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Schuld seien Phthalate

Forscherin warnt: »2045 ist die Mehrheit der Männer zeugungsunfähig

Phthalate
Laut einer US-Forscherin können Phthalate Männer zeugungsunfähig machen. Dabei handelt es sich um Weichmacher, die in Kunststoffen verwendet werden. Foto: Getty Images
Laura Pomer

29. März 2021, 17:03 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Chemische Verbindungen können bekanntlich verschiedene ungünstige Folgen auf unsere Gesundheit haben. Wohl weniger bekannt: dass sie sich auch auf die Fortpflanzungsorgane auswirken können sollen. Das zumindest ist die Überzeugung einer US-amerikanische Forscherin, die verheerende Folgen auf die männliche Zeugungsfähigkeit prophezeit. FITBOOK hat die aktuelle Datenlage gesichtet und auch bei einem Urologen nachgefragt.

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Jungs kämen heute häufiger mit fehlgeformten Penissen auf die Welt als noch vor einigen Jahrzehnten. Das will Dr. Shanna Swan, Umweltmedizinerin am New Yorker Mount Sinai Hospital, in ihren Recherchen herausgefunden haben. Sie führt diesen Trend auf den industriellen Einsatz bestimmter Plastikverbindungen zurück, sogenannter Phthalate. Diese sollen Männer zeugungsunfähig machen.

Wo finden Phthalate Verwendung?

Phthalate finden als Weichmacher in Kunststoffen Verwendung. Sie sind fast in sämtlichen PVC-haltigen Produkten enthalten. Dazu gehören u. a. Spielzeug sowie Verpackungen und Aufbewahrungsbehälter. Auf diesem Weg können auch Lebensmittel mit Phthalat in Kontakt kommen – und Männer offenbar zeugungsunfähig machen.

Forscherin warnt: Phthalate machen Männer zeugungsunfähig

Die Forscherin stütze ihre Warnung auf zahlreiche Studien, in denen der Effekt von Plastikfreisetzung auf die Fortpflanzungsorgane analysiert worden sein. Man habe dabei verheerende Folgen auf die männlichen Genitalien festgestellt. Demnach greifen Phthalate mit einer östrogenähnlichen Wirkung (Östrogene = weibliche Geschlechtshormone) in den Hormonhaushalt ein. Verschiedene wichtige Prozesse kämen so durcheinander und führten dazu, dass Männer zeugungsunfähig würden.

Auch interessant: Lycopin (aus Tomatenmark) fördert die Zeugungsfähigkeit

Ihre Ausführungen füllen ein ganzes Buch: „Count Down – wie unsere moderne Welt das Spermienvorkommen bedroht, die männliche und weibliche Fortpflanzungsentwicklung verändern und die Zukunft der Menschheit gefährdet.“ Den Untertitel hat FITBOOK frei übersetzt.

Einschätzung des Umweltbundesamts

Phthalate werden wohl kaum so schädlich sein, wenn sie doch in der Industrie breiten Einsatz finden – das möchte man hoffen. In Wahrheit sind sie aber offenbar zumindest nicht harmlos.

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Laut dem Umweltbundesamt haben Phthalate „unterschiedliche Wirkungen auf den Organismus“. Es handele sich um „endokrine Disruptoren“, also Stoffe, die das Hormonsystem verändern und so der Gesundheit schaden können. So gälten einige Arten des Weichmachers als leberschädigend, andere wiederum („die Phthalate DEHP, DBP und BBP“) als „fortpflanzungsgefährdend“. Männer drohten durch den wiederholten Kontakt zu Phthalaten also tatsächlich, zeugungsunfähig zu werden.

Um die Gesundheit der Konsument*innen zu schützen, gebe es in der EU unterschiedliche Grenzwerte für den zulässigen Einsatz von Phthalaten. In einigen Produkten sei er gänzlich verboten.

Deutscher Experte bestätigt Spermienschwund seit 1973

FITBOOK hat bei Dr. med. Christoph Pies, Facharzt für Urologie, nachgefragt. Und er bezeichnet das Thema „endokrine Disruptoren“ direkt als heikel.

Pies gibt Dr. Swan „in gewissen Maße“ somit recht. „Durchschnittswerte zu Testosteronspiegel und Spermaqualität haben sich in den vergangenen Jahrzehnten in den Industrienationen konstant reduziert“, berichtet uns der Experte. Seit dem Jahr 1973 würde ein „Spermienschwund um 50 bis 60 Prozent“ verzeichnet.

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Formveränderungen von Penissen

Laut US-Forscherin Swan werden ja auch Formveränderungen von Penissen festgestellt. Und auch Dr. Pies bestätigt das vermehrte Aufkommen „angeborener Veränderungen“. Bei deren Entstehung dürften Ernährung und generelle Gewohnheiten der Mutter eine Rolle gespielt haben. Der Facharzt nennt das testikuläre Dysgenesie-Syndrom, umgangssprachlich auch als Hodenhochstand bekannt. Hinzu kämen anatomische Probleme durch Fehlmündungen der Harnröhre, die häufig operativ korrigiert werden müssten.

Nicht „nur“ Phthalate schuld

Neben Phthalaten zählten auch Parabene, also Konservierungsstoffe aus z. B. Pflege- und Kosmetikprodukten zu den oben nannten endokrinen Disruptoren. Dass diese zeugungsunfähig machen können, lässt sich demnach nicht ausschließen.

Doch damit immer noch nicht genug. Mit Blick auf Langzeitbeobachtungen in Fachliteratur warnt Pies vor einem potenziell negativen Einfluss auf Hormonhaushalt und Gesundheit durch „Pestizide in Obst und Gemüse sowie durch Hormone und Antibiotika in Tierprodukten oder im Grundwasser“. Nicht minder kritisch zu bewerten: die steigenden Raten an Übergewicht, Stress oder Handystrahlung. „Sogar der Klimawandel wird angeführt“, weiß der Experte.

Ist die Mehrheit der Männer 2045 zeugungsunfähig?

Entwarnung klingt ehrlicherweise anders. Der Weg zu einer allgemeinen Unfruchtbarkeit sei zwar rechnerisch noch weit. Denn: Die unteren Labor-Grenzwerte, die – per Spermiogramm ermittelt – laut Weltgesundheitsorganisation WHO für eine drohende Unfruchtbarkeit sprechen können, sei relativ niedrig angesetzt seien, erläutert Pies. Die Prophezeiung durch Forscherin Swan sei deshalb aber nicht falsch – womöglich hat sie sich einfach ein wenig verrechnet. Zumindest im Abgleich mit Pies‘ Prognose.

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„Wenn der Trend sich konstant in der aktuellen Geschwindigkeit von 0,7 Millionen Spermien weniger pro Jahr fortsetzt, würde das von Dr. Swan geschilderte Szenario in 45 Jahren erreicht“, sagt uns der Arzt. „Also etwa 2066.“

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Wie kann Mann gegensteuern?

„Das Problem ist, dass unsere Nahrung oft mit Plastik in Berührung kommt, sei es bei Verpackungen, Aufbewahrungsboxen, Einweggeschirr oder anderen Küchenutensilien“, erklärt der Urologe.

Versuchen Sie, bekannte und reduzierbare Einflussfaktoren bestmöglich vermeiden. Achten Sie beim Kauf von Pflegeprodukten auf die enthaltenen Zusatzstoffe. Es gibt inzwischen zahlreiche Cremes, Duschgels und Co., die statt Parabenen alternative Konservierungsmittel enthalten. (Hier eine Einschätzung zur „Verwendung von Parabenen in kosmetischen Mitteln“ durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).)

Lebensmittel bitte bevorzugt aus dem Bio-Handel beziehen. Verzichten Sie auf Verpackungsmüll – davon profitiert nicht zuletzt die Umwelt – und sehen Sie auch vom Verzehr von Fertigprodukten, die inkl. Plastikbestandteilen erhitzt werden, ab.

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