11. Juli 2024, 4:21 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Sport und ausreichend Schlaf sind Eckpfeiler eines gesunden Lebensstils. Die beiden Faktoren beeinflussen sich auch gegenseitig. Die Studienlage zeigt: Bei der Frage, ob sich Sport spät am Abend zwingend negativ auf den Schlaf auswirkt, kommt es auf die Art des Trainings an. FITBOOK klärt auf.
Wer einen beschäftigten Tag hat, kommt meistens erst spät abends dazu, sich sportlich zu betätigen. Manche lassen es dann ganz sein, da ihnen die alte Binsenweisheit „Sport vor dem Schlafen ist nicht gut!“, in den Sinn kommt. Wenn man sich die Studienlage ansieht, scheint diese allerdings überholt zu sein.1 Sogar das Gegenteil kann der Fall sein: Sport fördert den Schlaf. Wobei es offenbar stark auf die Art der Belastung ankommt, wie u a. eine Untersuchung aus Kanada belegte.
Jetzt dem FITBOOK-Kanal bei Whatsapp folgen!
Übersicht
Ist Sport kurz vor dem Schlafen schlecht?
„Vorm Zubettgehen besser auf Sport verzichten, sonst wird der Schlaf gestört“ – dieser Ratschlag ist weit verbreitet. Doch die Wissenschaft konnte mittlerweile belegen: Ganz so pauschal lässt sich das nicht sagen. Stattdessen kommt es darauf an, welche Art Workout man am Abend macht und wie kurz vorm Schlafen.
Hochintensives Training ist kurz vorm Schlafen nicht zu empfehlen
Einen negativen Effekt einer speziellen Trainingsart auf Einschlafen und Schlafqualität belegte eine Meta-Analyse von 15 Untersuchungen und insgesamt 194 Probanden. Bei der Auswertung der Studienergebnisse gelangten die Forscher der Concordia University (Kanada) zu der Erkenntnis, dass hochintensives Training nicht schlaffördernd ist.2
Auch interessant: Ist es normal, nachts aufzuwachen?
Hohe sportliche Belastung zu spät am Abend hält wach
Die Probanden aller 15 Studien waren zwischen 18 und 50 Jahre alt, manche von ihnen verbrachten viel Zeit im Sitzen, andere waren körperlich fit. Alle hatten gemeinsam, dass sie zu Beginn der Untersuchungen gut schliefen. Im Rahmen der Forschung absolvierten sie ein hochintensives Training und es zeigte sich, dass der Zeitpunkt, an dem sie am Abend trainierten, eine große Rolle in Bezug auf die Schlafqualität spielte.
Wenn das Workout mindestens zwei Stunden vor dem Zubettgehen beendet war, schliefen die Probanden schneller ein und schliefen auch länger. Das galt für die bereits zuvor fitten Personen, jedoch ganz besonders für die, die sich vorher wenig bewegt hatten. Endete das Training weniger als zwei Stunden vor der gewünschten Schlafenszeit, war der genau gegenteilige Effekt zu beobachten. Das heißt, die Teilnehmer konnten schlechter einschlafen und ihre Schlafdauer verkürzte sich.
Weiterhin belegte die Meta-Studie, dass 30 bis 60 Minuten hochintensives Training für einen guten Schlaf ideal sind. Außerdem scheint hochintensives Training vor allem in Form von Fahrradfahren empfehlenswert zu sein. Dieses schnitt in seiner positiven Wirkung auf den Schlaf am besten in der Analyse der Wissenschaftler ab. Wie gesagt: Wenn man mindestens zwei Stunden vor dem Schlafengehen wieder vom Rad steigt bzw. das Training beendet. Der zweistündige Abstand zum Schlafengehen ist nämlich auch laut einer Studie aus dem Jahr 2020 wichtig für den positiven Effekt von abendlichem Sport.3
Auch interessant: Bundesländer im Vergleich! Hier leben in Deutschland die (un)fittesten Menschen
Hochintensives Training verschlechtert die Schlafqualität
Hohe sportliche Belastung kurz vor dem Zubettgehen scheint sich zudem ungünstig auf die Schlafqualität auszuwirken. Genauer: Sie verkürzt die REM-Phase. Diese ist durch die schnelle Augenbewegung bei geschlossenen Lidern gekennzeichnet und gilt als die Schlafphase, in der wir träumen. In der Forschung wird davon ausgegangen, dass eine kürzere REM-Phase die kognitiven Funktionen negativ beeinflusst.4
Moderater Sport vor dem Schlafen hat keinen negativen Effekt
Anders sieht das bei moderatem Sport aus, wie die Meta-Analyse von 23 Studien zum Thema Sport vor der Bettzeit herausfand, die Wissenschaftler vom Institut für Bewegungswissenschaften und Sport der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) vorgenommen haben.5
Abendliches Training, welches im Zeitraum von einer halben Stunde vor und maximal vier Stunden vor der Bettzeit endet, beeinflusst den Schlaf nicht negativ, bestätigte Prof. Christina Spengler, Leiterin Human- und Sportphysiologie der ETH 2021 auf FITBOOK-Nachfrage. Eingeschlossen in die Analyse waren überwiegend Studien, in denen die Teilnehmer moderat trainiert hatten (z.B. längerer Dauerlauf, Fahrt auf dem Rennrad. Laut Studienleiterin Spengler ein Training, bei dem man nicht mehr singen, jedoch noch sprechen könne) sowie maximal vier und minimal eine halbe Stunden vor dem Zubettgehen endeten.
Es gibt sogar einen minimal positiven Tiefschlaf-Effekt
Wenn überhaupt, habe Sport am Abend sogar eher einen positiven Effekt auf die Schlafqualität! Jene Versuchsteilnehmer, die im oben angegebenen Zeitraum vor dem Zubettgehen noch eine moderate Sporteinheit absolviert hatten, verbrachten im Schnitt 21,2 Prozent ihrer Schlafzeit im Tiefschlaf – jene häufig traumlosen Phasen, in denen es zur tiefen Entspannung kommt, der Körper u.a. Anti-Aging-Wachstumshormone ausschüttet und sich regeneriert. Nach Abenden ohne Sport kamen dieselben Probanden auf 19,9 Prozent Schlafenszeit im Tiefschlaf.
„Dieser Tiefschlaf-Effekt ist aber wirklich minimal“, teilte Spengler auf FITBOOK-Anfrage mit. Beide Werte liegen im statistischen Normbereich von 20 bis 25 Prozent – wenngleich es für Tiefschlaf keine Mindestmenge gibt. Bei älteren Menschen ist der Tiefschlafanteil beispielsweise deutlich reduziert, bei Teenagern ist er erhöht.
Relevanter als die minimal erhöhte Menge an Tiefschlaf ist für die Forscher das andere Lernergebnis: Die Absage an gängige Sprüche à la „zwei Stunden vor dem Schlaf keinen Sport machen, weil man sonst schlechter schläft“. „Vergessen Sie diese Ratschläge!“, so Spengler zu FITBOOK. „Wichtig ist das individuelle Ausprobieren.“
Auch interessant: Macht zu viel Schlaf wirklich krank?
Wechselwirkung zwischen Sport und Schlafen
Wer Leistung im Sport erbringen will, der muss schlafen. Das wird jeder Leistungssportler bestätigen können, denn der Körper braucht Zeit, sich zu regenerieren. Während sportlicher Aktivitäten werden die Muskeln gezielt be- und überlastet. Dabei entstehen an den Muskelfasern feine Risse und Dehnungen. Im Schlaf finden diese Muskeln Zeit, sich zu reparieren und neue Muskeln können wachsen.
So wichtig wie Schlaf für die Regenerationsfähigkeit ist, ist umgekehrt Bewegung für unsere Schlafqualität. Insbesondere moderate sportliche Aktivitäten, wie beispielsweise Spazierengehen an der frischen Luft, konnten in Studien mit einer schnelleren Einschlafzeit und besseren Qualität des Schlafes in Verbindung gebracht werden.6,7
„Darum bin ich Fan von abendlichem Sport“
„Mit Sport direkt morgens nach dem Aufstehen werden sich mein Kopf und Körper wohl nie anfreunden kommen, enstprechend selten kommt dies in meinem Alltag vor. Ich liebe es stattdessen, mich am Abend zu bewegen – besonders an einem langen Arbeitstag am Schreibtisch. Aktuell setze ich vor allem auf Kraftsport, Kraft-Ausdauer-Kurse und Yoga und habe auch bei beidem das Gefühl, dass sie meinem Schlaf, v. a. dem Einschlafen gut tun. Mit abendlichem Sport meine ich in der Regel so zwischen 19 und 20 Uhr, es kommt aber gar nicht mal so selten vor, dass mich zu Hause im Home Gym um 22 Uhr noch die Lust packt oder ich es zeitlich zuvor nicht geschafft habe. Und selbst, wenn ich dann nach Workout und Duschen 30 Minuten später im Bett liege, kann ich zügig einschlafen. Und Einschlafen ist wirklich häufig ein Problem für mich …
Während Yoga mir hilft, Verspannungen zu lösen und meinen Kopf frei zu kriegen, hilft mir das Auspowern beim Krafttraining und bei Kraft-Ausdauer-Workouts, so richtig schön müde zu werden. Wer den Begriff ‚Bettschwere‘ kennt, weiß, von welch wohligem Erschöpfungsgefühl ich spreche. Meine Devise lautet daher: Lieber kurz vor dem Zubettgehen Sport machen, als es Zeitgründen ganz wegzulassen.“
Schlafstörungen mit Sport bekämpfen
Wenn man an chronischen Schlafproblemen, wie lange Einschlafzeiten und ständigem Aufwachen leidet, kann Sport beim Schlafen helfen. Regelmäßige sportliche Aktivität kann quasi als natürliches Schlafmittel wirken. Dabei spielen aber auch andere Faktoren – wie z. B. Stressabbau – eine Rolle.
Selbst bei Personen, die an chronischen Schlafstörungen oder sogar starker Schlaflosigkeit leiden, konnte in Studien ein positiver Effekt von Sport auf die Schlafqualität festgestellt werden. Nach dre bis sechs Monaten moderat-intensiver sportlicher Betätigung, wie beispielsweise Nordic Walking, schliefen die Probanden besser und länger.8,9,10
Studie mit über 60-Jährigen So deutlich kann 1 Prozent weniger Tiefschlaf pro Jahr das Demenzrisiko erhöhen
Erfahrungsbericht 6 Erkenntnisse, die ich mithilfe eines Schlaftrackers gewonnen habe
Es ist nicht der Powernap Müdigkeit durch Schlafmangel in nur 20 Minuten ausgleichen – Studie zeigt, wie es funktionieren kann
Sport am Abend – so geht’s
Fazit: Es gibt Hinweise darauf, dass (moderates) Training auch noch kurz vor dem Zubettgehen unseren Schlaf nicht behindert. Sportarten wie beispielsweise Tai-Chi oder Yoga eignen perfekt für ein abendliches Workout.11
Von zu intensivem Training wie Cardio oder HIIT-Training ist später am Abend dagegen eher abzuraten. Denn wer sich kurz vor dem Schlafen komplett verausgabt, könnte den Kreislauf so hochfahren, dass er Schwierigkeiten beim Einschlafen bekommt. Zumal man beim Sport Hormone wie Adrenalin und Dopamin ausschüttet, die einen eher hochpeitschen, als runterzufahren. Ganz einig ist sich die Wissenschaft aufgrund unterschiedlicher Hinweise in Studien diesbezüglich jedoch noch nicht.12
Deshalb unser Rat: Hören Sie auf Ihren eigenen Körper und dessen Reaktion auf abendliches Training.
Auch interessant: So wichtig ist Schlaf beim Abnehmen
Was tun, wenn ich kurz nach dem Sport tatsächlich schlecht schlafe?
Spengler rät FITBOOK-Lesern, die vor allem nach dem Sport unter Einschlafproblemen leiden, das nächste Mal folgendermaßen vorgehen:
- weniger intensiv trainieren bei gleichem Timing und gleicher Sportdauer
- kürzer trainieren bei gleichem Timing und gleicher Intensität
- bei gleicher Dauer und gleicher Intensität früher trainieren