8. Januar 2022, 8:11 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Rauchen, Fettleibigkeit, hoher Blutzucker und niedrige Bildung – das sind einige der Faktoren, die mit einem höheren Demenzrisiko einhergehen. Werden sie nicht verstärkt angegangen, drohen die Fallzahlen immens zu steigen, warnen Forscher.
In den kommenden drei Jahrzehnten – bis zum Jahr 2050 – könnte sich die Zahl weltweiter Demenzfälle fast verdreifachen. Das sagt zumindest eine Gesundheitsstudie voraus, die in der Fachzeitschrift „The Lancet Public Health“ veröffentlicht wurde.1
Übersicht
65 Prozent mehr Demenzfälle in Deutschland laut Prognose für Jahr 2050
Ihr zufolge könnten 2050 rund 153 Millionen Menschen mit Demenz leben – gegenüber 57 Millionen im Jahr 2019. Zurückzuführen sei das vor allem auf Wachstum und Alterung der Bevölkerung. Einen besonders hohen Anstieg erwarten die Wissenschaftler unter anderem in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten, während Japan die geringsten Zuwachsraten verzeichnen werde. Für Deutschland prognostizieren die Forscher einen Zuwachs von 65 Prozent, was unter dem westeuropäischen Durchschnitt liegen würde.
Warum nehmen Demenzerkrankungen zu?
Schon im vergangenen Jahr hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davor gewarnt, dass die Zahl der Demenzkranken in den kommenden zehn Jahren global rasant zunehmen werde. Einer der Hauptgründe dafür sei die steigende Lebenserwartung. Mit dem Alter erhöht sich das Risiko für nichtübertragbare Krankheiten und damit auch für Demenz. Dieser Oberbegriff beschreibt das Symptombild einer ganzen Reihe von meist fortschreitenden Krankheiten, welche die Leistungsfähigkeit des Gehirns beeinflussen – zu den häufigsten und bekanntesten gehört die Alzheimer-Demenz. Nach Angaben der WHO ist Demenz derzeit die siebthäufigste Todesursache weltweit und eine der Hauptursachen für Behinderungen und Pflegebedürftigkeit bei älteren Menschen. Die globalen Kosten werden für 2019 auf mehr als eine Billion US-Dollar geschätzt.
Umso alarmierender erscheinen nun die Vorhersagen, welche ein Team internationaler Wissenschaftler für die regelmäßig erscheinende „Global Burden of Disease“-Studie modelliert hat. Konkret erstellten die Forscher Schätzungen der Demenzprävalenz für 195 Länder und Territorien im Zeitraum von 2019 bis 2050. Dabei bezogen sie verschiedene Demenz-Risikofaktoren ein. Vor allem Bevölkerungswachstum und -alterung führten dazu, dass bis 2050 voraussichtlich 153 Millionen Menschen weltweit mit Demenz leben. Das stellt fast eine Verdreifachung der Fälle im Vergleich zu 2019 dar.
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Welche Regionen am stärksten vom Anstieg der Demenzfälle bis 2050 betroffen sind
Den größten Anstieg der Prävalenz prognostiziert die Studie für den östlichen Subsahara-Raum, wo die Zahl der Demenzkranken im Alter von 40 Jahren und älter um über 350 Prozent ansteigen werde. Um fast 370 Prozent steigende Fallzahlen werden für Nordafrika und den Nahen Osten vorhergesagt. Hier seien besonders hohe Steigerungsraten in Katar (1926 Prozent) und den Vereinigten Arabischen Emiraten (1795 Prozent) zu erwarten. Der geringste Anstieg wird für den einkommensstarken asiatisch-pazifischen Raum prognostiziert. Die Zahl der Fälle soll hier um 53 Prozent auf 7,4 Millionen 2050 steigen. Ein besonders geringer Zuwachs ist in Japan (27 Prozent) zu erwarten.
Für Westeuropa erwarten die Studienautoren einen Anstieg der Fälle um 74 Prozent, von fast 8 Millionen 2019 auf knapp 14 Millionen 2050. Niedrigere Anstiegsraten seien hier für Griechenland (45 Prozent), Italien (56 Prozent), Finnland (58 Prozent) und Schweden (62 Prozent) zu erwarten. Auch Deutschland liege mit 65 Prozent (von knapp 1,7 Millionen Erkrankten 2019 auf knapp 2,8 Millionen 2050) noch unter dem prognostizierten durchschnittlichen Zuwachs Westeuropas. Überdurchschnittlich hoch werde dieser unter anderem in Zypern (175 Prozent), Andorra (172 Prozent) und Irland (164 Prozent) ausfallen.
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Welche Risikofaktoren spielen für Anstieg eine Rolle?
Mit Blick auf die Auswirkungen von vier Demenz-Risikofaktoren – Rauchen, Fettleibigkeit, hoher Blutzucker und niedrige Bildung – prognostizieren die Studienautoren, dass ein verbesserter Zugang zu Bildung für sechs Millionen weniger Demenzfälle sorgen könnte. Dem stünden allerdings knapp sieben Millionen mehr Fälle gegenüber, die mit den prognostizierten Raten für Fettleibigkeit, hohen Blutzucker und Rauchen zusammenhingen.
Umso wichtiger seien Präventionsmaßnahmen, welche den Einfluss dieser Risikofaktoren minimierten. Das betont Epidemiologin und Hauptautorin Emma Nichols vom Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der Universität Washington. „Für die meisten Länder bedeutet dies die Ausweitung von lokal angepassten, kostengünstigen Programmen, die eine gesündere Ernährung, mehr Bewegung, die Aufgabe des Rauchens und einen besseren Zugang zu Bildung fördern.“
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Tatsächlich hatte der im vergangenen Jahr veröffentlichte Bericht der „Lancet“-Kommission nahegelegt, dass bis zu 40 Prozent der Demenzfälle verhindert oder hinausgezögert werden könnten, wenn zwölf bekannte Risikofaktoren beseitigt würden. Neben den in der aktuellen Studie berücksichtigten gehörten folgende hinzu:
- Bluthochdruck
- Hörminderung
- Depression
- Bewegungsmangel
- Diabetes
- soziale Isolation
- übermäßiger Alkoholkonsum
- Kopfverletzungen
- Luftverschmutzung
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Schwächen der Studie
Die Wissenschaftler räumen indes selbst ein, dass ein Mangel an qualitativ hochwertigen Daten aus einigen Teilen der Welt ihre Analyse beeinträchtigt. Außerdem seien nur vier Demenz-Risikofaktoren berücksichtigt worden. Darüber hinaus untersuchte die Studie die Gesamtprävalenz von Demenz, ohne zwischen verschiedenen klinischen Subtypen zu unterscheiden. Eine Kritik, die auch Michaël Schwarzinger und Carole Dufouil vom Universitätskrankenhaus Bordeaux in einem unabhängigen Kommentar aufgreifen: Die zugrundeliegenden Mechanismen, welche eine Demenz verursachen, würden hier vereinfacht.
„Aus einer Public-Health-Perspektive sind die Ergebnisse der Studie generell enttäuschend, da sie suggerieren, dass der Anstieg der Demenzfälle unaufhaltsam ist“, schreiben die beiden Mediziner. So würden in den „apokalyptischen Prognosen“ ratsame Änderungen des Lebensstils nicht mit einkalkuliert. Umso wichtiger sei es, über jene Mittel zu informieren, welche die „düsteren Prognosen“ verzögern oder vermeiden könnten.
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Quelle
- 1. Nichols, E., Abd-Allah, F., Abdoli, A. et al. (2022). Estimation of the global prevalence of dementia in 2019 and forecasted prevalence in 2050: an analysis for the Global Burden of Disease Study 2019. The Lancet.
Mit Material von dpa