5. Juli 2022, 11:35 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
„Mama, Papa – mir ist schlecht!“, diesen Satz kennen viele Eltern, die mit ihren Kindern im Auto unterwegs sind. Aber auch Erwachsene leiden bei Auto-, Flug- oder Schiffsreisen teils unter Übelkeit. Woher die Reisekrankheit kommt und was dagegen hilft, lesen Sie hier.
Die Ferienzeit in Deutschland hat begonnen und damit machen sich viele auf den Weg in den Urlaub. Ob nah oder fern, per Auto, Zug oder Flugzeug – das Reisen gehört trotz Corona und Chaos an Flughäfen für viele zur Erholung dazu. Neigt man zur Reisekrankheit, kann die Anreise aber mitunter zur Tortur werden. Welche Ursachen gibt es und was kann man dagegen tun?
Übersicht
Was ist die Reisekrankheit?
Die Reisekrankheit, medizinisch Kinetose genannt, plagt viele Menschen, die mit Auto, Bahn, Flugzeug oder Schiff verreisen. Symptome, die sie ankündigen, sind häufig erst einmal Gähnen, Müdigkeit, leichte Kopfschmerzen oder auch Schwindel. Darauf folgen oft ein kalter Schweißausbruch sowie ein flaues Gefühl im Magen. Im schlimmsten Fall muss man schließlich Erbrechen.
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Am häufigsten betroffen sind Kinder
Viele Eltern werden den Satz „Mama, Papa, mir ist schlecht!“ von Reisen mit ihren Sprösslingen kennen. „Kinder sind am häufigsten von Reiseübelkeit betroffen, besonders im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren“, erklärt Dr. Matthias Riedl, Internist im Bereich Ernährungsmedizin und Diabetologie im medicum Hamburg. Hier erkenne man eine sich anbahnende Kinetose meist daran, dass sie auffallend ruhig, abwesend und blass werden. „Babys dagegen leiden nur ganz selten an Reiseübelkeit, da ihr Gleichgewichtssinn noch nicht vollständig ausgebildet ist“, so der Mediziner weiter. Auch mit zunehmendem Alter, etwa ab dem 50. Lebensjahr sinke laut Dr. Riedl die Anfälligkeit.
„Prinzipiell kann aber jeder Mensch reisekrank werden“, ergänzt er. Die persönliche Anfälligkeit unterscheide sich aber stark. Schätzungen zufolge reagieren etwa fünf bis zehn Prozent aller Menschen empfindlich auf die typische Bewegung und Beschleunigung beim Reisen. Für einen genauso hohen Prozentsatz allerdings spielt Reiseübelkeit überhaupt keine Rolle. Statistisch gesehen leiden Frauen häufiger als Männer unter Kinetosen. Besonders anfällig sei außerdem, wer generell zu Schwindelgefühlen und Migräne neigt. „Reiseübelkeit kann aber auch plötzlich und unerwartet bei Menschen auftreten, die zuvor nie Probleme damit hatten“, so Dr. Riedl.
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Sinneskonflikte im Körper lösen Reiseübelkeit aus
Aber was ist nun eigentlich die genaue Ursache für die Reisekrankheit? Streng genommen handelt es sich dabei nicht um eine eigenständige Erkrankung, sondern eine Reaktion des Organismus auf ungewohnte Bewegungs- oder Beschleunigungsreize. „Einfach erklärt liegt hier ein Konflikt zwischen verschiedenen Sinneseindrücken vor“, weiß Dr. Riedl. Kurvenreiche Autofahrten, Flugzeugturbulenzen oder auch starker Wellengang auf See stellen für den Körper unnatürliche Beschleunigungen dar und erfordern eine sehr schnelle Veränderung des Gleichgewichtes. „Unser Gleichgewichtsorgan sitzt im Innenohr. Es funktioniert über miteinander kommunizierende Röhren, die Flüssigkeit enthalten und sogenannte Sinnesrezeptoren. Damit werden Gleichgewichtsreize aufgenommen und verarbeitet“, erklärt der Internist.
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Das Problem ist nun, wenn diese Reize nicht dem entsprechen, was man dabei zeitgleich mit dem Sehorgan optisch wahrnimmt. „Was man während der Fahrt vorbeiziehen sieht, kann man visuell nicht ausreichend fixieren. Daher treffen nun im Gleichgewichtszentrums unseres Gehirns unterschiedliche, zueinander widersprüchliche Signale ein“, sagt Dr. Riedl. Das lasse den Körper schließlich eine Gefahrensituation annehmen. In der Folge werden vegetative Reflexe, wie etwa die Aktivierung des Brechreizes ausgelöst. „Warum der Körper in diesem Fall so reagiert und welchen Sinn das hat, ist nicht ganz klar. Erbrechen und Übelkeit etwa sind eigentlich eine natürliche Schutzreaktion gegen Vergiftungen“, so der Mediziner. Reiseübelkeit sei letztlich also ein rein physiologisches Phänomen unseres Körpers, wenn dieser Reize erhält, die er nicht einordnen und sich deshalb nicht entsprechend anpassen kann.
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Medikamente und Hausmittel
Sollten Sie unter akuten Beschwerden leiden, gibt es Medikamente in Tabletten-, Zäpfchen-, Lutschtabletten- oder Kaugummiform, die die Beschwerden der Reisekrankheit schnell und gezielt lindern können. „Als Wirkstoffe werden meist Scopolamin sowie das Antihistaminikum Dimenhydrinat eingesetzt. Letzteres blockiert die Rezeptoren des Botenstoffs Histamin am Brechzentrum in unserem Gehirn. Dadurch wird der Übelkeit und dem Brechreiz entgegengewirkt“, erklärt Dr. Riedl. Jedoch fügt er noch hinzu: „Man sollte sich aber darüber bewusst sein, dass diese Medikamente häufig sehr müde machen. Das kann im Fall von Übelkeit zwar sogar angenehm sein, sich selbst ans Steuer setzen und Auto fahren sollten Sie dann aber beispielsweise nicht mehr“.
Wichtig ist natürlich auch, auf die richtige Dosierung zu achten. Insbesondere für Kinder ist von reinen Beruhigungs- und Schlafmitteln abzuraten.
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Wer lieber auf eine natürliche Alternative setzt, kann auch auf pflanzliche Mittel zurückgreifen. „Ein bekanntes Hausmittel gegen Reisekrankheit ist zum Beispiel das Kauen von rohem Ingwer“, erklärt Dr. Riedl. Ob dies tatsächlich eine nachweisbare Wirkung habe, sei in Studien bislang allerdings nicht belegbar gewesen. „Vitamin C steht ebenfalls in der Diskussion, eine histaminhemmende Wirkung zu haben und bei Reiseübelkeit helfen zu können “, erläutert er weiter. Auch hier sei man in der Wissenschaft aber noch zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen. Auf pflanzlicher Basis gibt es außerdem homöopathische Globuli, die gegen Reisekrankheit helfen sollen.
Verhaltenstipps zur Vorbeugung von Reiseübelkeit
Der Griff zu Medikamenten und Co. ist aber gar nicht immer zwingend notwendig. Nachfolgend einige einfache Verhaltenstipps, um der Reiseübelkeit gezielt vorzubeugen:
- Vor Reiseantritt nur leichte Kost zu sich nehmen. Auf Alkohol, fettige Speisen und Kaffee besser verzichten
- Im Auto sollte man als Beifahrer einen festen Punkt am Horizont fixieren. Außerdem regelmäßig Pausen machen, um frische Luft zu schnappen und sich zu bewegen. Am wenigsten anfällig ist man, wenn man selbst fährt
- Das Lesen von Büchern oder auf dem Smartphone während der Fahrt besser sein lassen
- Im Flugzeug einen Platz am Gang auf Höhe der Tragflächen wählen
- In der Bahn immer in und nicht gegen die Fahrtrichtung setzen
- Bei Seereisen empfiehlt sich, eine tiefliegende Kabine mit Fenster zu nehmen. Ansonsten an Deck in der Mitte des Schiffs aufhalten oder flach liegen
- Bevorzugt in der Nacht reisen, um schlafen zu können. Der Gleichgewichtssinn schläft dann nämlich mit.
Je nach Verkehrsmittel variiert übrigens die Wahrscheinlichkeit, reisekrank zu werden. Beim Busfahren ist sie am höchsten, danach folgen Auto- und Bahnfahren – und zuletzt das Fliegen.