9. Mai 2024, 18:14 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Die Gabel quietscht auf dem Teller, irgendwo piept es, das Gegenüber schmatzt oder saugt Luft durch einen Strohhalm: Klingt unangenehm, oder? Manche Geräusche sind nur schwer auszuhalten. Wenn bestimmte Geräusche – oft Essensgeräusche – jedoch starke negative Reaktionen wie enorme Anspannung, Wut oder Ekel auslösen, kann eine Misophonie vorliegen. FITBOOK sagt, was für Ursachen das Phänomen hat und wie es sich am besten behandeln lässt.
Der Begriff der Misophonie kommt aus dem Griechischen und wird wörtlich mit „Hass auf Geräusche“ übersetzt. Der Name verrät schon, um was es sich bei der Störung hauptsächlich dreht: die Intoleranz gegenüber bestimmten Geräuschen. Interessanterweise ist Misophonie keine anerkannte Erkrankung, das heißt, es ist nicht in der offiziellen Klassifikation für psychische Krankheiten (ICD-10 und DSM-5) integriert.1 Vielmehr gehen Therapeuten und Psychiater oft von einer zugrunde liegenden Phobie oder Belastungsstörung aus, die die Intoleranz gegenüber bestimmten Triggern hervorruft. Einbildungen sind die Empfindungen aber nicht und sie haben wie andere klassifizierte psychische Erkrankungen Symptome, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten.
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Übersicht
Symptome
Bei der Misphonie kommt es als Reaktion auf bestimmte Alltagsgeräusche bei Betroffenen zur autonomen Erregung, also zu einer spontanen Erregung, die sich in Form von Angst, Panik und Wut äußert. Auch körperlich können sich die Erregungen durch einen schnelleren Puls oder einer erhöhten Körpertemperatur, schwitzende Hände und sogar Atembeschwerden bemerkbar machen.
Der konstante Stress aufgrund dieser Erregungen beeinträchtigen Misophoniker beim Erledigen ihrer alltäglichen Aufgaben und stellt vor allem im sozialen Umgang mit Mitmenschen ein echtes Hindernis dar. Nicht selten reagieren sie aggressiv oder fliehen vor Situationen.
Mispohonie-Trigger
Vor allem sich wiederholende Geräusche können Trigger bzw. „Auslöser“ einer Erregung sein. In Alltagssituationen sind besonders folgende auditive Reize ein Problem für Betroffene:
- Kauen,
- Schluckgeräusche,
- lautes Atmen,
- Lippenschmatzen,
- Stiftklicken,
- Tastaturgeräusche,
- Reibgeräusche (z.B. auf Holz, Glas oder Stoff,)
- Laufgeräusche auf Asphalt oder anderem harten Boden.
Als Gegenmaßnahme erzeugen Misophoniker übrigens gerne dasselbe Geräusch zeitgleich, um das des anderen zu übertönen. Wer das Kauen des Gegenübers nicht erträgt, schmatzt vielleicht selbst hörbar lauter oder wen das Tippen einer Tastatur wahnsinnig macht, hackt als Reaktion viel härter in die eigenen Tasten.2
Psychologische Ursachen
Die Ursachen für die Überempfindlichkeit für die Alltagsgeräusche sind nicht genau geklärt. Unter anderem wird eine Misophonie teilweise auf ein Trauma mit einem bestimmten Geräusch zurückgeführt. Ebenso tritt das Phänomen oft in Verbindung mit Phobien, einer Angst- sowie Zwangsstörung auf, die als zugrundeliegende Ursache diagnostiziert wird. Interessanterweise beginnt die Störung häufig schon in der Kindheit und Jugendalter.
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Tinnitus und Misophonie
Es gibt aber auch Ursachen physiologischer und neurologischer Natur, die die umstrittene Erkrankung auslösen könnten. So soll es laut Forschern sowohl bei Tinnitus als auch bei Misophonie eine Hyperkonnektivität zwischen dem auditorischen und dem limbischen System im Gehirn bestehen.
Das limbische System – um genau zu sein, der dazugehörige präfrontale Cortex – ist normalerweise dazu in der Lage, den auditorischen Cortex, der Teil des Hirns, der sich mit der Verarbeitung von akustischen Signalen befasst, zu unterdrücken. Bei Leuten mit Tinnitus und auch anscheinend mit Misophonie sei das nur bedingt der Fall. Dadurch würde bei Misophonie eine Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Geräuschen entstehen. Die Störung ist aber ganz klar von Tinnitus abzugrenzen, da sie sich auf spezifische Töne beschränkt.3,4
Das passiert im Gehirn, wenn Misophoniker getriggert werden
Britische Forscher untersuchten 2017 via Kernspintomografie (fMRT), was im Kopf von insgesamt 20 Misophonikern passierte, wenn sie den gehassten Trigger-Geräuschen ausgesetzt wurden. Dabei kam heraus, dass besagte Geräusche die vordere Inselrinde des Hirns, welche Sinneseindrücke mit Emotionen verknüpft, aktivierte. Es zeigte sich außerdem, dass es bei Trigger-Geräuschen zu einer abnormalen Verbindung zwischen vorderer Inselrinde und einer Reihe von Regionen kam, die für die Verarbeitung und Regulierung von Emotionen verantwortlich sind. Dazu gehörten unter anderem die Amygdala, in denen Gefühle verarbeitet werden, der hintere Gyrus cinguli, welcher an Lern- und Gedächtnisprozessen beteiligt ist, und der Hippocampus, der die entscheidet, welche Informationen wir speichern.5
Als mögliche Ursache für diese gestörte Verarbeitung vermuten die Forscher traumatische Erlebnisse in der Kindheit, die nachhaltig die Hirnaktivität und Entwicklung beeinflusst haben könnte. Auch wenn sich weitere Untersuchungen zu Misophonie anschließen müssen, sind die Ergebnisse, insbesondere für die Betroffenen, ein Erfolg. Nicht selten hören diese nämlich, dass sie sich das beklagte Leid nur einbilden würden.6,7
Behandlungsmöglichkeiten
Leider gibt es noch keine Patentlösung für die Störung. Je nachdem, ob eine Ursache diagnostiziert werden kann, stehen verschiedene Behandlungsansätze zur Auswahl, die sich für viele Misophoniker als durchaus hilfreich erwiesen haben. Wer sehr unter der umstrittenen Erkrankung leidet, könnte es mit folgenden Therapiemethoden probieren:8
- Klangtherapie mit Beratung
- kognitive Verhaltenstherapie
- Exposition sowie dialektische Verhaltenstherapie
- Antidepressiva
Ansonsten kann man versuchen, durch immer griffbereite Noise-Cancelling-Kopfhörer oder Regensounds auf den Ohren Trigger-Geräuschen im Alltag zu vermeiden.
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Was tun bei Verdacht auf Misophonie?
Wer den Verdacht hat, auf Alltagsgeräusche übermäßig stark zu reagieren, kann in einem ersten Schritt abklären lassen, wie gut das eigene Gehör funktioniert. Einen Hörtest kann man bei HNO-Ärztinnen und -Ärzten, aber auch bei Hörakustikern machen. Wer den Verdacht hat, von Misophonie betroffen zu sein – also etwa mit Hass, Aggression oder Angst auf Alltagsgeräusche wie Kauen, lautes Atmen oder klackernde Absätze reagiert – für den ist sinnvoll, sich psychotherapeutische Hilfe zu suchen. Besteht die Notwendigkeit einer Behandlung, kann man mit unterschiedlichen Therapieansätzen die Erkrankung angehen oder mit Gadgets wie Kopfhörern oder Regengeräuschen kurzweilige Abhilfe schaffen.