15. Januar 2021, 11:35 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Einige Firmen in Deutschland testen das Model von weniger Arbeitsstunden bei gleichem Gehalt – mit gutem wirtschaftlichem Erfolg. Dass kürzere Arbeitstage auch die Gesundheit der Mitarbeiter positiv beeinflussen, haben nun Forscher in einer Studie herausgefunden. Die durchaus überraschenden Ergebnisse müssen jedoch mit etwas Vorsicht bewertet werden.
Eine kürzere Arbeitswoche ist gesünder – zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie. Nicht nur, weil man in der gewonnen Freizeit mental abschalten und zum Beispiel Sport treiben kann. Die Studie über französische Arbeitnehmer geht noch einen Schritt weiter: Weniger Arbeitsstunden sollen sogar einen positiven Effekt auf das Rauchen haben.
Daten zur kürzeren Arbeitswoche durch Reform in Frankreich
Inés Berniell von der Universidad Nacional de La Plata (Argentinien) und Jan Bietenbeck von der Lund University (Schweden) untersuchten für ihre Studie französische Datensätze. 1998 führte die Regierung in Frankreich eine kürze Arbeitswoche ein. Statt 39 Stunden mussten die Arbeitnehmer nur noch 35 Stunden pro Woche arbeiten, bekamen aber das gleiche Gehalt. Die Gesundheitsdaten bekamen die beiden Forscher über zwei Umfragen unter einer Gruppe von Arbeitnehmern. Die erste wurde 1998 durchgeführt, als die Reform verkündet wurde, die andere im Jahr 2002, als sie vollständig umgesetzt war.
Beide Male wurden dieselben Menschen befragt. Das Forschungsduo berücksichtigte in seiner Analyse allerdings nur die Männer. „Normalerweise werde ich wütend, wenn ich eine Studie im Bereich Ökonomie, meistens Arbeitsökonomie sehe, die sich ausschließlich auf Männer fokussiert. Damit schließt man die Hälfte der Bevölkerung aus“, räumt Berniell in „The Academic Times“ ein. Da Frauen jedoch häufig in Teilzeit arbeiten, sei die vergleichbare Reduzierung der Arbeitszeit zu gering gewesen, um einen Effekt zu messen. Sie seien deshalb nicht in die Studie aufgenommen, ebenso wenig wie männliche Teilzeitkräfte und Manager.
Unterschiede zwischen Büroangestellten und Arbeitern
Das Ergebnis der Studie zeigt, dass eine kürzere Arbeitswoche durchaus gesünder ist. Allerdings gibt es bei den gesundheitlich begünstigten Faktoren Unterschiede zwischen Arbeitern und Bürokräften. Bei Ersteren sorgten die vier Arbeitsstunden weniger für einen Rückgang beim Rauchen um 19 bis 24 Prozent. Der Body-Mass-Index (BMI) stieg hingegen leicht an. Bei den Büroangestellten war es umgekehrt. Beim Rauchen zeigte sich keinerlei Unterschied zur 39-Stunden-Woche, während der BMI um 1,7 bis 2,1 Prozent sank.
Als mögliche Erklärung für diese Entwicklung nennt das Forscherduo die Unterschiede in der körperlichen Aktivität während des Jobs und in der Freizeit. „Bürokräfte nutzen einen Teil der neugewonnen freien Zeit, um zu trainieren. Dadurch sinkt ihr BMI“, heißt es in der Studie. Währenddessen würden Arbeiter während ihrer eher physischen Tätigkeit mehr Kalorien verbrennen und es nicht schaffen, diesen Verlust der körperlichen Aktivität in der kürzeren Arbeitswoche wettzumachen. Dadurch steige ihr BMI.
Des Weiteren sei die Wahrscheinlichkeit, bei guter Gesundheit zu sein, in den untersuchten vier Jahren um 2 bis 3 Prozent gestiegen. „Die zentrale Schlussfolgerung der Ergebnisse ist, dass Strategien zur Arbeitszeitreduzierung, wie beispielsweise die Kürzung der gesetzlichen Wochenarbeitszeit, zu wichtigen gesundheitlichen Vorteilen führen können“, fasst Berniell zusammen.
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Kritik an der Studie
Wer nun begeistert aufgesprungen ist, um seinem Chef oder seiner Chefin die Studie zu zeigen, der sollte sich erst einmal wieder hinsetzen. Die Studie wurde zwar erst vor Kurzem in „Economics & Human Biology“ veröffentlicht. Aber wie bereits erwähnt, stammen die Datensätze aus den Jahren 1998 und 2002. Seitdem sind mehr als 20 Jahre vergangen, in denen sich nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch das gesellschaftliche Leben in vielerlei Hinsicht verändert haben. Dieselbe Studie würde heute u. U. zu völlig anderen Ergebnissen führen.
So würden die Arbeitnehmer ihre freie Zeit heute vielleicht mit Aktivitäten verbringen, die es damals in der Form noch nicht gab, wie beispielsweise das Streamen von Filmen und Serien. Außerdem hat sich der Anteil der Teilzeitkräfte verschoben. Am Beispiel Deutschland: Während 1999 noch 4,6 Prozent der erwerbstätigen Männer in Teilzeit gearbeitet haben, waren es 2019 schon 11,5 Prozent. Die würden in einer aktuellen Studie herausfallen. Gleichermaßen sollten Frauen in Vollzeitanstellung in die Studie aufgenommen werden. Aus heutiger Sicht stellt die Studie also eine veraltete Arbeitswelt und Gesellschaft dar.
Zu guter Letzt stammen die Zahlen aus Frankreich. Ein Arbeitsmodell, was dort funktioniert, kann nicht eins zu eins auf andere Länder übertragen werden. Dennoch wissen die meisten Menschen aus eigener Erfahrung, wie wichtig eine vernünftige Work-Life-Balance ist. Weniger Arbeitsstunden bei gleichem Gehalt würde den meisten Menschen damit zumindest mentale Vorzüge bringen. Letztendlich ist eine kürzere Arbeitswoche sicherlich gesünder.