20. April 2020, 17:57 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Gefühlt die halbe medizinische Forschungswelt arbeitet mit Hochdruck an einem Corona-Wirkstoff. Ein Team um Prof. Dr. Christian Drosten hat sich jetzt einer körpereigenen Substanz angenommen, die schon dem MERS-Coronavirus in Laborversuchen die Stirn geboten hat: Spermidin.
Bisher wartet die Welt noch händeringend auf DAS Medikament, das nachweislich und durch valide Studien gestützt dem Corona-Virus den Garaus machen kann. Das soll freilich nicht heißen, dass es noch gar keine vielversprechenden Kandidaten für diese Rolle gäbe. Am 17. April berichtete FITBOOK über die anscheinende Wirksamkeit von Remdesivir – eigentlich ein Ebola-Mittel – im Kampf gegen Covid-19. Ein weiterer Wirkstoff, der Hoffnung macht, ist Spermidin. Spermidin ist eine organische Verbindung, die in allen lebenden Organismen vorkommt und eng mit dem Zellstoffwechsel verbunden ist. Das Zauberwort an dieser Stelle lautet Autophagie.
Mit Autophagie gegen den Coronavirus?
In einer neuen Charité-Studie beobachtete ein Forschungsteam um den mittlerweile deutschlandweit bekannten Virologen Prof. Dr. Christian Drosten, dass der neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 den Zellstoffwechsel entscheidend verändert. In mit Corona infizierten Zellkulturen war die Spermidin-Konzentration stark reduziert. Spermidin ist jedoch wichtig für sogenannte Autophagie-Prozesse. Einfach ausgedrückt: Autophagie steht für einen zelleigenen Recycling-Prozess. So können sich menschliche Körperzellen selbst regenerieren, indem sie alte und/oder beschädigte Bestandteile „verdauen“. Aber auch Viren werden als Abfallprodukte erkannt und dementsprechend unschädlich gemacht.
Schon für den MERS-Coronavirus von 2012 konnten Charité-Forscher Anfang des Jahres zeigen, dass dieser den Autophagie-Mechanismus aushebelt, um sich so leichter reproduzieren zu können. Derselbe Nachweis gelang Drosten und Co. jetzt für SARS-CoV-2. Im Kampf gegen Corona rücken somit aus Sicht der Forscher solche Substanzen in den Fokus, die autophagische Prozesse verstärken können. Und an erster Stelle sehen sie hier Spermidin, da es bis dato die einzige natürliche und körpereigene Substanz ist, für die ein solcher Effekt bereits in mehreren Studien nachgewiesen werden konnte.
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Das haben die Forscher herausgefunden
Corona-infizierte Zellkulturen wurden mit zwei Medikamenten (dem Bandwurmmittel Niclosamid und einem Wirkstoff gegen Brustkrebs, MK-2206) und Spermidin behandelt. Alle drei Substanzen sind bekannt dafür, die Autophagie zu aktivieren. In dem Laborexperiment konnte gezeigt werden, dass sich die Vermehrungsrate des neuartigen Coronavirus um 99 Prozent, 88 Prozent bzw. 85 Prozent senken ließ.
Ebenfalls als man gesunde Zellen mit Spermidin bzw. Niclosamid vorbehandelte und sie dann mit dem Coronavirus ansteckte, stellten sich positive Effekte ein: Das Viruswachstum war in beiden Fällen um 70 Prozent vermindert. SARS-CoV-2 konnte sich in den vorbehandelten Zellen also deutlich schlechter vermehren.
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Wenn man bedenkt, dass Spermidin von den drei Wirkstoffen der einzige natürliche war und zudem für den Menschen gut verträglich ist, dann machen die Erkenntnisse Mut. Gleichzeitig betonen die Forscher, dass weitere Studien folgen müssen. Außerdem sollte man wissen, dass die Ergebnisse bislang nur auf der Seite bioRxiv vorveröffentlicht worden sind und noch nicht durch (unabhängige) Fachleute geprüft wurden (= eine sogenannte „peer review“ fehlt).
Wer trotzdem nicht so lange warten will (oder etwas für sein Gedächtnis tun möchte, denn Spermidin soll auch der Demenzvorbeugung dienen können), dem sei verraten: Als Nahrungsergänzungsmittel aus Weizenkeimextrakt kann man Spermidin schon jetzt in Apotheken kaufen. Wichtig: Eine Kaufempfehlung – aus Ermangelung valider Studienergebnisse – ist das aber nicht.