22. November 2020, 17:17 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Biohacking ist eine Methode, das Beste aus sich und seinem Körper herauszuholen – allerdings immer mit der Prämisse, gut zu sich zu sein. Bestsellerautor Max Gotzler ist Deutschlands bekanntester Biohacker. Er weiß: Die Corona-Pandemie zeigt einmal mehr auf, wie sehr die Welt außer Balance geraten ist. Dieser Winter bietet die Chance, bei einem selbst mit dem „in seine Mitte finden“ zu beginnen. Das Beste: Die folgenden Tipps vom Profi sind so kostenlos wie wirksam.
Dieser Winter fordert viel von uns ein, körperlich wie psychisch. Ängste, vor allem Existenzängste, haben nie zuvor erlebte Ausmaße angenommen. Viele fühlen sich hilflos und überfordert. „Wir haben ebenso sie Macht, dagegen zu steuern“, sagt Biohacker-Experte Max Gotzler zu FITBOOK. „Jetzt ist die Zeit, das Bewusstsein neu zu stärken und sich vor allem neue Fragen zu stellen. Was ist wirklich wichtig für mich, worum geht es mir eigentlich im Leben und was kann ich dazu beitragen?“ Biohacking (mehr dazu im grauen Kasten ) kann helfen, wieder in die Selbstwirksamkeit zu kommen. Der Trick ist, zunächst bei sich zu beginnen. „Nur dann sind wir auch stark und besonnen genug, in der Welt etwas bewirken zu können“. Die folgenden sieben Biohacks sind ein guter Anfang.
Was ist Biohacking?
Das Wort Biohacking setzt sich zusammen aus den Begriffen „Bio“, was für das Leben steht und „Hacking“ – ein Wort, das eigentlich aus dem Computerbereich stammt und eine Entschlüsselung bezeichnet. Zusammen ergibt sich daraus eine neue Form der (Selbst)-Erkenntnis, mit dem Ziel, sich als Mensch besser zu verstehen. Beim Biohacking werden Erkenntnisse aus der Medizin, der Biologie und der Psychologie genutzt, die dabei helfen sollen, ein gesundes, erfolgreiches, zufriedenes und ausgeglichenes Leben zu führen. Es geht also vor allem darum, sein volles Potenzial zu entfalten – und ganz wichtig: dabei die Kontrolle wie Verantwortung für sein eigenes Leben und Handeln zu tragen.
Biohack 1 für den Corona-Winter: Lernen, Einsamkeit zuzulassen
Wer bislang ständig auf Achse war und auch sonst auf allen Hochzeiten getanzt hat, konnte dem Gefühl der Einsamkeit bislang recht gut entfliehen. Doch jetzt liegt das Alleinsein oft bleiern auf der Seele – und nicht wenige haben das Gefühl, davon verrückt zu werden. Dabei liegt in der Einsamkeit – wenn sie begrenzt ist, Freunde und soziale Kontakte sind und bleiben eines der wichtigsten menschlichen Bedürfnisse – eine große Kraft, weiß Max Gotzler: „Was uns wirklich erschöpft, ist das ständige Beschäftigtsein.“ Der erste Schritt, Freundschaft mit der Einsamkeit zu schließen, ist die Augen zuzumachen und die Gedanken ohne Wertung innerlich vorbeiziehen lassen. „Bereits nach kurzer Zeit verändern sich die Gehirnwellen, sie gelangen in die sogenannten Alpha- und Theta-Bereiche. In diesen Zuständen fällt es uns leichter, schlechte Gedanken loszulassen und positive Gefühle wie Dankbarkeit und Mitgefühl zu entwickeln. Gleichzeitig wird die Kreativität angeregt, wir kommen auf neue Ideen und werden wieder optimistischer.“ Vor allem wird so erkannt, dass wir alles andere als einsam sind, sondern in bester Gesellschaft: Mit uns selbst.
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Im Prinzip ist diese Übung nichts weiter als eine Mini-Meditation, die sich ausbauen lässt. Mit starken Effekten: Wir lernen, unserem eigenen Urteil zu vertrauen. Wir sind frei von Einflüssen und Meinungen anderer und können ganz auf unser Herz hören. Das ist jetzt wichtiger denn je.
Biohack 2 für den Corona-Winter: Waldspaziergänge unternehmen
„Der Wald ist wie unsere begehbare Apotheke. Die Wirkung eines Waldes auf uns – die Farben, das Licht, der Magnetismus – ist phänomenal“, sagt Gotzler. Jeder weiß, wie man sich nach einem längeren Spaziergang durch die „alte Heimat“ fühlt: ausgeglichener, gelassener, ruhiger, erfüllter. Woran das liegt, dem kommt die Wissenschaft erst seit kurzem auf die Spur: an den chemischen Botenstoffen, mit denen die Bäume untereinander kommunizieren. Atmen wir sie beim Spazieren ein, gelangen sie in den Blutkreislauf mit dem Effekt, die Psyche wie das Immunsystem zu stärken. „Das funktioniert auch in einem Herbst- oder Winterwald“, versichert der Biohacking-Profi. Weitere Effekte: Bewegung fördert die Blutzirkulation, der Geist wird zum freien Denken angeregt, und die Lungen füllen sich mit sauberer Luft.
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Biohack 3 für den Corona-Winter: Sich ganz bewusst der Kälte aussetzen
Kälte härtet ab und verleiht übermenschliche Kräfte, wie Extremsportler Wim Hof bereits eindrucksvoll bewiesen hat. Dabei müssen wir keineswegs in Unterhose den Mount Everest besteigen, um auf den Geschmack zu kommen, weiß Gotzler. Eine kalte Dusche und dabei den Atem „austricksen“ reichen, um eine „inneren Endorphin-Schauer“ auszulösen. Das geht so: Wasser auf eiskalt stellen, Augen schließen und sich dazu bringen, ganz normal weiter zu atmen. „Nach circa dreißig Sekunden kommen die Glücksgefühle.“ Durch diese Übung lernt der Körper besser mit Stress aller Art umzugehen. Für Fortgeschrittene empfiehlt der Biohacker, das Gesicht regelmäßig in eine Schüssel mit Eiswürfeln zu tauchen (auch hier wichtig: den Atem kontrollieren!) oder den Waldspaziergang im T-Shirt – allerdings mit Mütze, Handschuhen und mit einem Schal um den Hals – anzutreten. „Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass eine Kältetherapie nicht nur die Stimmung verbessert, sie kann einen sogar aus einer handfesten Depression holen.“
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Biohack 4 für den Corona-Winter: Mit bestimmten Gewürzen und Aromen den Flowzustand verlängern
Wir neigen dazu, den Geruchssinn zu unterschätzen, dabei haben bestimmte Düfte eine extrem starke Wirkung. Bei Unbehagen und Schlaflosigkeit empfiehlt Gotzler eine Aromatherapie mit Lavendel. „Sie entspannt ungemein und vertreibt Angstgefühle.“ Tatsächlich haben neuere Studien ergeben, dass das in Lavendel enthaltende ätherische Öl einigen stark abhängig machenden Beruhigungsmitteln weit überlegen ist.
Der Winter ist für Gotzler die perfekte Zeit für eine der genialsten Biohacks überhaupt: Zimt und roher Kakao. „Kakao enthält Phenethylamin, ein biogenes Amin, das uns dabei hilft in den Flow zu geraten. Zimt enthält einen Hemmer, der dafür sorgt, dass das Amin nicht so schnell abgebaut wird. Das heißt, wir bleiben mit einer Tasse Kakao und einer Prise Zimt länger im Flow und damit erfüllt.“ Zu Erinnerung: Der Flow ist ein Seinszustand, in dem man ganz im Hier und Jetzt ist und die Zeit ausgehebelt scheint. Das kindliche Ur-Gefühl sozusagen. Ängste, Sorgen, Wut und Ärger haben im Flow keinen Platz, dafür aber eine gedankenlose Freude an der eigenen Existenz.
Biohack 5 für den Corona-Winter: Sich für eine Zeit aus den sozialen Netzen und den Newskanälen verabschieden
„Soziale Netzwerke sind in Wahrheit antisozial“, finden Gotzler. Warum? Weil sie mittlerweile mehr über unser Leben bestimmen als wir über sie. Likes, Schreckens-Nachrichten und Messenger-Töne reißen uns ständig aus dem Hier und Jetzt, hinein in eine Parallelwelt und sorgen für kleine Dopamin-Kicks, die in Wahrheit frustrieren. Zumal das ständige sich mit anderen Vergleichen oder das Lesen von Hasskommentaren die Psyche enorm vergiften. Das ist nicht anregend oder gar informativ, sondern Terror.
Sein Tipp: Praktizieren Sie Medienhygiene. „Stellen Sie die Benachrichtigungen aus, löschen Sie ein paar Apps für einige Zeit, stehen Sie nicht mehr zur Verfügung.“ Zuerst wird sich das ein wenig komisch anfühlen, fast wie ein Entzug. Aber dann stellt sich ein neues Gefühl der Freiheit ein. „Es ist essenziell, selbst über seine Zeit verfügen zu können und alles, was einen technisch fremdbestimmt, als solches zu entlarven und auszuschalten.“ Und noch einen Rat: „Rufen Sie wieder einmal Freunde an anstatt Sprachnachrichten zu verschicken oder schreiben Sie einen Brief. Sie werden sehen, wie gut das tut.“
Biohack 6 für den Corona-Winter: Mit aktiver Entspannung besser runterfahren
„Wer meint, auf der Couch liegen sorgt für Entspannung, der täuscht sich. Tatsächlich braucht es eine leichte Bewegung und den Einsatz der Sinne, damit unsere Körperzellen neue Kraft tanken können.“ Wie das aussehen könnte? Kuscheln, Slow Sex, mit einem Haustier spielen, Yoga, ein Puzzle lösen, und so weiter. „Kochen ist übrigens eine der effektivsten Formen der aktiven Entspannung. Bereist beim Zubereiten aktivieren wir diverse neuronale Netzwerke, wir kommen mit den Lebensmitteln in Berührung, die Verdauung stellt sich weit vor dem Essen auf die Mahlzeit ein und Vorfreude kommt auf.“ In den sogenannten Blue Zones bereiten sich ihre Bewohner nahezu jede Mahlzeit selbst zu. Dass sie ein gesünderes Immunsystem haben, älter werden und weniger zu Depressionen neigen, steht für Gotzler ganz klar im Zusammenhang.
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Biohack 7 für den Corona-Winter: Sich zu Hause in den Trance tanzen
Neben dem alljährlichen Schmuddelwetter schränken geschlossene Clubs und Fitnessstudios die Bewegungsmöglichkeiten in diesem Corona-Winter noch drastischer ein als sonst. „Dabei ist Bewegung (vor allem Tanzen) eine der schönsten Möglichkeiten, um dem Alltag zu entfliehen – und damit ein großartiger Biohack“, sagt Gotzler. Warum also nicht das Wohnzimmer regelmäßig zur Disco und sich selbst zum DJ erklären (kabellose Kopfhörer sind bei dünnen Wänden zu den Nachbarn übrigens eine gute Idee) und einfach los tanzen, so wie einem die Beine gewachsen sind? „Wenn man seine Augen dabei schließt, ist es einem nicht mehr so vor sich selbst peinlich und man kommt leichter in den Flow“. Was dann passiert: Stress wird abgebaut, Glücksgefühle kommen hoch und so ziemlich alle Muskeln bekommen ihre Dosis Bewegung ab.
Mehr zu Max Gotzler
Max Gotzler ist der Gründer von Flowgrade, Leistungssportler, Blogger, Bestsellerautor und Deutschlands bekanntester Biohacker. Dazu veröffentlicht er obendrein wöchentlich einen eigenen Themen-Podcast. Sein neustes Buch „Der tägliche Biohacker“ mit insgesamt 366 Biohacks ist im Oktober 2020 im FBV Verlag erschienen.