10. Dezember 2020, 5:22 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Das PCO-Syndrom kann zu Unfruchtbarkeit führen – viele wissen aber gar nicht, dass sie darunter leiden. FITBOOK hat mit dem Kinderwunsch-Spezialisten und Endokrinologen Prof. Dr. med. Frank Nawroth gesprochen, wie Frauen trotzdem schwanger werden können. Und mit der 30-jährigen Valerie, die schon seit 13 Jahren mit der Diagnose lebt.
„Du hast PCOS, das ist nicht so schlimm, aber wenn du später mal Kinder bekommen willst, müssen wir eventuell nachhelfen“ – ein Satz, der Valerie* lange begleiten wird. Mit 17 Jahren teilte ihr die Frauenärztin mit, dass sie am polyzystischen Ovarsyndrom (kurz: PCOS oder PCO-Syndrom) leidet. Die Ärztin gibt ihr noch eine Warnung mit: „Bitte nicht googeln“. „Das war dann natürlich das erste, was ich zuhause gemacht habe“, erinnert sich Valerie im Gespräch mit FITBOOK.
Übersicht
- PCOS ist die häufigste Hormonstörung bei Frauen
- Äußerliche Symptome, die mit dem PCO-Syndrom einhergehen können
- Kriterien für die Diagnose Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS)
- PCOS beginnt in der Pubertät, bleibt aber oft unbemerkt
- Ursachen für PCOS sind vielfältig
- Behandlungsmöglichkeiten von PCOS – mit und ohne Kinderwunsch
- Psychische Folgen des PCO-Syndroms
- Die Rolle der Ernährung bei der Diagnose PCOS
PCOS ist die häufigste Hormonstörung bei Frauen
In Deutschland sind ca. eine Million Frauen im gebärfähigen Alter von dem Syndrom betroffen, wie die PCOS Selbsthilfe Deutschland e.V. berichtet. Der Kinderwunschspezialist und Endokrinologe Prof. Dr. med. Frank Nawroth erklärt, warum die Bezeichnung in die Irre führt: „Zysten liegen bei der Erkrankung gar nicht vor, dafür eine erhöhte Anzahl an kleinen Eibläschen“. Aber auch dieses Symptom haben nur 70 Prozent der an PCOS erkrankten Frauen. Der Grund für die Hormonstörung: Es werden zu viele männliche Hormone, vor allem Testosteron, produziert. Der Zyklus wird unregelmäßig und ein Eisprung findet deswegen nur selten oder gar nicht statt.
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Auch Valerie hatte die Frauenärztin aufgesucht, weil ihre Periode seit einem halben Jahr ausgeblieben ist. Im Ultraschall werden bei ihr kleine Eibläschen festgestellt, außerdem eine Erhöhung der Testosteronwerte. Als sie zuhause die Symptome von PCOS googelt, ist sie schockiert. Dass vermehrt männliche Hormone im Blut vorhanden sind (Hyperandrogenämie), kann neben einem unregelmäßigen Zyklus (Oligomenorrhoe) oder einer ausbleibenden Menstruation (Amenorrhoe) verschiedene äußerliche Auswirkungen auf den Körper haben.
Äußerliche Symptome, die mit dem PCO-Syndrom einhergehen können
- Männliche, vermehrte Körperbehaarung an Kinn, Brust oder Bauch (Hirsutismus)
- Akne, Hautunreinheiten, fettige Haut
- Ausfall der Kopfbehaarung (androgenetische Alopezie)
- Tendenz zu Übergewicht
Kriterien für die Diagnose Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS)
Die Androgen Excess and PCOS Society (AEPCOS) definiert zwei Kriterien für die Diagnose PCOS:
- Erhöhung der männlichen Hormone im Blut und/oder äußerlich sichtbar durch Akne, Alopezie oder vermehrte Körperbehaarung
- Unregelmäßige oder ausbleibende Menstruation und/oder kleine Eibläschen
Da für die Diagnosestellung bereits zwei der Kriterien ausreichen, trifft sie für viele Frauen zu. Die Diagnose PCOS bedeutet aber nicht automatisch, dass man nicht schwanger werden kann. „Die Zykluslänge ist entscheidend“, erläutert Prof. Dr. med. Nawroth. „Je seltener die Periode eintritt, desto unwahrscheinlicher wird der Eisprung und damit die spontane Schwangerschaft“.
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PCOS beginnt in der Pubertät, bleibt aber oft unbemerkt
Dass Valerie ihre Diagnose so früh bekommt, ist nicht der Regelfall. Die meisten Frauen erfahren erst davon, wenn sie die Pille absetzen und Zyklusstörungen auffallen, sagt Kinderwunsch-Experte Nawroth. Deswegen ist die PCOS-Dunkelziffer sehr hoch – in Deutschland verhüten 75 Prozent der jungen Frauen zwischen 14 und 25 Jahren mit Hormonen. „Oft machen sie nach dem Absetzen die Pille für das Ausbleiben ihrer Regel („Post-Pill“-Amenorrhoe) verantwortlich, doch die Pille ist für die Erkrankung nicht verantwortlich. Durch die regelmäßige Hormonzufuhr wird der ansonsten unregelmäßige Zyklus nur kaschiert“.
Für Valerie ist das Thema Kinder mit 17 Jahren zwar noch weit weg, aber die Diagnose hinterlässt ein ungutes Gefühl bei ihr. „Ich habe nie mit jemandem darüber gesprochen und hatte es unterbewusst immer im Kopf, dass es mit einer Schwangerschaft vielleicht nie klappen wird“.
Ursachen für PCOS sind vielfältig
„Es gibt unterschiedliche Mechanismen, welche die Entwicklung eines PCO-Syndroms begünstigen können“, erläutert PCOS-Spezialist Prof. Dr. med. Nawroth. Dazu gehören etwa eine falsche Ernährung und/oder Übergewicht oder die Vererbung einer Veranlagung. Drei von vier Frauen mit PCOS sind übergewichtig. Betroffen sind aber auch schlanke Frauen. So wie Valerie, die normalgewichtig und sportlich ist, aber dazu neigt, sich ungesund mit Süßigkeiten und Fast Food zu ernähren.
Behandlungsmöglichkeiten von PCOS – mit und ohne Kinderwunsch
Wer die Diagnose wie Valerie früh erfährt oder nicht schwanger werden will, bekommt zum Beispiel die Anti-Baby-Pille verschrieben. Die Hormone stabilisieren den Zyklus und reduzieren die Produktion der männlichen Hormone. Doch Valerie verfolgt in all den Jahren, in denen sie die Pille einnimmt, immer wieder die Frage, wie sie später damit umgehen wird, wenn sie nicht schwanger werden kann – und wie ihr Partner das tut. Wird er sie deswegen verlassen?
Die gute Nachricht ist: Auch wenn sich PCOS nicht heilen lässt, kann man es erfolgreich behandeln und trotz des Syndroms schwanger werden. Weil die Patientinnen sehr unterschiedlich sind, ist eine individuelle Behandlung notwendig: „Die Therapie ist zum Beispiel vom Gewicht der Frau abhängig und davon, wie viel Zeit sie noch hat, Kinder zu bekommen“, sagt Prof. Dr. med. Nawroth.
Faktor Übergewicht
Schlanke Frauen bekommen zunächst orale Medikamente verschrieben, die den Eisprung fördern (Clomifen oder Letrozol). „Die Hirnanhangdrüse schüttet dann Hormone aus, die die Eierstöcke anregen“. Klappt das nicht, können andere Hormone (FSH oder FSH/LH) täglich gespritzt werden, die Wirksamkeit liegt dann noch höher. „Die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden, ist bei Frauen bis zum 35. Lebensjahr damit sehr hoch“.
Bei übergewichtigen Frauen mit PCOS ist Abnehmen zunächst das wichtigste Ziel der Behandlung. Bei ihnen liegt meist eine Insulinresistenz vor. Der Experte erklärt: „Das Essen von Kohlenhydraten führt zur Ausschüttung von Insulin, die Körperzellen reagieren aber nur noch eingeschränkt auf das Insulin. Die Bauchspeicheldrüse produziert daher noch mehr Insulin. Hohe Insulinwerte sorgen wiederum dafür, dass männliche Hormone gebildet werden.“ Unbehandelt steigt durch die Störung des Stoffwechsels die Wahrscheinlichkeit an Diabetes mellitus Typ 2 („Altersdiabetes“) zu erkranken. Herz-Kreislauferkrankungen werden ebenfalls begünstigt.
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Den betroffenen Frauen fällt das Abnehmen jedoch schwer: Oft bekommen sie nach jeder kleinen Mahlzeit Heißhungerattacken, weil mit der Nahrungsaufnahme ihr Insulinspiegel stark ansteigt und sie dadurch unterzuckern. Deswegen werden sie mit einem Diabetesmedikament wie Metformin behandelt. „Der Zucker wird dann nicht mehr ganz vom Darm aufgenommen, da ein Teil direkt ausgeschieden wird, außerdem wird er schneller abgebaut“, erklärt Prof. Dr. med. Nawroth. So steigen Blutzucker- und Insulinspiegel im Blut weniger stark an. Davon nimmt man nicht automatisch ab – eine Diät wird aber wesentlich effektiver. „Hält man sich diszipliniert an die Diät, kann sich der Zyklus nach ca. zwei bis drei Monaten normalisieren oder die Blutung tritt zumindest nicht mehr in so großen Abständen ein, weil die Stoffwechselstörung positiv beeinflusst wird“. Bei manchen Frauen tritt der Eissprung dann spontan ein – oft benötigen die Patientinnen aber zusätzlich noch eine leichte Hormonstimulation.
Psychische Folgen des PCO-Syndroms
Ob übergewichtig oder nicht, Frauen mit PCO-Syndrom entwickeln vermehrt psychische Probleme wie Depressionen. Sie fühlen sich oft nicht mehr wohl in ihrem Körper oder weniger als Frau. Auch Valerie belastet die Diagnose all die Jahre stark. Sie schiebt es immer wieder auf, die Pille abzusetzen: „Ich hatte lange Angst, mich dem Syndrom und seinen Auswirkungen auf meinen Körper zu stellen.“
Als sie 30 Jahre alt ist, wird das Thema für sie jedoch immer drängender. Ihr Partner will zwar irgendwann Kinder, aber noch nicht sofort. „Ich hörte meine innere Uhr ticken und wollte unbedingt wissen, was mit meinem Körper passiert, wenn ich die Pille absetze“, erzählt sie. Im Internet liest sie, dass eine Hormonbehandlung nicht unbedingt notwendig sei, wenn man seine Ernährung verändert.
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Die Rolle der Ernährung bei der Diagnose PCOS
Da die Hormonstörung so häufig ist, kursieren auf Instagram & Co. sehr viele Tipps von Betroffenen. Die Ernährungsexpertin Kerstin Futterer, die selbst von PCOS betroffen ist und Patientinnen mit dem Syndrom berät, sagt im Gespräch mit FITBOOK: „Viele PCOS-Patientinnen, die zu mir kommen, ernähren sich sehr streng, etwa ohne Gluten oder Milchprodukte – dabei ist das gar nicht notwendig“. Denn es gäbe keine einzige Studie, die belegt, dass eine solche Ernährung einen positiven Effekt auf das Syndrom hätte.
Viel Gemüse, Vollkornprodukte und pflanzliche Proteinquellen
Vielmehr sei es entscheidend, Zucker, Fett und ungesunde Kohlenhydrate zu meiden, da diese den Insulinspiegel im Körper erhöhen und damit die Produktion männlicher Hormone anregen können. „Eine spezielle PCOS-Diät gibt es nicht“, betont die Expertin. Die Empfehlungen an PCOS-Patienten sind die gleichen wie an gesunde Menschen auch. Also: Eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährung mit viel Gemüse, Vollkornprodukten und pflanzlichen Proteinquellen. Außerdem sollte man keine Fertigprodukte, Süßigkeiten und wenig Fleisch zu sich nehmen. „Schlanken Frauen empfehle ich vor allem ihren Gemüseanteil zu steigern, wenig verarbeitete Produkte zu essen und nicht zu viel Sport zu machen, um den Körper nicht zu stressen“, so Expertin.
Wer zu viel wiegt, muss sich nicht zum Ziel setzen, super schlank zu werden. „Schon durch eine Gewichtsreduzierung um 10 Prozent verbessern sich bei Übergewichtigen die Chancen, schwanger zu werden, wenn das gewünscht ist“, sagt Dr. med. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes für Frauenärzte. Entscheidend ist außerdem, Stress zu reduzieren und ausreichend Bewegung in den Alltag einzubauen.
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Valerie hat die Pille inzwischen abgesetzt. „Ich ernähre mich jetzt viel gesünder und habe mit Yoga begonnen, um mehr Entspannung in mein Leben zu bringen.“ Und gerade hat sie tatsächlich gute Neuigkeiten von ihrer Frauenärztin erhalten: Das Testosteron ist nicht mehr erhöht und auch die Eibläschen sehen momentan normal aus. „Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht – kann allen anderen Frauen aber nur mitgeben, dass es sich wirklich lohnt, etwas am Lebensstil zu verändern“.
*Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.