28. Mai 2024, 11:04 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Warum erreichen einige Menschen ein dreistelliges Alter und andere nicht? Die Antwort könnte einer neuen Studie zufolge am Mikrobiom liegen. Japanische Forscher entdeckten jetzt bei über 100-jährigen Frauen und Männern ein spezielles Darmbakterium, welches womöglich vor zahlreichen altersbedingten Krankheiten schützt und damit für ein langes Leben sorgt.
Das Geheimnis der über 100-Jährigen liegt in ihrem Darm. Sie verdanken ihr Alter nämlich womöglich einem speziellen Darmbakterium. Dies vermuten japanische Forscher der Kaio University of Medicine (Tokio), welche im Rahmen einer Studie aus dem Jahr 2021 bei besonders langlebigen Menschen eine herausragende Gesundheit festgestellt hatten. Diese scheinen auf wundersame Weise vor zahlreichen chronischen Krankheiten geschützt zu sein. Darunter auch Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Diabetes und Krebs.
Übersicht
Mikrobiom von 160 Methusalems untersucht
Die Wissenschaftler analysierten Stuhlproben von 160 Erwachsenen mit einem stolzen Durchschnittsalter von 107 Jahren. Diese verglichen sie mit Proben von weiteren 112 Männern und Frauen zwischen 85 und 89 Jahren sowie einer weiteren Gruppe von 47 Personen im Alter von 21 bis 55 Jahren. Dabei entdeckten die Forscher, dass die über 100-Jährigen ein ganz spezielles Darmbakterium aufwiesen, welches sogenannte sekundäre Gallensäuren produziert. Dieses Bakterium war in der Menge bei den jüngeren Probanden nicht vorhanden. Die Forscher vermuten, dass genau jenes Gallensäure produzierende Bakterium für eine bessere Immunabwehr sorgt. So sei auch der Darm vor Infektionen geschützt, heißt es in der im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichen Studie.1
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Wie das Darmbakterium bei den über 100-Jährigen Erreger abtötet
Um der Rolle des noch rätselhaften Darmbakteriums weiter auf die Spur zu kommen, behandelten die Forscher im Labor bestimmte Krankheitserreger mit den sekundären Gallensäuren, welche bei den über 100-Jährigen vermehrt gefunden worden waren. Dabei entdeckten sie, dass ein in den sekundären Gallensäuren vorkommendes Molekül namens isoalloLCA unter anderem das Wachstum von Clostridioides difficile hemmt. C. difficile ist eines der häufigsten Krankenhauskeime, welches schweren Durchfall und Darmentzündungen verursacht und obendrein antibiotikaresistent ist. Nachdem infizierte Mäuse mit isoalloLCA behandelt wurden, linderten sich ihre Symptome ebenfalls signifikant. Die Forscher schlossen daraus, dass das Darmbakterium der Greise für einen hohen Spiegel des besagten „heilenden Moleküls“ sorgt, welches dementsprechend zur Gesundheit und damit zur außergewöhnlichen Langlebigkeit beiträgt.
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Woher kommt das Darmbakterium der 100-Jährigen?
Was dafür sorgte, dass sich die besonderen Bakterien im Darm der rüstigen Menschen ansiedelten, ist bislang unklar. So bedarf es weiterer zu der Frage, ob es genetische Ursachen hat oder vielleicht doch hauptsächlich an der Ernährung liegt. So kommen in Japan – wo die Bevölkerung bekanntlich überdurchschnittlich alt wird – nahezu täglich fermentierte Lebensmittel auf den Tisch. Neuesten Studien zufolge, reduzieren Joghurt, Kimchi, Kombucha und Sauerkraut entzündliche Proteine im Darm. Gleichzeitig erhöhen sie die Vielfalt gesunder Bakterien im Darm (FITBOOK berichtete).
Für Studienautor Ramnik Xavier steht jedenfalls fest, dass er und sein Team auf eine heiße Spur in Sachen Gesundheit und Langlebigkeit gestoßen sind. So erklärte der Wissenschaftler in einer Pressemitteilung: „Eine einzigartige Kohorte, internationale Zusammenarbeit, Computeranalysen und experimentelle Mikrobiologie haben gemeinsam die Entdeckung ermöglicht, dass das Darmmikrobiom die Schlüssel für ein gesundes Altern enthält.“2 Vielleicht, so hofft er, fänden sich dadurch schon bald neue therapeutische Ansätze, welche die allgemeine Lebenserwartung auf gesunde Weise weiter erhöhen könnten.
„Junges“ Darmmikrobiom
Auch eine Studie aus dem Jahr 2023 kam zu dem Schluss, dass das Geheimnis von Langlebigkeit im Darm zu liegen scheint. In ihr untersuchten Forscher Stuhlproben von 1575 Menschen aus Südchina im Alter von 20 bis 99 Jahren. Darunter befand sich auch eine Gruppe (mit insgesamt 297 Personen) über 100-Jähriger aus der Provinz Guangxi, die zu den sogenannten „Blue Zones“ gehört, also einer Region, in der die Menschen ungewöhnlich alt werden.3
Die Wissenschaftler stellten fest, dass das Darmmikrobiom der Senioren aus Guangxi eine ähnliche Struktur aufwies wie das wesentlich jüngerer Vergleichspersonen. So fand sich bei den über 100-Jährigen ein bestimmtes wichtiges Darmbakterium in großer Fülle: das Bacteroides. Dieses spielt eine wichtige Rolle dabei, den Darm vor der Einnistung und Ausbreitung pathogenen Keime zu schützen.4 Dass sie diese Funktion tatsächlich auch bei den „Blue Zone“-Bewohnern noch erfüllten, zeigte eine weitere Untersuchung der Darmbeschaffenheit. Diese ergab, dass nur wenige potenzielle Pathobionten vorzuweisen waren. Dabei handelt es sich um Bakterien, die als krankmachend gelten und denen eine Verbindung zu verschiedenen Krankheitsbildern nachgesagt wird.5
Studie mit über 100-Jährigen Forscher finden neuen Faktor für Langlebigkeit
Laut Studie Die ideale Anzahl von Stuhlgängen pro Tag für eine optimale Gesundheit
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Der Darm ist wichtig für die Gesundheit – und Langlebigkeit
In den vergangenen Jahren ist der Darm mehr und mehr in Zentrum der Forschung gerückt. Entsprechend weiß man mittlerweile um seine große Bedeutung für unsere Gesundheit. Geht es dem Darm schlecht, hat das kurzfristige und langfristige Auswirkungen auf den gesamten Körper. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Darmmikrobiom (der Sammlung von Bakterien im Darm) zu. Eine Abnahme der Diversität des Mikrobioms wird mit diversen Erkrankungen assoziiert, darunter chronische Darmerkrankungen, Autoimmunerkrankungen, Stoffwechselstörungen und Krebs (FITBOOK berichtete).
Doch nicht nur für den Schutz vor bzw. die Entstehung von Krankheiten, sondern auch für die Langlebigkeit scheint der Darm (genauer die Darmbakterien) wichtig zu sein. Das zeigen die Studien an über 100-Jährigen aus Japan und China. Zugegeben rätseln die Wissenschaftler weiterhin, wie genau die Darmbakterien die Lebenserwartung beeinflussen, doch die Hinweise häufen sich, dass das Geheimnis der „Blue Zone“-Bewohner (auch) im Darm liegt.