3. Dezember 2024, 11:37 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Woran erkennt man einen Psychopathen? Diese Frage hat schon viele Forscher beschäftigt. Teils brachte die Suche nach dem einen simplen Anzeichen skurrile Merkmale zutage, denken Sie nur mal an den Zeige-Ringfinger-Vergleich. Ernster zu nehmen ist eine aktuelle Studie aus Australien, für die Freiwillige auf drei wichtige psychopathische Persönlichkeitsmerkmale getestet wurden. Anschließend wurde überprüft, wie ihre Aufmerksamkeit wandert, wenn sie ein spezielles Bild ansehen. Psychopathen haben es offenbar nicht so mit Details.
Geht es nach der Forschung, ist es eigentlich ganz leicht, einen Psychopathen zu identifizieren: Eine Vorliebe für dunkle Schokolade? Sie könnten ein Psychopath sein. Für Kaffee und Bier? Ganz schwierig. Ein im Vergleich zum Ringfinger kürzerer Zeigefinger? Potenziell psychopathologisches Persönlichkeitsmerkmal. Sie fahren ein Auto in der Farbe Gold? Höchste Psychopathie-Wahrscheinlichkeit im Vergleich zu anderen Autofarben. Zugegeben: Diese teils etwas skurrilen Anzeichen sind natürlich nicht ernsthaft als Anzeichen für Psychopathie zu betrachten. Auch wenn uns manche Studien oder Umfragen etwas anderes erzählen wollen. Wenn es um Psychopathie geht, beziehen sich seriöse wissenschaftliche Untersuchungen auf Persönlichkeitsmerkmale (und nicht auf Snack-Vorlieben oder Fingerlängen). Da wäre etwa ein Mangel an Empathie zu nennen – Psychopathen berührt das Leid anderer nicht –, manipulatives Verhalten – Psychopathen nutzen Menschen gezielt aus –, Impulsivität – sie suchen ständig nach Reizen und Gefahren und übernehmen keine Verantwortung für ihre Handlungen – oder Oberflächlichkeit – Psychopathen pflegen selten langfristige, stabile Beziehungen. Australische Forscher haben die Liste an Merkmalen, an denen man Personen mit einer psychopathischen Persönlichkeitsstörung erkennen können soll, nun um einen Hinweis ergänzt. Auch wenn es natürlich keine Diagnose durch einen Experten ersetzt, soll es sich um ein besonders wesentliches Anzeichen handeln.
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Übersicht
- Australische Studie mit 236 Freiwilligen zwischen 18 und 40 Jahren
- So gingen die Forscher vor – und das fanden sie heraus
- Psychopathen richten ihre Aufmerksamkeit nicht auf Details
- Ergebnis passt zum zielgerichtetem Verhalten von Psychopathen
- Warum die Studie keine Verallgemeinerung zulässt
- Anzeichen für Psychopathie
- Quellen
Australische Studie mit 236 Freiwilligen zwischen 18 und 40 Jahren
Stephanie Goodhew und Mark Edwards von der Australian National University in Canberra interessierten sich für ihre Arbeit für die drei Psychopathie-Merkmale Antisozialität, Egozentrik und Gefühllosigkeit. Warum diese drei? Bei Psychopathen wird eine schwere Form der antisozialen Persönlichkeit angenommen, die sich in allen möglichen Formen äußern kann. Von gelegentlichem Fehlverhalten bis hin zu wiederholten Gesetzesbrüchen und schweren Straftaten. Ähnlich verhält es sich mit den beiden anderen Merkmalen: Psychopathen kümmern sich intensivst und ausschließlich um die eigenen Interessen (Egozentrik) und haben keine Emotionen für andere oder zeigen sie nicht (Gefühllosigkeit).
Das erste Experiment zielte darauf ab, herauszufinden, ob psychopathische Merkmale mit einer Vorliebe für eine enge oder breite Aufmerksamkeitsspanne verbunden sind. Die Aufmerksamkeitsbreite ist ein Begriff aus der Kognitionspsychologie und bezeichnet die Menge an Informationen oder Reizen, die eine Person gleichzeitig bewusst wahrnehmen und verarbeiten kann. Schaut jemand aufs Detail oder sieht zuerst das große Ganze?
118 Freiwillige zwischen 18 und 40 Jahren mit Wohnsitz in Großbritannien mussten zunächst 26 Aussagen der Levenson Self-Report Psychopathy Scale (E-LSRP) zustimmen (oder nicht). Etwa „ich war oft in lautstarke Auseinandersetzungen mit anderen Leuten verwickelt“. Mit dem 1995 entwickelten E-LSRP lässt sich – vereinfacht gesagt – Psychopathie messen. Hat eine Person Pychopathiemerkmale? Und wenn ja, welche?
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So gingen die Forscher vor – und das fanden sie heraus
Dann sollten sich die Probanden immer und immer wieder ein spezielles Bild ansehen. Dieses bestand aus einem großen Buchstaben, der sich wiederum aus mehreren kleineren Buchstaben zusammensetzte. Der Fachbegriff für solche Bilder ist Navon-Figuren. Bei jedem Hinsehen sollten die Personen sagen, welcher Buchstabe ihnen zuerst aufgefallen war: groß oder klein? „Großer Buchstabe“ bedeutet: großer Aufmerksamkeitsfokus; „kleiner Buchstabe“ hingegen, dass die Person dazu neigt, sich auf kleine Einzelheiten zu konzentrieren – kleiner Aufmerksamkeitsfokus.
Ergebnis: Goodhew und Edwards stellten in ihrer in der Zeitschrift „Personality and Individual Differences“ veröffentlichten Arbeit keinen Zusammenhang zwischen der Aufmerksamkeitsbreite und den drei erwähnten Psychopathie-Merkmalen fest.1 Einen Zusammenhang fanden sie aber: nämlich dass Personen mit stark ausgeprägter Antisozialität – eine psychopathische Eigenschaft – eine Präferenz dafür hatten, den großen Buchstaben zu sehen, sprich: breiter Aufmerksamkeitsfokus.
Im zweiten Experiment untersuchten die Forscher, wie schnell Personen mit unterschiedlichen psychopathischen Merkmalen ihre Aufmerksamkeitsbreite anpassen konnten. Also die Fähigkeit, sich in einem Moment auf feine Details zu konzentrieren und im nächsten Moment eine größere Szene wahrzunehmen. Hierfür wurden weitere 118 Probanden rekrutiert, die zunächst wie Gruppe 1 die Psychopathie-Beurteilung nach E-LSRP durchliefen. Im ersten Versuch sollten sie wieder ein Navon-Bild ansehen, welches jedoch dahin gehend verzerrt war, dass man beim Hinsehen seine Aufmerksamkeit eher von breit zu eng richten musste, um überhaupt etwas zu erkennen; im zweiten Versuch war das Bild so verzerrt, dass man von eng zu breit fokussieren musste.
Psychopathen richten ihre Aufmerksamkeit nicht auf Details
Die Ergebnisse zeigten nun, dass lediglich Personen mit stark ausgeprägtem antisozialen Persönlichkeitsmerkmal schneller von einem engen zu einem weiten Aufmerksamkeitsfokus wechselten als alle anderen. Mit anderem Worten: Personen, die wiederholt soziale Normen missachten, eine geringe Frustrationstoleranz haben und sehr schlecht darin sind, Beziehungen und Bindungen zu anderen Menschen aufzubauen, neigen dazu, ihre Aufmerksamkeit schnell vom Detail wegzubringen, um bevorzugt das Gesamtbild zu sehen. Sie können ihrem Gehirn nicht so gut sagen: Schau mal genau hin. Um es vielleicht noch etwas vereinfachter auszudrücken, könnte man sagen: Skrupellose Personen interessieren sich nicht für Details. Sie übersehen sie lieber.
Ergebnis passt zum zielgerichtetem Verhalten von Psychopathen
Die anderen beiden untersuchten psychopathischen Merkmale (Egozentrik und Gefühllosigkeit) beeinflussten hingegen nicht, ob die Person den großen Buchstaben sah oder die Details, die ihn formten. Die Forscher schlussfolgern daraus: hohe Antisozialität (dabei handelt es sich um ein psychopathisches Merkmal) könnte mit einer eingeschränkten Aufmerksamkeitsfokussierung verbunden sein. Das wiederum würde dazu passen, dass sich solche Personen häufig intensiv zielgerichtet verhalten.
Jetzt fragen Sie sich womöglich: Ob man den kleinen oder großen Buchstaben sieht – so what? Man muss Wahrnehmung in diesem Kontext breiter sehen. Wahrnehmung kann sich bekanntermaßen auch auf Personen oder einen Gedanken beziehen. Sehe ich den Pickel am Kinn einer Person oder ihr Erscheinungsbild insgesamt? Erinnere ich mich an das Detail eines Plans – oder nur daran, dass er aufging oder nicht? Wie eng oder breit fokussiert eine Person ihre Aufmerksamkeit in einem bestimmten Moment? Nun, jetzt wissen Sie: Wer sehr antisozial agiert und keine Details erinnert, ist womöglich eher ein Psychopath. Wer detailreich in Erinnerungen schwelgt, womöglich eher nicht.
Warum die Studie keine Verallgemeinerung zulässt
Wie zuvor erwähnt, ist hier nur von der Möglichkeit die Rede. Denn die von Goodhew und Edwards gewonnenen Erkenntnisse sind keine Blaupause für die Diagnose „psychopathische Persönlichkeitsstörung“. Ihre Forschung zeige lediglich – so werden Goodhew und Edwards von „PsyPost“ zitiert –, dass eine höhere Egozentrizität und Gefühllosigkeit mit einer reduzierten Verarbeitungsbandbreite verbunden sei. Und dieses Ergebnis sei spannend, weil man aus früheren Untersuchungen eher abgeleitet habe, dass gefühllose Egozentriker ablenkende Informationen (Details) herausfiltern, weil es ihnen strategisch nütze. Die aktuelle Studie liefere dagegen Hinweise dafür, dass sie es tun, weil ihr Gehirn nicht die Kapazität dazu habe. Aber: Bevor Sie verdächtige Personen nun bitten, sich detailreiche Bilder anzusehen und diese zu beschreiben: Die Diagnose überlassen Sie bitte den Profis.
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Anzeichen für Psychopathie
Die am weitesten verbreitete Messmethode für Psychopathie ist die Psychopathy Checklist-Revised, die Faktoren wie zwischenmenschliche Beziehungen, affektive Reaktionsfähigkeit sowie impulsives und antisoziales Verhalten bewertet.2
Anzeichen eines Psychopathen3
Pathologisches Lügen
Fehlendes Einfühlungsvermögen
Oberflächlicher Charme
Impulsivität und Risikobereitschaft
Manipulatives Verhalten
Übertriebenes Gefühl für eigene Wichtigkeit
Mangel an langfristigen Zielen