25. Oktober 2018, 7:56 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Ein stinknormaler Sturz beim Bouldern hat mein linkes Knie zerfetzt und wird mich für gut und gerne anderthalb Jahre außer Gefecht setzen. Grund genug, den Sport für immer zu hassen? Ganz im Gegenteil, ich habe nur einen Wunsch: zurück an die Kletterwand. Warum das so ist – und was das mit einer zerflossenen Liebe zu tun hat –, erfahren Sie hier.
Diesen Knall werde ich nie vergessen. Dieses verstörende Zerbersten, Päng!, einmal quer durch den Boulderklub Kreuzberg. Was sich da gerade verabschiedet hatte, war so ziemlich jedes Band in meinem linken Knie. „Scheiße, scheiße, scheiße“, entfuhr es mir. Panik machte sich in mir breit, denn ich spürte: In Sekundenbruchteilen hatte sich mein Leben für die kommenden zwölf, vielleicht sogar 18 Monate radikal verändert.
Auch nicht vergessen werde ich die bestürzten Blicke der anderen Kletterer. Sofort eilten mir einige zur Hilfe. Aber was konnten sie schon ausrichten? Mein Knie fühlte sich an, als wäre im Gelenk eine Splittergranate explodiert. Ein vorsichtiger Bewegungsversuch endete in bestialischen Schmerzen. Es musste eine ernste Verletzung sein. Und zwar eine von der Sorte Tatütata und OP-Saal. Fuck!
Auch interessant: Studien belegen – Fluchen lindert Schmerzen
Doch was war eigentlich passiert?
Der Unfall
Es geschah an einem Dienstagabend im Frühling. 90 Minuten knallharte Kletterei lagen da schon hinter mir. Doch fertig war ich noch nicht. Mit einer Kletterroute hatte ich noch eine Rechnung offen. Und so hing ich kurze Zeit später wieder in der Luft und holte Schwung für einen finalen Sprung.
Doch festhalten konnte ich den Griff nicht. Ich stürzte aus knapp drei Metern in die Tiefe. An sich nichts Schlimmes beim Bouldern, weil man unten angekommen von weichen Matten aufgefangen wird. Doch dieser Sturz war anders. Ich drehte mich in der Luft um die eigene Achse und fiel völlig unkontrolliert. Und bei der Landung riss es mir mein Knie mit einer erschreckenden Urgewalt weg – mit den schon bekannten Folgen.
Doch welche waren das eigentlich genau?
Wenn die Diagnose zum Faustschlag wird
Im Rettungswagen ging es schnurstracks ins Krankenhaus. Noch hielten sich die Ruheschmerzen in Grenzen, mit Ausnahme einer kurzen Fahrt über Kopfsteinpflaster. Ich musste auf mein Knie schauen, um sicherzustellen, dass da nicht gerade jemand mit Presslufthammer zu Werke ging.
Nach fünfstündiger Warterei in der Notaufnahme bequemte sich eine Ärztin dann doch noch zu einer Einschätzung: „Sieht nach Kreuzband- und Meniskusriss aus“, ließ sie mich emotionslos wissen, bevor ich zur Röntgenabteilung rübermusste. Dort erfuhr ich dann, dass wenigstens meine Knochen den Sturz heil überstanden hatten. Puh, nicht noch eine Hiobsbotschaft.
Auch interessant: Alles, was Sie zum Thema Kreuzbandriss wissen müssen
Die kam dafür zwei Wochen später, als es endlich die offizielle Diagnose gab: Kreuzbandriss, Innenbandriss, Meniskusriss, Anriss der Patella-Sehne und ein Knorpelschaden 4. Grades.
Autsch, das saß! Mir wurde schlecht. Und ich bekam es mit der Angst zu tun. Ich wollte wissen, ob meine Tage als Sportler der Vergangenheit angehören würden. Der Arzt wollte noch keine Prognose abgeben, dafür sei meine Verletzung zu kompliziert. Beruhigende Worte sehen anders aus.
Ja, ich will wieder bouldern!
Nach allem, was ich bisher geschrieben habe, steht für mich – und bestimmt auch für viele Leser – fest: Ich müsste Bouldern jetzt abgrundtief hassen und mir schwören, diesen Scheißsport nie wieder auszuüben. Dabei lautet mein größter Wunsch: Ich will an die Kletterwand zurück! Wie kann das sein? Bin ich irgendwie masochistisch veranlagt?
Auch interessant: So kann man trotz Gelenkschmerzen Sport treiben
Das könnte man meinen, wenn man sich meine jetzige Situation auf der Zunge zergehen lässt: Eine Meniskus-OP habe ich schon hinter mir, in einem zweiten Eingriff sollen Kreuzband und Innenband rekonstruiert werden, zu guter Letzt steht dann noch eine komplizierte Knorpeltransplantation an.
In der Zwischenzeit hat sich natürlich auch mein Leben um 180 Grad gewendet. Als unverbesserlicher Sportjunkie leide ich unter dem strikten Bewegungsverbot und der Ungewissheit, wie – und ob! – es für mich im sportlichen Sinne weitergeht.
Auch gutgemeinte Netflix- und Bücherempfehlungen kann ich nicht mehr hören. Ich weiß, meine Freunde wollen mir nur helfen, ich bin aber nicht für Seriengucken und Lesemarathons gemacht. Das Rumliegen zu Hause hängt mir einfach zum Halse raus. Ich habe konstant schlechte Laune, was die eine Hälfte meines Freundeskreises total nachempfinden kann. Die andere Hälfte scheint von meiner negativen Stimmung schnell genug zu haben und macht sich vom Acker. Wie sagt man so schön: Wahre Freundschaft erkennt man erst in schlechten Zeiten.
Ich muss übrigens gestehen: Direkt nach dem Sturz habe ich einen richtigen Hass auf den Sport entwickelt, schließlich hat mich ja wirklich erst Klettern in diese beschissene Lage katapultiert. Geholfen hat bestimmt auch nicht, dass ich fast täglich von dem Sturz träumte – und dann jedes Mal schweißgebadet aufgewacht bin.
OK, und warum zur Hölle will ich dann in die Boulderhalle zurück?
Weil ich immer noch vom Klettern träume, nur ohne verhängnisvollen Sturz. Stattdessen träume ich mittlerweile von dem Gefühl der Unbesiegbarkeit, wenn ich mal wieder eine schwere Route geschafft habe. Ich träume von dem einmaligen Freiheitsgefühl, das ich beim Bouldern so oft erlebt habe.
Auch interessant: Selbstversuch – was das erste Mal Bouldern mit mir machte
Und so kommt es, dass die Sehnsucht nach Bouldern von Tag zu Tag größer wird. Und mit ihr die Entschlossenheit, an die Wand zurückzukehren. Doch warum gerade Bouldern?
Was finde ich am Bouldern so toll?
Meine Beziehung zum Bouldern könnte man auch mit den Worten ‚Liebe auf Umwegen‘ beschreiben. Denn eigentlich war ich mit einem anderen Sport liiert: CrossFit. Doch diese Beziehung ging leider in die Brüche. Der Trennungsgrund: eine chronische Beckenverletzung.
Die Suche nach einer neuen Sportart gestaltete sich als kompliziert. Was vermutlich an meinen hohen Ansprüchen lag. Gefordert war nämlich:
- ein Mix aus körperlicher Erschöpfung und Erholung für den Geist
- ein Einzelsport
- eine Community von sportbegeisterten und entspannten Menschen
Und Abwechslung durfte auch nicht fehlen. Denn das monotone Gewichtestemmen im Fitnessstudio hatte ich satt.
Dann entdeckte ich Bouldern. Die Mischung aus körperlicher und mentaler Herausforderung sagte mir sofort zu. Beim Klettern war jedes Training einzigartig. Jede Route stellt ein neues Rätsel dar. Nur wer jeden Griff und Tritt akribisch plant, bewegt sich effizient genug, um auch die schweren Routen zu packen.
Schnell war ich vom Kletter-Virus infiziert und ackerte mich auf den vierten von sechs Schwierigkeitsgraden vor. Bis meine neugewonnene Liebe an einem schönen Dienstagabend im Frühling auf eine unvorhersehbare Zerreißprobe gestellt wurde.
Vielfältiger Einsatzbereich Gegen Angststörungen – wann therapeutisches Klettern helfen kann
Angefixt durch Olympia? Boulder-Profis geben wichtige Tipps für Einsteiger
Bouldern und Co. Wer haftet, wenn ich mich beim Hallenklettern verletze?
Mein Weg zurück zum Bouldern
Freunde, denen ich von meinem Vorhaben erzähle, schütteln zum großen Teil nur den Kopf. Doch zum Glück gibt es auch sie, Personen, die mich verstehen und an mein Ziel glauben. Sie wollen mich unterstützen, warnen gleichzeitig aber auch vor den Risiken. Denn mein Knie wird für immer meine Achillesferse bleiben. Also muss ein Plan her.
In der ersten Phase werde ich mit Physiotherapie die Stützmuskulatur rund um mein Kniegelenk stärken (nach den folgenden zwei OPs, versteht sich).
In einem zweiten Schritt werde ich mit einem Sportpsychologen meinen Sturz noch einmal in aller Ruhe aufarbeiten. Denn der hat natürlich reichlich Narben hinterlassen – und eine Scheißangst, die beim Klettern zu Fehlern führt.
Stichwort Angst: Um wieder Sicherheit an der Wand zu gewinnen, werde ich wohl erstmal mit einem Seil klettern (auch Vorstiegsklettern genannt). Hier geht es zwar deutlich höher hinaus, aber mein Knie müsste im Falle eines Sturzes deutlich weniger Krafteinwirkungen aushalten.
Und dann soll es eines Tages wieder zurück an die Kletterwand gehen, ganz ohne Seil und hoffentlich auch ohne Horrorverletzungen. Dafür werde ich auch in den sauren Apfel beißen und noch mal beim einfachsten Schwierigkeitsgrad einsteigen. Nicht weil ich das Klettern verlernt habe, sondern weil ich auf Nummer sicher gehen will und erst wieder Vertrauen in den Sport – und meinen Körper – aufbauen muss.