22. Januar 2021, 20:06 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Alte Menschen sind die ersten, die mit der Corona-Impfung versorgt werden. Wäre es nicht schlauer, zuerst junge Menschen zu schützen? Eine Frage, die immer wieder gestellt wird. Ein mathematisches Modell aus den USA zeigt jetzt eindrücklich, warum es so wichtig ist, dass die Ältesten und Schwächsten als erstes geimpft werden.
Der Corona-Impfstoff ist aktuell noch eine knappe Ressource, und knappe Ressourcen müssen mit Bedacht eingesetzt werden. In Deutschland werden, wie in vielen anderen Ländern, Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen von Pflegeeinrichtungen sowie alle Menschen über 80 Jahren priorisiert. Das wirft Diskussionen auf: Warum nicht, wie Indonesien, erst die Jungen immunisieren? Die, die auf dem Weg zu Arbeit, Universität oder Schule mit viel mehr Menschen in Kontakt kommen?
Eine neue Studie der University of Colorado Boulder zeigt, warum es so wichtig ist, die Ältesten zuerst gegen COVID-19 zu impfen. Anhand eines mathematischen Modells haben die Forschenden dort Prognosen darüber aufgestellt, wie sich verschiedene Verteilungsstrategien rund um den Globus auswirken. Am Beispiel der USA zeigt sich: Impft man die schutzbedürftigen Alten als erstes, können so wesentlich mehr Leben gerettet werden als bei jeder anderen möglichen Variante. Je langsamer die Corona-Impfungen voranschreiten und je weiter das Virus bereits verbreitet ist, desto wichtiger ist es, sie an die erste Stelle zu setzen.
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Mathematik zeigt, warum alte Menschen die Corona-Impfung zuerst brauchen
„Der gesunde Menschenverstand legt nahe, dass man die ältesten, verletzlichsten Menschen zuerst schützt. Aber der gesunde Menschenverstand legt auch nahe, dass man zuerst die Menschen schützt, die an vorderster Front arbeiten. Solche wie Lebensmittelverkäufer und Lehrer. Die, die einem höheren Risiko ausgesetzt sind“, erklärt der Hauptautor der Studie Daniel Larremore im Magazin „Science“. Er ist Computerbiologe am Department of Computer Science und dem BioFrontiers Institute der CU Boulder. „Wenn ihr gesunder Menschenverstand Sie in zwei verschiedene Richtungen führt, kann Mathematik bei der Entscheidung helfen.“
Für die Studie arbeiteten Larremore und seine Kollegin Kate Bubar, eine Doktorandin am Department of Applied Mathematics, mit Kollegen der Harvard T.H. Chan School of Public Health und der University of Chicago zusammen. Für ihre Forschungen zogen sie demografische Informationen aus verschiedenen Ländern heran. Außerdem sammelten sie Daten darüber, wie viele Menschen bereits positiv auf das Corona-Virus getestet wurden, wie schnell sich das Virus in den einzelnen Ländern ausbreitet, wie schnell die Impfstoffe auf den Markt kommen und wie wirksam die Impfungen voraussichtlich sind.
Ausgehend von diesen Daten haben die Wissenschaftler*innen fünf verschiedene Szenarien modelliert. Sie zeigen, was passieren würde, wenn eine andere Gruppe zuerst die Corona-Impfung erhält: Kinder und Jugendliche; Erwachsene im Alter von 20 bis 49 Jahren; Erwachsene ab 20 Jahren; oder Erwachsene ab 60 Jahren. Im fünften Szenario erhielt jeder, der sich impfen lassen wollte, einen Impfstoff – und zwar solange der Vorrat reicht.
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Ein hohes Alter ist der größte Risikofaktor
Die Studienergebnisse umfassen Szenarien in den Vereinigten Staaten, Belgien, Brasilien, China, Indien, Polen, Südafrika, Spanien und Simbabwe. Je nach den lokalen Gegebenheiten funktionierten unterschiedliche Strategien besser oder schlechter, aber ein Schlüsselergebnisse stach trotzdem heraus. In den meisten Szenarien rettete die Priorisierung von Erwachsenen über 60 Jahren die meisten Leben. Und das über alle Länder hinweg. „Das Alter hat den stärksten Einfluss auf den Grad der Gefährdung“, sagt Larremore. Er merkt außerdem an, dass Vorerkrankungen wie Asthma zwar das Risiko einer schweren Erkrankung oder des Todes erhöhen. Das Alter beeinflusst die Gefährdung aber noch stärker. „Je älter man wird, desto exponentiell höher ist die Wahrscheinlichkeit, an COVID-19 zu sterben“.
Die Studien-Autor*innen weisen außerdem darauf hin, dass die aktuellen Impfstoffe zwar zu 90 bis 95 Prozent vor einer schweren Corona-Erkrankung schützen sollen. Wie gut sie aber Infektionen und Ansteckungen verhindern, sei noch nicht ausreichend erforscht. Alleine deshalb müssten Ältere als Erste geimpft werden, um sie so vor einem schweren Krankheitsverlauf zu schützen.
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Nur in Szenarien, in denen das Virus unter Kontrolle ist und der Impfstoff nachweislich die Infektion und Ansteckung verhindert, mache es Sinn, junge Menschen als erstes zu impfen. Dass sei aber zumindest in den Vereinigten Staaten im Moment nicht der Fall, so das Forschungsteam.
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„Wir hoffen, denjenigen etwas Klarheit bringen zu können, die frustriert sind, dass sie nicht an erster Stelle stehen“, schreibt Bubar. „Wir wissen, es ist ein großes Opfer. Aber unsere Studie zeigt, dass man so Leben retten kann.“