24. Juni 2020, 16:04 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Eine Sehschwäche gehe auf Verspannungen und Verkrampfungen der Augenmuskeln zurück – und diese Theorie auf einen Wissenschaftler aus dem 19. Jahrhundert. Bis heute wird einigen Patienten daher gezieltes Augentraining empfohlen. Wie das gehen soll und ob man dadurch wirklich seine Sehkraft verbessern kann, lesen Sie bei uns.
Warum in teure Brillen oder Kontaktlinsen investieren, wenn man die Augen mit einfachem Training fit machen kann? Diese Frage könnten sich all jene stellen, die erstmals vom Augentraining nach Bates hören. Namengebender Erfinder des Prinzips war der US-amerikanische Augenarzt William Bates (1860–1931). Der war überzeugt davon, dass sich eine Sehschwäche mithilfe von Entspannungsübungen der Augenmuskeln auskorrigieren lässt. Aber kann man mit Augentraining wirklich die Sehkraft verbessern?
So soll das Augentraining nach Bates funktionieren
Bates hat zwei wesentliche Methoden fürs Augentraining geprägt, die bis heute noch Anwendung finden.
1. Das Palmieren. Dafür werden die Handinnenflächen durch Aneinanderreiben aufgewärmt und anschließend für zwei Minuten auf die geschlossenen Augen gelegt, mit dem Ziel, absolute Dunkelheit zu erzeugen.
Nach dem Palmieren empfiehlt sich laut Bates ein kurzes Sonnenbad der Augen. Dafür das Gesicht mit geschlossenen Augenlidern für ein bis zwei Minuten der Sonne aussetzen.
2. Beim sogenannten Großen Schwung geht es darum, gleichermaßen Nacken und Schultern zu entspannen. Dafür die Beine mit etwas Abstand zueinander aufstellen und die Arme herunterhängen lassen. Nun pendelnd hin und her drehen (jeweils bis zu max. 90 Grad), mit dem Blick immer der Bewegung folgen. Die Arme mitschwingen lassen.
Bessere Sehkraft durch Pendel-Bewegungen?
Schulmediziner sehen den Ansatz kritisch. Kein Wunder, lassen sich verschiedene Formen von Fehlsichtigkeit messen und auf z. B. anatomische Ursachen zurückführen. Dennoch: Dass man mit Augentraining die Sehkraft verbessern kann, glauben weiterhin einige. So gibt es die Empfehlung, keine Brille oder Kontaktlinsen zu tragen, um die Augen an die geforderte Sehleistung zu gewöhnen. Und so mancher Patient soll beim Fernsehen immer für eine Weile je ein Auge abdecken, um das andere stärker zu beanspruchen, sprich zu trainieren. Ist das sinnvoll?
„Augenmuskeln haben mit Sehkraft nichts zu tun!“
Frau Dr. med. Hanna Ettinger-Neuss ist Fachärztin für Augenheilkunde aus Frankfurt am Main – und sich sicher: Die Muskeln im Auge, die man trainieren kann, beeinflussen die Sehkraft in keinster Weise. Die Theorie von Bates sei nie mit Messungen bestätigt worden. „Seine Anhänger haben es womöglich so empfunden, besser sehen zu können.“
Das ist es laut der Ärztin auch, was genau passiert, wenn jemand seine Brille nicht mehr trägt, obwohl er sie eigentlich bräuchte. „Früher oder später gewöhnt man sich an das neue, wenn auch schlechtere Sehen. Das bedeutet nicht, dass die Sehkraft besser geworden wäre“, versichert sie, „am Auge verändert sich nichts! Nur das Empfinden für das Sehen ist ein anderes geworden.“
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Entspannungs- statt Augentraining
Dennoch hält auch Frau Dr. Ettinger-Neuss Entspannungsübungen für durchaus sinnvoll – also z.B. Yoga oder autogenes Training. Umgekehrt werde nämlich ein Schuh draus: Seelischer und körperlicher Stress kann auf Kosten der (Augen-)Gesundheit gehen. „Psychosomatik in der Augenheilkunde“ sei daher auch für den Berufsverband der Augenärzte Deutschlands ein wichtiges Thema.
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Fazit
„Ein entspannter Mensch sieht besser, weil er besser wahrnehmen kann“, sagt uns abschließend Frau Dr. Ettinger-Neuss. Grünes Licht also für Entspannungsübungen. Mit der richtigen Erwartungshaltung eben.