17. Oktober 2023, 13:51 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Schon mal von Zungendiagnostik gehört? In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) spielt die Zunge eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Gesundheit. Was sagt die westliche Medizin dazu? FITBOOK hat wissenschaftliche Belege recherchiert.
Methoden der Traditionellen Chinesischen Medizin – wie etwa Akupunktur – sind in Deutschland weitverbreitet. Sie werden aber meist nur ergänzend zu wissenschaftlich erwiesenen Behandlungsmethoden angewendet. FITBOOK hat die Zungendiagnostik der genauer unter die Lupe genommen. Lassen sich über die Untersuchung der Zunge in der TCM tatsächlich verschiedenste Krankheiten diagnostizieren?
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Übersicht
- Was ist TCM?
- Was die Zunge in der TCM über die Gesundheit aussagt
- Wird die Zungendiagnostik auch in der westlichen Medizin angewandt?
- Woran erkenne ich eine gesunde Zunge?
- Ist die Zungendiagnostik der TCM wissenschaftlich belegt?
- Vertreter evidenzbasierter Medizin zweifeln an Zungendiagnostik der TCM
- Quellen
Was ist TCM?
Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) vereint verschiedene medizinische Heilverfahren aus China, die dort schon seit über 2500 Jahren angewandt werden. Der Begriff TCM wurde allerdings im Westen in der Nachkriegszeit geprägt. Die Deutsche Gesellschaft für Traditionelle Chinesische Medizin (DGTCM) unterscheidet sechs Therapiemethoden der TCM1:
1. Akupunktur (Nadeln der Haut, zum Beispiel bei Kopf- oder Rückenschmerzen)
2. Chinesische Pharmakologie (Arznei- und Heilkräutertherapie)
3. Qigong und Tai Chi (Atem- und Bewegungsübungen)
4. Tuina (Massage-Therapie)
5. PTTCM – die Psychotherapie der TCM
6. Diätetik (Ernährungstherapie)
Das Grundprinzip hinter der Traditionellen Chinesischen Medizin ist das berühmte Symbol Yin und Yang. Das schwarz-weiße Zeichen stellt die gegensätzlichen Pole in der Natur dar, wie etwa Ruhe und Bewegung, Wärme und Kälte und Wasser und Feuer. Gesundheit ist in der TCM gleichbedeutend mit einer Harmonie dieser Gegensätze, Krankheit entsteht, wenn ein Ungleichgewicht eintritt. Deswegen geht es nie um die Behandlung eines einzelnen Symptoms, sondern immer darum, das Gleichgewicht im gesamten Körper wiederherzustellen.
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Was die Zunge in der TCM über die Gesundheit aussagt
Neben der Bewertung des Pulses ist das wichtigste Diagnoseinstrument der TCM die Zungendiagnostik. Verschiedene Organe und deren Gesundheit werden bestimmen Teilen der Zunge zugeordnet, da sie laut der TCM über sogenannte Meridiane miteinander verbunden sind. Insgesamt gibt es zwölf Hauptleitbahnen, in denen die Lebensenergie (das Qi) fließt. Nach dieser Theorie lassen sich Krankheiten an der Zunge erkennen. Untersucht werden:
- Form
- Farbe
- Beläge
- Beweglichkeit
- Feuchtigkeit
Die Zunge wird dafür in vier Abschnitte unterteilt: Zungenspitze, Zungenmitte, Zungenwurzel und Zungenränder. Dabei spiegelt die Zungenspitze die Gesundheit von Herz und Lunge wider, die Zungenmitte Milz und Magen, die Zungenwurzel die Niere und die Zungenränder Leber und Galle. Der Zungenbelag kann Aufschluss über die Schwere einer Erkrankung geben.
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Die Farbe der Zunge und mögliche Krankheiten, die dahinterstecken
- Schwarze Zunge: Eine nicht nur zeitweise schwarz-gefärbte Zunge etwa kann auf Leukämie hindeuten.
- Gelbe Zunge: Hat die Zunge dauerhaft einen kräftig gelben Belag, steckt möglicherweise eine Erkrankung im Leber-Gallen-Bereich dahinter.
- Braune Zunge: Ist die Zunge braun, gibt es eventuell Probleme im Verdauungstrakt, etwa aufgrund einer Gastritis.
- Gräuliche Zunge: Eine grau gefärbte Zunge kann auf Blutarmut hindeuten.
- Blaue Zunge: Eine Lungenkrankheit kann sich durch eine blau gefärbte Zunge bemerkbar machen.
- Weiße Zunge: Eine Erkältung oder eine Magen-Darm-Störung zeigt sich häufig an einem dicken weißen Belag der Zunge.
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Wird die Zungendiagnostik auch in der westlichen Medizin angewandt?
Auch in der Schulmedizin ist die Untersuchung der Zunge ein diagnostisches Verfahren. An das „Mach mal Aaah“ bei Arztbesuchen als Kind erinnert sich vielleicht der eine oder andere. Auch beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder Hausarzt gehört der Blick auf die Zunge meist zum Pflichtprogramm. In der Regel drückt der Arzt die Zunge aber nur mit einem Spatel nach unten, um Entzündungen im Hals-Rachen-Raum zu erkennen. Nur selten widmet er sich der Zunge selbst. Die technologisierte Medizin hat die Zungendiagnostik für die Bewertung des Gesundheitszustandes zurückgedrängt, außerdem ist sie nie so umfassend zum Einsatz gekommen wie in der chinesischen Medizin.
Dennoch lassen sich ähnlich wie in der TCM auch nach der westlichen Medizin verschiedene Erkrankungen an der Zunge ablesen. Dazu gehören etwa: Infektionen, Lebererkrankungen, Verdauungsprobleme, Vergiftungen, Sauerstoff- und Flüssigkeitsmangel oder Blutarmut.
Die Betrachtung der Zunge gilt aber nicht als alleiniges Diagnoseinstrument, sondern kann bestenfalls Hinweise liefern, die dann mit evidenzbasierten Methoden überprüft werden können.
Woran erkenne ich eine gesunde Zunge?
- blassrote Farbe
- mäßig feucht
- leicht belegt mit einer dünnen, weißen Schicht
- etwas rau an der Oberfläche
- weich
- bewegt sich frei und locker
Doch sieht die Zunge nur kurzfristig anders aus, ist das noch kein Grund zur Sorge. Denn bestimmte Lebensmittel, wie etwa Heidelbeeren oder schwarzer Tee können die Zunge verfärben.
Ein täglicher Zungencheck zu Hause vor dem Spiegel kann helfen, Hinweise auf mögliche Krankheiten zu finden. Deshalb sollte jeder das Aussehen seiner Zunge regelmäßig beobachten. Am besten geschieht das bei Tageslicht, idealerweise gleich nach dem Aufstehen. Dann ist die Zunge noch nicht durch Speisen oder Getränke verfärbt. Fällt etwas auf, dann sollte dies am besten zunächst beim Hausarzt thematisiert werden.
Ist die Zungendiagnostik der TCM wissenschaftlich belegt?
Prinzipiell lässt sich zu sämtlichen Heilmethoden der TCM festhalten: Ihre Wirksamkeit ist durch wissenschaftliche Studien kaum belegt. Deswegen zählt sie in Deutschland zur Komplementärmedizin. Das heißt, sie wird als Ergänzung zu wissenschaftlich begründeten Methoden angewendet. Die Meridiane, durch die nach der TCM die Lebensenergie fließen soll, konnten beispielsweise nie lokalisiert werden und weichen demnach von der naturwissenschaftlichen Anatomie ab. Studien, vor allem solche zur Akupunktur, wiesen aber Behandlungserfolge nach. Deswegen ist die Methode bei chronischen Rücken- und Knieschmerzen zur Kassenleistung geworden. TCM-Kritiker halten die Wirksamkeit jedoch für einen Placebo-Effekt.
Die Zungendiagnostik selbst wurde allerdings in zwei kürzlich veröffentlichten Studien als wirkungsvolles Verfahren belegt. So zeigt eine Studie der chinesischen Zhejiang Universität aus dem Jahr 2019 beispielsweise: An der Bakterienbesiedelung auf der Zunge lässt sich Bauchspeicheldrüsenkrebs, einer der aggressivsten Krebserkrankungen weltweit, frühzeitig erkennen.2
Eine weitere chinesische Studie, die im Jahr 2020 veröffentlicht wurde, zeigt, dass alleine anhand des Aussehens der Zunge zwischen Menschen mit Herzschwäche und gesunden Menschen unterschieden werden kann.3 Die Studienautorin Dr. Tianhui Yuan von der Universität Guangzhou für chinesische Medizin sagt: „Die Zunge von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz sieht völlig anders aus als die von gesunden Menschen“. Sie erläutert außerdem: „Normale Zungen sind blass-rot mit blass-weißem Belag. Patienten mit Herzinsuffizienz haben eine rötliche Zunge mit einem gelben Belag“. Der Grund für die veränderte Farbe sind die Zusammensetzung, die Menge und die dominierende Art der Bakterien des Zungenbelags. Die Forschenden betonten jedoch, dass weitere Studien nötig seien.
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Vertreter evidenzbasierter Medizin zweifeln an Zungendiagnostik der TCM
Fachärzte, die ausschließlich nach wissenschaftlichen Methoden vorgehen, bewerten die Zungendiagnostik jedoch skeptisch. So zweifelt etwa Dr. Markus Brunner, Hals-Nasen-Ohren-Arzt der HNO-Klinik der Medizinischen Universität Wien an der Methode. In einem Beitrag des Onlineauftritts der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ erklärt der Facharzt, dass man nur anhand des Aussehens der Zunge in den seltensten Fällen sichere Aussagen über eine Erkrankung treffen könne. Das läge vor allem daran, dass sich Zungen verschiedener Menschen individuell stark unterscheiden und auch ohne Erkrankung zum Beispiel sehr dunkel aussehen können. Er empfiehlt das Beobachten der Zunge nur als zusätzliche Untersuchungsmethode zu wissenschaftlich belegten Methoden. Dann könne es durchaus relevante Informationen liefern.
Auch in China werden die Methoden der TCM größtenteils nur bei einfachen Beschwerdebildern eingesetzt. Denn dort weiß man in der Regel ebenfalls: Aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Grundlagen eignen sie sich bisher nicht, um ernsthafte Erkrankungen zu diagnostizieren oder gar zu heilen.
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Quellen
- 1. Deutsche Gesellschaft für Traditionelle Chinesische Medizin (DGTCM) (aufgerufen am 17.10.2023)
- 2. Lu, H., Ren, Z., Li, A., Li, J. et al. (2019). Tongue coating microbiome data distinguish patients with pancreatic head cancer from healthy controls. Journal of oral microbiology.
- 3. ESC. Tongue microbes provide window to heart healt. (aufgerufen am 17.10.2023)