12. Juni 2020, 12:00 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
In den letzten Jahren konnte ich immer schlechter einschlafen. Bis mir eine Frau einen Tipp gab, deren weise Worte ich seit meiner Pubertät meist erfolgreich ausblenden konnte: meine Mutter. Ihr Hilfsmittel: mein (ausgeschaltetes) Handy.
Vielleicht kennen Sie das auch: Man liegt schon seit einer gefühlten Ewigkeit im Bett, aber mit dem Einschlafen will es partout nicht klappen. Neben aufkeimender Frustration gesellt sich Langeweile und die natürliche Neugier des Menschen: Haben meine nachtaktiven Freunde irgendwas bei Whatsapp geschrieben? War da heute nicht diese Open-Bar-Veranstaltung, wo lustige Insta-Storys vorprogrammiert sind? Und ehe man sich’s versieht, ist man bei irgendwelchen Sportvideos von Mai 2018 gelandet. Wer kann und will schon schlafen, wenn er (zum fünften Mal im Monat) den garantiert größten Torwartfehler der türkischen Süperlig aller Zeiten sehen kann?
Besser schlafen? Mutti weiß, wie’s geht
Nachdem man dann 30 Minuten in den sozialen Medien gesuchtet hat und von allerlei audiovisuellen Eindrücken berauscht wurde, legt man sein Handy, dieses süße Gift, beiseite und hofft, dass man JETZT! ins Reich der Träume versinken kann. Träum weiter!
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Denn das klappt überraschenderweise gar nicht mal so gut. Genau an dieser Stelle lauert dann auch das Tor zum Teufelskreis. Wenn ich jetzt erneut zum Handy greife, bin ich endgültig weiter weg vom Einschlafen als Ousmane Dembélé vom nächsten Startelf-Einsatz bei Barça.
Was tun? Ich dachte, ich hätte alles versucht: erst das Handy lautlos stellen; dann den „Nicht stören“-Modus aktivieren; schließlich habe ich „sogar“ auf Flugmodus geschaltet. Gebracht hat alles nichts: Denn was heißt schon Flugmodus? Das Handy ist ja immer noch an und kann mit einem kurzen Wischen über das Flugzeug-Symbol sofort wieder zum Leben erweckt werden – und damit auch meine leicht reizbaren Sinne.
Bis meine Mutter zu mir meinte: Hast du eigentlich schon mal das Handy ausgemacht? Sofort zuckte es durch meinen ganzen Körper. AUSSCHALTEN?! Mein Handy ist eigentlich nur dann aus, wenn mich mein Akku mal wieder verraten hat. Zu groß ist die Angst, man könnte irgendwas Wichtiges verpassen. Fear of missing out, kurz: FOMO, nennt sich dieses Phänomen.
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Über die Kunst, sein Smartphone auszuschalten
Trotzdem wollte ich es mal probieren – und stieß auf ein unerwartetes Problem. Ich besitze eines von diesen neuartigen Apfel-Telefonen und musste feststellen, dass ich echt nicht wusste, wie mein Handy ausgeht. Da wurde mir etwas klar, das viel über mich – und wohl auch unsere Zeit und meine Generation – aussagt: Ich habe mein neues Handy in einem halben Jahr nicht einmal ausgeschaltet. Huch!
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Nachdem ich diese technische Hürde endlich genommen hatte, war mein Handy tatsächlich aus. Ich hatte es also gewagt, mich einfach mal unerreichbar zu machen. Die erste Nacht schlief ich alles andere als berauschend, irgendwie fand ich mich und die gesamte Situation bekloppt. Von meinen „Problemen“ können doch andere nur träumen, dachte ich in Dauerschleife – und vergrübelte dabei wertvolle Schlafzeit.
Aber schon am nächsten Abend lief es besser: Ganz bewusst schaute ich ein letztes Mal nach neuen Mails und Chat-Nachrichten. Dann legte ich mein Handy und mich selbst schlafen – und empfand es als Befreiung, mein schachmatt gesetztes Smartphone auf dem Nachtisch liegen zu sehen.
Mittlerweile ist daraus ein regelrechtes Ritual geworden. Ich knipse erst das Licht aus, wenn auch mein Handy aus ist, und läute damit symbolisch die Nachtruhe ein.
Und selbst wenn ich heute nachts wach werde (und liege), erweist sich mein Mini-Ritus als Schlafretter. Ich sage mir dann stets: Du kannst machen, was du willst, Markus (wir duzen uns) – Bücher lesen, Serien (lies: Friends) schauen, debil die Wand anstarren. Alles, aber dein Handy bleibt aus.
Diese Gewissheit, eine nervige Option weniger zu haben, verleiht mir eine innere Ruhe, die mich in der Regel schnell wieder einschlafen lässt. Kein großes Ding? Kann sein, aber für MICH macht es einen großen Unterschied. Und wer weiß: Vielleicht hilft dieser simple Psychotrick nur einem einzigen Leser, in Zukunft besser ein- und durchzuschlafen. Dann hätte sich dieser Erfahrungsbericht schon gelohnt.