23. November 2023, 11:06 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Wer im Alter immer wieder Dinge vergisst und um sich herum Merkhilfen hortet, hat schnell eine Befürchtung, an einer Form von Demenz erkrankt zu sein, etwa Alzheimer. Doch Vergesslichkeit kann auch andere Gründe haben. FITBOOK sagt, worin die Unterschiede zwischen normalen und Frühformen von krankhaften Gedächtnisstörungen bestehen.
In Deutschland sind derzeit etwa 1,2 Millionen Menschen an Alzheimer erkrankt, die häufigste Form der Demenz.1 Da das Alter der größte Risikofaktor ist, um eine Demenz zu entwickeln, wird die Zahl in Zukunft ansteigen. Denn nun rückt die Generation der Babyboomer in das Risikoalter vor. Bei auftretender Vergesslichkeit fragen sich viele von ihnen, ob sie bereits an einer Frühform oder tatsächlich bestehenden Alzheimer-Demenz erkrankt sind. Natürlich gilt: Bei zunehmender Vergesslichkeit ist eine ärztliche Untersuchung sinnvoll. Vielleicht beruhigt es aber auch schon ein bisschen, wenn man weiß, dass es einige Unterschiede zwischen der „normalen“ Vergesslichkeit und den sogenannten pathologischen Gedächtnisstörungen gibt, wie sie bei Frühformen von Demenz auftreten. FITBOOK erklärt, welche das sind.
Übersicht
Die Unterschiede zwischen „normaler“ Vergesslichkeit und Demenz
Dinge auf Zettel notieren, an die man sonst nicht mehr denkt – Demenz oder Vergesslichkeit?
Ein Beispiel sei der Nutzen von Merkhilfen, sagt der Neurologe Michael Lorrain in einem Video des Vereins Alzheimer Forschung Initiative aus dem Jahr 2021. Diese Zettel, auf denen man sich Dinge notiert, an die man unbedingt denken muss, seien bei Demenz-Frühformen zunehmend nicht mehr hilfreich. „Das heißt: Die Menschen schreiben etwas auf, aber sie wissen nicht mehr, welche Bedeutung es hat und in welchem Kontext sie etwas aufgeschrieben haben.“2
Ständig Dinge verlegen – ist das schon eine krankhafte Gedächtnisstörung?
Unterschiede zwischen Vergesslichkeit und Demenz gibt es auch beim Verlegen von Dingen. Bei pathologischen Gedächtnisstörungen legen Betroffene Gegenstände oft an Orte, wo sie wirklich überhaupt nicht hingehören – und vergessen das dann. So landet beispielsweise der Schlüsselbund im Kühlschrank oder das Handy im Wäscheschrank.
Wenn vergessene Inhalte wieder im Gedächtnis auftauchen, ist das ein Anzeichen für …
Eine Abgrenzung zwischen „normaler“ und krankhafter Vergesslichkeit ist auch, dass vergessene Inhalte normalerweise auf kurz oder lang wieder im Gedächtnis auftauchen. Bei Alzheimer und anderen Formen der Demenz bleiben sie jedoch für immer verschwunden.
Andere Faktoren für erhöhte Vergesslichkeit
Was vielen Menschen vermutlich nicht bewusst ist: Es gibt auch „nicht so pathologische Gründe“ für eine erhöhte Vergesslichkeit. An erster Stelle sei dabei die Depression zu nennen. „Durch Depression verursachte Gedächtnisstörungen sind im Grunde genommen nach außen hin vollkommen identisch mit den Anfangssymptomen einer Demenz“, erklärt der Neurologe. Ursächlich für die Vergesslichkeit können auch leichte kognitive Defizite sein, bei denen es sich aber nicht um Demenz handelt. Viele davon Betroffene entwickeln später allerdings eine Demenz.
Gedächtnisstörungen und Verwirrtheit werden mitunter auch durch Medikamente verursacht, etwa Benzodiazepine sowie ZNS-gängige Anticholinergika. Problematisch sind übrigens nicht nur verschreibungspflichtige Wirkstoffe, wie der Neurologe Prof. Gereon Nelles vom Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) auf der Seite „Neurologen und Psychiater im Netz“ erklärt. Problematisch seien demnach Medikamente, die bei Schlafstörungen eingenommen werden. „Insbesondere frei verkäuflich Sedativa mit den Wirkstoffen Diphenhydramin oder Doxylamin können kognitionseinschränkende Effekte haben.“3
Auch ein langsamer Stoffwechsel oder Mangel an bestimmten Mikronährstoffen kann mit Vergesslichkeit assoziiert werden. Bei Erwachsenen etwa ein Mangel an Vitamin B12 (FITBOOK berichtete), bei Kindern ein Mangel an dem essenziellen Nährstoff Cholin (reichlich enthalten in Eiern oder Brokkoli), welcher für die störfreie Signalübertragung im Gehirn unabdingbar ist (FITBOOK berichtete). In bereits jungen Jahren sollen auch künstliche Süßstoffe dem Gehirn schaden – mehr dazu lesen Sie hier.4
Hirnforscher wollen überdies erkannt haben, dass es klare Persönlichkeitsmerkmale gibt, die ein schlechtes Gedächtnis begünstigen können: Neurotizismus soll etwa Teile des Nervensystems belasten, die für die episodische Gedächtnisleistung zuständig ist. Welche anderen Persönlichkeitsmerkmale Dr. Weixi Kang und seine Kollegen vom Londoner Imperial College ausgemacht haben, lesen Sie hier.
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Die Diagnose einer Demenz
Um Klarheit zu bekommen, sind Untersuchungen ratsam. „Wenn es Menschen zum Arzt treibt, weil sie Dinge vergessen, dann ist das ernstzunehmen“, sagt Lorrain im Video der Alzheimer Forschung Initiative. Erste Anlaufstelle ist in der Regel der Hausarzt. Es folgt gegebenenfalls eine Überweisung an eine Neurologin oder einen Psychiater. Gerontopsychiatrische Kliniken und sogenannte Memory Kliniken bieten ebenfalls Gedächtnissprechstunden an.
Zum Arztgespräch bringt man idealerweise eine nahe stehende Person mit, die die eigenen Abläufe und Gewohnheiten kennt – das hilft den Fachmedizinern bei der Einschätzung. Zu der Diagnostik gehören auch körperliche Untersuchungen, eine Blutanalyse, Gedächtnistests und gegebenenfalls Untersuchungen des Hirns mithilfe bildgebender Verfahren wie etwa der Computer- bzw. Magnetresonanztomographie („Kernspintomographie“).
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Bekannte und weniger bekannte Risikofaktoren einer Demenz
Zu den Risikofaktoren für das Eintreten einer Demenz zählen – neben dem Alter und einer familiären Vorbelastung – auch „weiche“ Faktoren wie soziale Isolation, ein Rückgang des Tiefschlafs oder ein Job, der das Gehirn kaum anregt.5,6 Bekannt ist inzwischen auch, dass das Coronavirus Alzheimer verschlimmern und womöglich auch auslösen kann. Auch Erkrankungen wie Diabetes, Depressionen, Bluthochdruck, ein hoher Cholesterinspiegel oder ein durchgemachter Schlaganfall zählen den Demenz-Risikofaktoren. 2022 fand eine US-amerikanische Studie, an der die American Heart Association beteiligt war, heraus, dass auch ein Herzinfarkt einen kognitiven Rückgang verursachen und auch das Eintreten von Demenz beschleunigen kann (FITBOOK berichtete).7 Auch wenn Forscher diesen Zusammenhang zwischen Herz und Hirn noch nicht genau verstehen, ist diese Erkenntnis wichtig, um in den frühen bis mittleren Lebensjahren auf die entsprechenden Risikofaktoren zu achten und etwa vermeidbare Lebensstilfaktoren zu meiden. Welche das sind, lesen Sie hier.