![Sophie Brünke](https://cdn.book-family.de/fitbook/data/uploads/2023/11/wl_bildheadjuli031-kopie-2.jpg?impolicy=square&imwidth=320)
14. Februar 2025, 21:13 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Menschen mit Depression haben ein höheres Risiko für körperliche Erkrankungen – das ist bekannt. Doch eine neue Studie mit über 170.000 Teilnehmenden zeigt: Auch der Zeitpunkt des Erkrankens tritt früher ein. FITBOOK-Redakteurin Sophie Brünke stellt Ihnen die Erkenntnisse der Studie vor.
Depressionen werden oft als rein psychisches Leiden abgestempelt. Doch zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass sie auch körperliche Krankheiten wie Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen befeuern. Ein internationales Forscherteam untersuchte nun anhand von Daten der UK Biobank, ob Menschen mit Depressionen langfristig mehr chronische Erkrankungen entwickeln als psychisch gesunde Personen. Und die Ergebnisse sind alarmierend.
Jetzt dem FITBOOK-Kanal bei Whatsapp folgen!
Übersicht
Das Ziel der Wissenschaftler
Die Kohortenstudie untersuchte, ob frühere Depressionen das Risiko für die Entwicklung langfristiger körperlicher Erkrankungen im mittleren und höheren Lebensalter erhöht. In der Vergangenheit konnte bereits gezeigt werden, dass eine Depression mit einem höheren Risiko für einzelne Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergeht. Doch die meisten bisherigen Forschungsarbeiten betrachteten nur wenige Krankheitsbilder, meist unter 15 Stück. Die vorliegende Untersuchung setzte an diesem Punkt an und analysierte 69 verschiedene chronische Erkrankungen über einen Zeitraum von fast sieben Jahren.1
Ziel der Studie war es, den Zusammenhang zwischen Depressionen und körperlicher Multimorbidität – also dem gleichzeitigen Vorliegen mehrerer chronischer Krankheiten – zu quantifizieren. Dabei ging es insbesondere um die Frage, wie viel früher mit der Entstehung langfristiger körperlicher Gesundheitsprobleme im mittleren und höheren Alter zu rechnen war.
Besonders relevant sind die Studienerkenntnisse für die Gesundheitssysteme, die überwiegend auf die Behandlung einzelner Erkrankungen ausgerichtet sind, anstatt auf die komplexen Bedürfnisse von Menschen mit mehreren chronischen Leiden einzugehen. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, die Versorgung von Menschen mit Depressionen und weiteren chronischen Erkrankungen zu verbessern.
Auch interessant: Ketogene Ernährung kann chronische Krankheiten hervorrufen
Analyse der Daten von mehr als 170.000 Probanden
Die Studie basiert auf Daten der UK Biobank, einer groß angelegten Kohortenstudie mit mehr als 500.000 Probanden. Für diese Analyse wurden die Daten von 172.556 Personen einbezogen, die zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung zwischen 40 und 71 Jahre alt waren.
Ob die Probanden an Depressionen erkrankt waren, wurde anhand von Primärversorgungsdaten, Krankenhausakten und Selbstauskünften bestimmt. Die Forschenden erfassten zudem 69 chronische Erkrankungen zum Zeitpunkt der Erhebung und während einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 6,9 Jahren. Um den Zusammenhang zwischen Depression und der Zunahme an Krankheiten zu analysieren, wurden Quasi-Poisson-Modelle verwendet, die sowohl demografische als auch soziale und gesundheitliche Einflussfaktoren berücksichtigten. Sie gehören zu den Regressionsanalysen aus der Statistik und eignen sich dafür, herauszufinden, welche Faktoren die Häufigkeit eines Ereignisses vorhersagen können.
Depressionen beschleunigten das Auftreten chronischer Erkrankungen
Zu Beginn der Studie wiesen 17,8 Prozent der Teilnehmenden eine Vorgeschichte mit Depressionen auf. Diese Gruppe wies im Vergleich zu Probanden ohne Depressionen mehr körperliche Erkrankungen auf (durchschnittlich 2,9 statt 2,1). Über den Beobachtungszeitraum entwickelten sie zudem neue Krankheiten schneller: Durchschnittlich kamen pro Jahr 0,2 neue Diagnosen hinzu, während Personen ohne Depression 0,16 neue Erkrankungen pro Jahr aufwiesen.
Mit dem besagten statistischen Modell rechneten die Wissenschaftler die Einflüsse von Alter, Geschlecht und weiteren sozialen und gesundheitlichen Faktoren heraus, trotzdem blieb ein signifikanter Zusammenhang zwischen Depressionen und chronischen Erkrankungen bestehen. Die Rate der Erkrankungszunahme war bei Menschen mit Depression um besorgniserregende 30 Prozent erhöht im Vergleich zu nicht-depressiven Probanden. Nach einer zusätzlichen statistischen Anpassung an bestehende Erkrankungen und Lebensstilfaktoren lag dieser Wert immerhin noch bei signifikanten zehn Prozent.
Die häufigsten neu auftretenden Erkrankungen waren:
- Arthrose (15,7 Prozent bei Menschen mit Depression vs. 12,5 Prozent ohne)
- Bluthochdruck (12,9 Prozent vs. 12,0 Prozent)
- Magen-Darm-Erkrankungen wie Refluxkrankheit (13,8 Prozent vs. 9,6 Prozent)
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
Die Studie liefert wichtige Hinweise dafür, dass Depressionen nicht nur die psychische Gesundheit beeinträchtigen, sondern langfristig auch die körperliche Gesundheit erheblich negativ beeinflussen. Besonders auffällig ist die beschleunigte Entwicklung neuer chronischer Krankheiten, was eine zusätzliche Belastung für Betroffene sowie das Gesundheitswesen darstellt.
Bisher ist das Gesundheitswesen darauf ausgelegt, einzelne Krankheiten separat zu behandeln. Doch Menschen mit Depression benötigen eine ganzheitliche Betreuung, die sowohl ihre psychische als auch körperliche Gesundheit berücksichtigt. Insbesondere in der Prävention liegt Potenzial, um das frühere Eintreten chronischer Erkrankungen abzumildern. Dazu zählen:
- Frühzeitige Identifikation und Behandlung von Depressionen
- Förderung eines gesunden Lebensstils (z. B. Bewegung, Ernährung, Rauchstopp)
- Interdisziplinäre Betreuung durch Hausärzte, Psychiater und andere Fachrichtungen
Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
Diese Studie ist eine der umfassendsten Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Depressionen und körperlicher Multimorbidität. Die Stärken liegen in der großen Stichprobengröße, der umfangreichen Menge medizinischer Daten und der langen Nachbeobachtungszeit. Allerdings weist sie auch Einschränkungen auf.
Zum einen könnte ein Selektionsbias, eine Art Auswahlverzerrung, vorliegen. Denn die Daten aus der UK Biobank umfassen überwiegend gesündere Menschen, was die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Allgemeinbevölkerung einschränken könnte. Da die Diagnose von Depressionen teils auf Selbstauskünften basierte, könnten Menschen ohne medizinisch diagnostizierte Depression fälschlicherweise in der Depressionsgruppe gelandet sein. Zuletzt ist zu sagen, dass keine Daten zum Verlauf und der Schwere der chronischen Erkrankungen erhoben wurden. Inwieweit sie die Lebensqualität von Depressionspatienten (stärker als bei nicht-depressiven Personen) beeinflussten, bleibt folglich unklar.
Trotz dieser Einschränkungen bietet die Untersuchung wertvolle Erkenntnisse und legt nahe, dass Depressionen als Risikofaktor für Multimorbidität stärker in den Fokus rücken sollten.
![Eine Frau schaut auf ihren Activity Tracker](https://cdn.book-family.de/fitbook/data/uploads/2021/10/gettyimages-1181861291-e1634123772906.jpg?impolicy=channel&imwidth=128)
Rund 90.000 Studienteilnehmer Daten von Activity Trackern zeigen, wie Psyche und Schlaf zusammenhängen
![Ausreichend Schritte am Tag können Depressionen Vorbeugen](https://cdn.book-family.de/fitbook/data/uploads/2024/12/schritte-depressionen-gettyimages-2165850543.jpg?impolicy=channel&imwidth=128)
Laut Studie Wie sich die Anzahl der Schritte auf die Psyche auswirkt
![HDL-Cholesterin erhöht offenbar das Risiko für Grünen Star](https://cdn.book-family.de/fitbook/data/uploads/2025/02/hdl-cholesterin-gruener-star-gettyimages-1849342868.jpg?impolicy=channel&imwidth=128)
Kann zur Erblindung führen „Gutes“ Cholesterin könnte Risiko für Grünen Star erhöhen
Fazit
Die Studie zeigt, dass Menschen mit Depressionen langfristig mehr chronische Erkrankungen entwickeln – und zwar zu früheren Zeitpunkten in ihrem Leben als Menschen ohne Depression. Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Notwendigkeit von Gesundheitsstrategien, die sowohl psychische als auch körperliche Erkrankungen als Ganzes behandeln.