22. September 2020, 15:01 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Magersucht ist eine schwerwiegende Essstörung, die man bisher vor allem mit Psychotherapie behandelt. Auch deswegen, weil es bis dato kein Medikament dagegen gibt. Eine kleine Studie aus Deutschland mit einem hormonhaltigen Arzneimittel macht jetzt Hoffnung auf eine bessere Heilung.
Laut dem Robert-Koch-Institut gehen Schätzungen davon aus, dass 0,5 bis 1 Prozent der Männer und Frauen an Magersucht (Anorexia nervosa) leiden. Doch die gefährliche Essstörung – Betroffene sind stark untergewichtig, leiden oftmals unter schweren Depressionen und isolieren sich von ihren Mitmenschen – beginnt meist schon im Jugendalter und früher. Bisher kann der Krankheit nur mit psychotherapeutischer Behandlung begegnet werden, da es kein Medikament gegen Magersucht gibt. Genau das könnte sich aber künftig ändern, sollte sich in größeren Studien bestätigen lassen, was Deutsche Forscher an 3 Probandinnen beobachten konnte.
Zustand der Magersucht-Patientinnen hat sich deutlich verbessert
Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen haben einer (sehr) kleinen Patientengruppe – 3 Frauen – ein Medikament mit Leptin verabreicht. Leptin ist ein Stoffwechselhormon, das unter anderem die Anpassung des Körpers an einen Hungerzustand steuert. Sinkt durch eine ausbleibende Nahrungsaufnahme der Leptin-Spiegel im Blut, drosselt zwar der Körper zahlreiche seiner Funktionen, um Energie zu sparen; andererseits kommt es bei vielen von Magersucht Betroffenen gleichzeitig zu einem extremen Bewegungsdrang, der häufig in exzessivem Sport mündet.
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In Tierversuchen, erklärt Studienleiter Prof. Dr. Johannes Hebebrand in der Uni-Pressemitteilung, habe man schon vor 20 Jahren zeigen können, dass man eine durch Hunger ausgelöste Hyperaktivität mittels Leptin stoppen kann. Mit demselben Hormon wurden jetzt die drei Probandinnen für einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen behandelt. Und das in Form des Medikaments Metreleptin, das eigentlich für eine seltene Stoffwechselstörung zugelassen ist. Diese „Zweckentfremdung“ des Medikaments, die man fachsprachlich auch „Off-Label-Use“ nennt, führte zu überraschend positiven Resultaten.
„Der Effekt übertraf unsere kühnsten Erwartungen“, sagt Prof. Hebebrand, Ärztlicher Leiter der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am LVR-Klinikum in Essen. Schon nach zwei bis drei Tagen habe sich die Stimmung der depressiven Patientinnen deutlich aufgehellt. Zudem verringerte sich ihr Bewegungsdrang, sie konnten sich besser konzentrieren und hätten wieder mehr Interesse an ihrem Umfeld gezeigt und sozialer interagiert. Sogar das essstörungsspezifische Gedankenkarussell wurde durch die Gabe von Leptin gemildert. Eine der Studienteilnehmerinnen wird mit folgenden Worten zitiert: „Ich habe das Gefühl, Urlaub von meiner Essstörung zu haben.“
Mehr dazu kann man in der aktuellen Ausgabe der Fachpublikation „Translational Psychiatry“ nachlesen.
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Größere Folgestudien sind noch nötig
Doch auch wenn die ersten Ergebnisse vielversprechend sind, wird es noch dauern, bis Metreleptin – oder ein anderes Medikament mit Leptin – standardmäßig zur Therapie von Magersucht eingesetzt werden kann.
„Bevor (…) eine breite Anwendung des Medikaments erwogen wird, müssen die Ergebnisse in kontrollierten Studien abgesichert werden“, betont Prof. Hebebrand.