28. Oktober 2021, 3:43 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Rückenschmerzen zählen in Deutschland zu den Volkskrankheiten. Umso wichtiger sind neue Behandlungsmethoden, um den Leidenden helfen zu können. Die Erfahrungen von Astronauten mit Rückenproblemen können zu solch neuen Therapieansätzen führen. So kommt Science-Fiction beim Normalbürger an.
Rückenschmerzen gehören zu den am meisten verbreiteten Leiden in Deutschland. Vor allem die Veränderung der Arbeitswelt hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass sich Menschen im Alltag zu wenig bewegen und zu viel sitzen. Auch das einseitige Belasten des Rückens ist problematisch. Moderne Büroarbeitsplätze mit höhenverstellbaren Schreibtischen sollen bspw. daher ermöglichen, dass man abwechselnd im Sitzen und im Stehen arbeiten kann. Von einem klassischen Bürojob sind Astronauten im All zwar meilenweit entfernt, dennoch können ausgerechnet ihre Erfahrungen mit Rückenproblemen helfen, Rückenschmerzen besser behandeln und vorbeugen zu können.
Übersicht
Astronauten wachsen bis zu 7,5 cm im All
Denn nicht nur auf der Erde haben Menschen mit Rückenschmerzen zu kämpfen. Auch Astronauten haben Rückenprobleme – wenn auch aus etwas anderen Gründen. Die fehlende Schwerkraft im All sorgt dafür, dass die Wirbelsäule sich streckt und nahezu gerade wird. Wie die amerikanische Johns Hopkins University in einer aktuellen Veröffentlichung berichtet, kann es bei Astronauten dazu führen, dass sie während einer Mission im All bis zu 7,5 Zentimeter wachsen.1 Das Problem: Wenn sie zurück auf der Erde sind, staucht sie die Erdanziehungskraft wieder zusammen. Und das ist mit Schmerzen verbunden.
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So haben fast 80 Prozent der Rückkehrer aus dem All mit Rückenschmerzen zu kämpfen. Im All liegt die Quote dagegen bei 52 Prozent. Es ist also ein omnipräsentes Thema bei Astronauten. „Wenn die reduzierte Schwerkraft dazu führt, dass sich die Krümmung richtet, dann wäre dies nicht nur eine Ursache für akute Schmerzen bei Astronauten, sondern könnte auch die Stabilität ihrer Wirbelsäule beeinträchtigen, wenn sie zur Erde zurückkehren“, sagt Radostin Penchev, niedergelassener Arzt am Johns Hopkins Krankenhaus und mitwirkender Wissenschaftler an der Astronautenstudie.
Weitere Studien zum Zusammenhang von Gravitation und Rückenschmerzen
Eine andere Studie der Universität Innsbruck hat zudem gezeigt, dass auch Militärhubschrauber-Piloten und ihre Besatzungsmitglieder durch hohe Gravitationskräfte öfter von Rückenschmerzen betroffen sind.2 Die Piloten entwickeln fast dreimal häufiger einen Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelbereich als die Allgemeinbevölkerung. Das trifft auch auf Astronauten zu. Sie erleiden laut einer NASA-Studie aus dem Jahr 2010 mehr als viermal häufiger einen Bandscheibenvorfall, insbesondere kurz nach der Rückkehr zur Erde.3
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Was Astronauten gegen Rückenschmerzen machen
Schon seit Beginn des Weltraumreisens hilft klassisches Krafttraining auch Astronauten gegen Rückenschmerzen:
Die Übungen dienen den Astronauten in der Vorbereitung zur Kräftigung der Muskulatur. Zudem sind Raumstationen mit Trainingsgeräten ausgestattet. Doch wie die Untersuchung der Astronauten zeigt, ist noch mehr notwendig.
Ideal wäre die Erzeugung von Schwerkraft im All. „Science-Fiction hat die sich drehende Raumstation populär gemacht, die Zentrifugalkraft nutzt, um Schwerkraft nachzuahmen“, sagt der Wissenschaftler und Arzt Radostin Penchev. Laut ihm seien aber spezielle Anzüge eine realistischere und sogar bessere Alternative. Diese könnten nämlich dem Körper einen ähnlichen Widerstand bieten wie die Erdanziehungskraft.
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Tatsächlich existieren bereits solche Widerstandsanzüge. Sie fühlen sich an, als würde man Gummibänder von den Schultern bis zu den Hüften überziehen. Dadurch sollen Muskelgruppen aktiviert werden, die uns auf der Erde aufrecht halten, erklären die Forscher. Wie die Auswertung der Forscher von 722 Raumflügen zeigte, konnte die Verwendung solch eines Widerstandsanzugs zusammen mit einem Trainingsprogramm die Rückenbeschwerden bei 85 Prozent der Probanden lindern. Jedoch beklagten sich einige Astronauten über die unbequem zu tragenden Anzüge und die eingeschränkte Bewegungsfreiheit.
Zu den weiteren Methoden, die bei Astronauten Rückenschmerzen vorbeugen sollen, zählen Massagen, Nahrungsergänzung mit Vitamin D, elektrische Stimulation und Training mit Unterdruckgeräten.
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Weltraumtourismus treibt die Forschung an
Wie die Wissenschaftler anmerken, könnte der wachsende Weltraumtourismus dazu führen, dass viele Rückkehrer aus dem All von Rückenschmerzen geplagt werden. Insofern ist die Forschung in diesem Bereich wichtig, um den gesundheitlichen Nebenwirkungen von Weltraumreisen vorzubeugen.
Das könnte auch Menschen, die „mit beiden Beinen auf der Erde bleiben“, zugutekommen. Denn die Erkenntnisse aus dem All könnten beispielsweise dazu genutzt werden, Widerstandsanzüge zum Training für Menschen mit Rückenschmerzen zu entwickeln oder als Vorbeugung für jene, die sich zu wenig im Alltag bewegen.
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Quellen
- 1. Penchev, R., Scheuring, R., Soto, A. T. et al. (2021). Back Pain in Outer Space. Anesthesiology. Anesthesiology.
- 2. Posch, M., Schranz, A., Lener, M., Senn, W., et al. (2019). Prevalence and potential risk factors of flight-related neck, shoulder and low back pain among helicopter pilots and crewmembers: a questionnaire-based study. BMC Musculoskelet Disord.
- 3. Johnston, S.L., Campbell, M.R., Scheuring, R., Feiveson, A.H. (2010). Risk of herniated nucleus pulposus among U.S. astronauts. Aviat Space Environ Med.