil in den Genen – aber, wie wir aus diesem Artikel erfahren haben, hat sie auch ganz viel damit zu tun, wie wir leben.
Dass Alfred allein durch seinen Berufsalltag ein Leben lang in Bewegung war, dürfte seinen Alterungsprozess sicher positiv beeinflusst haben. Und auch mit 102 Jahren tut der Berliner Dinge, von denen er überzeugt ist, dass sie ihn gesund und fit halten. Um seine Bewegungsfähigkeit zu erhalten, trainiert er beispielsweise Treppensteigen. Jeden Tag steigt er fünf bis sechsmal in den ersten Stock seines Hauses und von da zurück in den Keller. Regelmäßig außer Atem zu sein, hält er für wichtig, um gesund alt zu werden.
„Ich halte das Treppensteigen für sehr, sehr wichtig. Für die Muskeln und die ganze Atmung.“
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Viel Obst und Gemüse, keine Butter
Außerdem legte Alfred schon immer Wert auf eine gesunde Ernährung. Seine Faustregeln lauten (bis heute): nicht zu viel essen und möglichst natürlich ((Trocken-)Obst, Gemüse, Kartoffeln, Fleisch, Fisch, Nüsse), wenig Alkohol, kein Fastfood. Bei den tierischen Fetten steht er mit Butter auf Kriegsfuß – eine Scheibe Wurst oder ein Stück Käse zum Abendbrot dürfen es aber gerne sein. (Mehr über Alfreds Ernährungsgewohnheiten erfahren Sie im grauen Kasten weiter unten).
„Seit ’45 überhaupt kein Gramm Butter. Butter ist bei mir tabu, das wird nicht gegessen. (…) Das ist grundsätzlich.“
Seine Frau ist 30 Jahre jünger
Seine zweite große Kraftquelle neben den Pflanzen ist Alfreds knapp 30 Jahre jüngere Ehefrau! Renate (73) war Mitte der 60er-Jahre Lehrling in einer Gärtnerei, in der auch Alfred arbeitete. Die beiden konnten sich so leidenschaftlich über Pflanzen streiten, dass daraus Liebe wurde, die bis heute – unverkennbar – anhält: Kaum sitzen sie nebeneinander auf dem Sofa, suchen sich ihre Hände, küssen sie sich. Und necken sie sich mit kleinen Gemeinheiten. Gemeinsam legt das Paar hin und wieder einen Obsttag ein – „wegen der Vitamine“, erklärt Alfred. Der Altersunterschied? Spielt für diese beiden keine Rolle.
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Das Gefühl, noch gebraucht zu werden und familiär eingebunden zu sein, beflügelt Alfred und trägt zu seiner Gesundheit bei, davon ist er überzeugt.
„Ich lebe für meine Frau, für meinen Sohn, für meine Familie. Das ist für mich der Sinn, möglichst lange gesund bleiben, keinem zur Last fallen, den anderen viel Freude geben.“
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Zuletzt ist es auch Alfreds grundsätzlich positive Einstellung zu allen Dingen, die ihn ohne große gesundheitliche Einschränkungen und Einbuße von Lebensqualität so alt werden ließ. Hat er einen letzten Tipp für uns, um gesund den Hundertsten zu feiern?
„Ich würde empfehlen: Nicht rauchen, nicht trinken (…). Die Natur lieben. Viel draußen sein. Alles mit Liebe betrachten. Nichts selbstverständlich nehmen.“
Lebenslauf
„Alfred wird am 25. September 1916 in Blankenburg (Sachsen-Anhalt) geboren. Mit zwei Jahren sieht er noch Kaiser Wilhelm II. Er besucht die Volksschule. Nach dem 2. Weltkrieg, für den er als Soldat eingezogen wird, geht Alfred nach Berlin. Er wird Gärtner, später macht er den Meister mit Fachgebiet Friedhof. Alfreds erste Ehe bleibt kinderlos. Mit Renate, die er Mitte der 60er kennenlernt (sie ist sein Lehrling), hat er einen Sohn, mittlerweile sind sie stolze Großeltern. Das Paar lebt in Berlin-Zehlendorf und versorgt sich bis heute selbst. Alfred arbeitet noch immer gerne im Garten. Seine Lieblingsblumen sind Knollenbegonien.“–
Ernährung
„Die Faustregel des 102-Jährigen: Nicht zu viel essen, nicht zu viel (Alkohol) trinken. Alfred ernährt sich möglichst natürlich: viel Gemüse, Obst, Nüsse, Fleisch und Fisch. Sein Lieblingsessen: Pellkartoffeln mit Leinöl. Fastfood isst Alfred nicht, auf Butter verzichtet er komplett. Andere tierische Fette (wie in Wurst oder Käse) stehen (in Maßen) auf seinem Speiseplan. Alfred isst täglich Weißbrot: zum Frühstück mit selbst gemachter Marmelade. Hin und wieder macht Alfred einen Obsttag (am liebsten mit Äpfeln und Birnen, auch Trockenobst). Bei den pflanzlichen Ölen ist ihm Leinöl am liebsten. Alfred trinkt jeden Morgen Kaffee und vor dem Mittagessen ein Glas Malzbier. Abends gibt’s eine Tasse Holundertee mit Honig.“–
Schlaf
„Sein zweistündiger Mittagsschlaf ist Alfred heilig. Den macht er jeden Tag. Alfred geht gegen 21 Uhr ins Bett und steht gegen 7 Uhr auf. Er hat nach eigener Aussage einen sehr guten Schlaf.“–
Bewegung
„Alfred war in seinem Beruf als Gärtner immer viel in Bewegung. Bis ins hohe Alter ist er täglich wandern gegangen. Heute hält er sich vor allem mit Treppensteigen fit. Alfred steigt zu Hause etwa 160 Treppenstufen täglich. Außerdem bemüht er sich, tagsüber viele kleine Spaziergänge im Haus – im Sommer dann draußen und im Garten – zu machen. Ist beispielsweise in der Küche etwas zu holen, bittet er seine Frau, sitzenzubleiben. “–