
23. April 2025, 13:22 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Depressionen in der Jugend sind nicht nur „eine Phase“, sondern müssen als Krankheit ernst genommen werden. Besonders Mädchen sind häufig betroffen. Eine neue Studie zeigt: Ein Ungleichgewicht zwischen bestimmten Stoffen im Gehirn könnte nicht nur das Risiko für eine Depression erhöhen, sondern auch vorhersagen, ob Betroffene wieder gesund werden – oder nicht.
Weltweit sind etwa 280 Millionen Menschen von einer Depression betroffen. Dabei erkranken Frauen doppelt so oft wie Männer.1 Laut Statistischem Bundesamt nehmen die Fälle in Deutschland zu – auch unter Kindern und Jugendlichen. In der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen haben sich die Fallzahlen fast versiebenfacht.2 Und auch hier zeigt sich: Mädchen erkranken häufiger als Jungen an einer Depression. Doch warum ist das so? Ein internationales Forscherteam hat hierzu eine Studie mit 150 Jugendlichen durchgeführt. Ziel war es, biologische Risikofaktoren für Depressionen im Jugendalter zu identifizieren, insbesondere geschlechtsspezifische Unterschiede im sogenannten Kynurenin-Stoffwechselweg. Dieser biochemische Prozess kann das Gleichgewicht zwischen Schutz und Schädigung im Gehirn beeinflussen. Die Forscher untersuchten, wie dieser mit dem Risiko, Verlauf und Genesung von Depressionen zusammenhängt – und fanden deutliche Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen.3
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Übersicht
Wissenschaftler untersuchten bestimmten Stoffwechselprozess
Die Studie untersuchte die Rolle des Kynurenin-Stoffwechsels in Zusammenhang mit Depressionen bei Jugendlichen – mit besonderem Augenmerk auf geschlechtsspezifische Unterschiede. Dieser Stoffwechselweg ist ein zentraler Pfad zur Verarbeitung von Tryptophan, einer Aminosäure, die auch zur Produktion von Serotonin, unserem „Glückshormon“, dient. Im Kynurenin-Weg entstehen sowohl schützende (neuroprotektive) als auch schädliche (neurotoxische) Stoffe für das Gehirn. Ein Ungleichgewicht dieser Stoffwechselprodukte wurde bereits bei Erwachsenen mit Depressionen festgestellt.4 Doch ob dieses Ungleichgewicht auch im Jugendalter vorherrscht, war bislang unklar. Die Forscher wollten klären, ob bei Jugendlichen mit erhöhtem Depressionsrisiko oder bereits bestehender Depression Veränderungen in diesem Stoffwechselprozess auftreten und ob diese bei Mädchen und Jungen unterschiedlich ausfallen. Zusätzlich wurde untersucht, ob solche Veränderungen auch Vorhersagen über den weiteren Verlauf einer Depression erlauben.
150 Jugendliche mit und ohne Depression nahmen teil
Die Studie wurde unter der Leitung von Wissenschaftlern des King’s College London und der Universidade Federal do Rio Grande do Sul in Brasilien durchgeführt. Die Daten stammten aus der IDEA-RiSCo-Kohorte, einer brasilianischen Langzeitstudie mit 150 Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahren (engl.: Identifying Depression Early in Adolescence Risk Stratified Cohort). Die Teilnehmenden wurden drei verschiedenen Gruppen zugeordnet und nach Geschlecht aufgeteilt:
- Gruppe 1: niedriges Risiko für Depressionen
- Gruppe 2: hohes Risiko
- Gruppe 3: bestehende Depression
Die Einteilung erfolgte anhand eines validierten Risiko-Scores für Depressionen. Alle Teilnehmer wurden zu Beginn umfassend klinisch untersucht, und es wurden Blutproben genommen. Drei Jahre später wurden die Jugendlichen mit Depression erneut untersucht, um den Krankheitsverlauf zu analysieren. Zur Messung der Kynurenin-Metabolite (die Stoffwechselprodukte) nutzte das Team eine hochpräzise Methode namens UHPLC-MS, kurz für Ultrahochleistungs-Flüssigkeitschromatographie-Tandem-Massenspektrometrie. Zusätzlich wurden Entzündungsmarker im Blut, sogenannte Zytokine, analysiert. Die Zytokin-Werte sind bspw. und bei Infektionen, Stress oder Krankheiten erhöht. Die Datenanalyse erfolgte mit strengen statistischen Verfahren, einschließlich Korrekturen für multiple Tests, um die Aussagekraft der Ergebnisse zu sichern.
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Stoffwechsel von Mädchen produzierte eine Art „Nervengift“
Die Studie zeigte, dass Jugendliche mit hohem Depressionsrisiko sowie jene mit einer Depression geringere Konzentrationen des neuroprotektiven Metaboliten Kynurensäure aufwiesen als Jugendliche mit niedrigem Risiko. Auch das Verhältnis von Kynurensäure zu Quinolinsäure – einem neurotoxischen Stoffwechselprodukt – war bei diesen Gruppen signifikant reduziert. Dieses „Nervengift“ erhöht den oxidativen Stress in Zellen, was zu weiteren Schäden führt. Erhöhte Quinolinsäure-Spiegel sind mit vielen neuropsychiatrischen und neurodegenerativen Krankheiten assoziiert. Dazu zählen Angststörungen, Depressionen, Alzheimer, Parkinson und Multiple Sklerose.5 Weiterhin war bei Jugendlichen mit hohem Risiko oder bestehender Depression eine positive Korrelation zwischen entzündungsfördernden Zytokinen und neurotoxischen Metaboliten wie Quinolinsäure erkennbar – ein Hinweis auf durch Entzündung verstärkte Schädigungsvorgänge im Gehirn.
Studie identifizierte geschlechtsspezifische Unterschiede
Bemerkenswert: Diese Unterschiede im Stoffwechsel traten nur bei weiblichen Jugendlichen auf. Darüber hinaus fanden die Wissenschaftler bei der Nachuntersuchung drei Jahre später weitere metabolische Unterschiede heraus. Mädchen mit fortbestehender Depression wiesen höhere Konzentrationen neurotoxischer Metabolite auf, als diejenigen, die sich im Laufe der Zeit erholten. Dies deutet darauf hin, dass eine erhöhte neurotoxische Aktivität im Kynurenin-Stoffwechselweg die Überwindung der Depression bei manchen Jugendlichen erschweren könnte.
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Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
Die Ergebnisse unterstreichen, dass Depressionen bei Mädchen im Jugendalter mit biologisch messbaren Veränderungen im Stoffwechsel des Gehirns verbunden sind – insbesondere mit einer Verschiebung des Gleichgewichts zugunsten neurotoxischer Substanzen. Diese Stoffwechselveränderung war nicht nur mit dem Auftreten einer Depression, sondern auch mit deren chronischem Verlauf verbunden. Damit identifiziert die Studie potenzielle Biomarker, die helfen könnten, gefährdete Mädchen frühzeitig zu erkennen und gezielt zu behandeln. Die Verbindung von Entzündungsprozessen und neurotoxischen Stoffwechselprodukten legt nahe, dass Immunreaktionen eine zentrale Rolle in der Entstehung und Chronifizierung von Depressionen spielen könnten.
Erstautorin Dr. Naghmeh Nikkheslat hofft auf bessere Präventionsmöglichkeiten, wie sie in einer Pressemitteilung erklärt: „Diese Erkenntnisse könnten dazu beitragen, gezieltere Unterstützung für Jugendliche mit Depressionen durch Interventionen zu entwickeln, die auf verschiedene Weise auf den Kynurenin-Stoffwechsel einwirken, von Medikamenten bis hin zu Lebensstiländerungen wie Ernährung und Bewegung.“
Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
Die Studie ist die Erste ihrer Art, die geschlechtsspezifische Veränderungen im Kynurenin-Stoffwechsel bei Jugendlichen untersucht. Ihre Stärken liegen im sorgfältig definierten Studiendesign mit klarer Risikostratifikation, der Verwendung valider Messmethoden und der Beobachtung über drei Jahre. Dennoch gibt es Einschränkungen: Die Stoffwechselprodukte wurden nur im Blut gemessen, obwohl zentrale Prozesse im Gehirn stattfinden – eine direkte Aussage über das Gehirn lässt sich daraus nur eingeschränkt ableiten. Trotz dieser Limitationen liefert die Studie wichtige Hinweise auf geschlechtsspezifische Krankheitsmechanismen.

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Fazit
Die Studie zeigt erstmals, dass bei Mädchen mit Depression im Jugendalter der Kynurenin-Stoffwechsel gestört ist – mit einer Verschiebung zugunsten neurotoxischer Stoffe. Diese Veränderungen könnten nicht nur das Risiko für eine Depression anzeigen, sondern auch deren Verlauf beeinflussen. Die Ergebnisse legen nahe, dass biologische Marker wie Kynurensäure und deren Verhältnisse zu anderen Metaboliten zur Früherkennung und Individualisierung von Therapien genutzt werden könnten. Die Forschungsergebnisse ebnen den Weg für geschlechtsspezifische Behandlungsansätze im Bereich der Jugendpsychiatrie.