15. Dezember 2021, 17:21 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Ex-NFL-Spieler Phillip Adams tötete im April sechs Menschen – und sich selbst. Jetzt kam heraus, dass er an der degenerativen Hirnerkrankung CTE litt, wie viele ehemalige Football-Spieler. Eine unterschätzte Schattenseite von Football: Es kommt es häufig zu heftigen Zusammenstößen. Nicht immer ohne Folgen. Gehirnerschütterungen können mitunter schwere Langzeitschäden nach sich ziehen. CTE zählt dazu – und verändert mitunter das Wesen der Erkrankten.
Wiederholte Stöße gegen den Kopf können die Hirngesundheit bedrohen – und auch psychische Erkrankungen auslösen. Je schwerer der Aufprall, desto wahrscheinlicher kann es zu Depressionen kommen. Diese Erkenntnisse gewannen US-amerikanische Forscher in einer Studie mit u. a. Kontaktsportlern und Militärdienstleistenden, FITBOOK berichtete. Mit der Geschichte von Ex-Footballspieler Phillip Adams rückt eine besonders schwere Gehirnerkrankung, die CTE, wieder in den Fokus.
Übersicht
- Football-Spieler oft psychisch krank
- Was ist CTE?
- CTE-Patienten oft impulsiv, aggressiv und emotional instabil
- Phillip Adams nicht der erste CTE-Fall mit fatalen Folgen
- Schon leichte Stöße gefährlich – v. a. für Kinder
- Köpfe von Mädchen und Frauen empfindlicher
- Wie gefährlich sind Kopfbälle im Kindesalter?
Football-Spieler oft psychisch krank
Es ist kein Zufall, dass viele ehemalige Football-Spieler unter psychischen Problemen leiden. Die sind teilweise so ausgeprägt, dass die Betroffenen sich das Leben nehmen, wie die Experten vom CTE-Center der Boston University auf ihrer Website erklären. Es seien neben Depressionen und Wutausbrüchen auch Fälle von Gedächtnisschwund bis hin zu Demenz dokumentiert.
Eine besonders dramatische Wesensveränderung hat offenbar auch der ehemalige NFL-Spieler Phillip Adams als Spätfolge zahlreicher Stöße gegen den Kopf vollzogen. Er hatte eine chronische traumatische Enzephalopathie (CTE) im Stadium 2, als er sechs Menschen erschossen haben soll, bevor er sich das Leben nahm, teilten Behörden am Dienstag mit.
Dr. Ann McKee von der Boston University, die die Untersuchung von Phillip Adams‘ Gehirngewebe durchführte, sagte in einer Pressekonferenz, dass die CTE von Adams „in beiden Frontallappen ungewöhnlich stark“ war und zu seinen „Verhaltensanomalien“ beigetragen haben könnte.
Der 32-jährige Adams erlitt während seiner sechsjährigen NFL-Karriere mehrere Verletzungen, und sein Vater Alonzo Adams sagte nach der Tat, die sich am 7. April 2021 in Rock Hill ereignete, zu „WCNC“ : „Ich glaube, der Football hat ihn verkorkst.“
Was ist CTE?
CTE ist eine schwere degenerative Hirnerkrankung. Sie tritt bei Menschen auf, die viele Gehirnerschütterungen oder Schläge auf den Kopf erlitten haben. Lange war sie deshalb vor allem als „Boxer-Enzephalopathie“ bekannt. Inzwischen weiß man, dass auch andere Kontaktsportarten wie vor allem American Football betroffen sind.
Im Detail heißt CTE: Teile des Frontallappens, der für Entscheidungen und Impulskontrolle wichtig ist, sind mit abgelagerten sogenannten Tau-Proteinen überzogen. Hirnventrikel (= mit Hirnwasser gefüllte Hohlräume) sind erweitert und der für das Gedächtnis wichtige Hippocampus ist geschrumpft. Der Corpus amygdaloideum, auch als Mandelkern bekannt, ist stark beeinträchtigt. Es ist der Teil des Hirns, der Gefühle wie Angst regelt.
CTE-Patienten oft impulsiv, aggressiv und emotional instabil
Laut Ann McKee, Leiterin des CTE-Centers McKee, beobachtet man bei Menschen mit CTE häufig Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle, Aggressionen und emotionale Labilität. Ihre Ausführungen dazu sind bei der „Washington Post“ nachzulesen.
Eines bereitet McKee demnach besonders Sorgen: „Wir sehen eine Beschleunigung der Krankheit bei jungen Sportlern. Ob das daher kommt, weil sie aggressiver spielen oder weil sie jünger anfangen, wissen wir nicht.“ Man gehe davon aus, dass die Gehirne von Heranwachsenden besonders sensibel auf Erschütterungen reagieren.
Phillip Adams nicht der erste CTE-Fall mit fatalen Folgen
Ein weiteres berühmtes und erschütterndes Beispiel dafür ist die Geschichte von Aaron Hernandez († 27). Der Football-Spieler (Position: Tight End) hatte im Laufe seiner sportlichen Karriere viele Stöße gegen den Kopf bekommen. Im April 2019 ging sein Suizid durch die Medien. Er hatte sich in der Gefängniszelle erhängt, in der er eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes verbüßen sollte.
Bei der Obduktion stellten die Ärzte schwere Schädigungen und Perforierungen seines Gehirns fest. Hernandez hatte an einer chronischen traumatischen Enzephalopathie dritten Grades gelitten. Eine solche schwere Form kannte man bis dato nur von wesentlich älteren Menschen.
Schon leichte Stöße gefährlich – v. a. für Kinder
Eine Studie der McMaster University (Ontario) zeigt, dass nicht nur Gehirnerschütterungen, sondern schon leichtere Stöße gegen den Kopf die Gedächtnisleistung zeitweise messbar verschlechtern.
Forscherin Melissa McCradden hat dazu eine Untersuchung geleitet. Sie ließ Football-, Fußball- und Rugby-Spieler jeweils drei Erinnerungstests am Computer absolvieren. Es zeigte sich: Während der Saison konnten sich sämtliche Spieler schlechter erinnern als vor der Saison oder in der Erholungsphase danach. Die Ergebnisse stünden jeweils im Zusammenhang mit der aktuellen Fähigkeit des Gehirns, neue Neuronen zu bilden, folgert McCradden.
Köpfe von Mädchen und Frauen empfindlicher
Spielerinnen sollen nach Kopfbällen offenbar noch mehr neuronale Schäden davontragen als ihre männlichen Kollegen. Forscher des Albert Einstein College of Medicine (Bronx) untersuchten dazu mit einem bildgebenden Verfahren die Gehirne von je 49 Spielerinnen und Spielern.
Das Ergebnis: Mehr Kopfbälle verschlechterten bei beiden Geschlechtern die Leitfähigkeit von Nervenfortsätzen (Axonen). Bei den Männern betrafen die Schädigungen aber „nur“ drei Hirnregionen, bei den Frauen acht – und zumeist auch anhaltender. Die Gründe dafür sind noch unklar.
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Wie gefährlich sind Kopfbälle im Kindesalter?
Verbände reagieren bereits – unterschiedlich konsequent allerdings. In den USA schreibt die US Soccer Federation seit 2015 vor, dass Kinder unter 10 Jahren überhaupt keine Kopfbälle machen dürfen. Zwischen 11 und 13 Jahren ist das im Spiel erlaubt, aber im Training verboten. Der Deutsche Fußballbund macht bisher keine Vorgaben. Er rät aber, erst mit 13 oder 14 Jahren mit dem Kopfballtraining anzufangen, wenn die Nacken- und Kopfmuskulatur kräftiger ist.