19. Juli 2023, 17:08 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Es ist eine der schwersten Verletzungen, die sich ein Sportler zuziehen kann – und kommt besonders häufig bei Fußballern und Skifahrern vor: der Kreuzbandriss. Wie der Name schon beschreibt, handelt es sich dabei um einen Riss des (vorderen und/oder hinteren) Kreuzbandes durch Krafteinwirkung. Wer den Schaden nicht vollständig behandelt, riskiert unter Umständen irreparable Spätfolgen. FITBOOK hat mit Experten gesprochen.
Nicht grundlos spricht man beim Kreuzbandriss von einer Albtraumdiagnose. Die Verletzung ist oft auch dann nicht ausgestanden, wenn die Behandlung bereits abgeschlossen ist. FITBOOK erklärt, wie es zu der äußerst schmerzhaften Verletzung kommt, was man unmittelbar danach tun sollte, ob ein Kreuzbandriss immer operiert werden muss, welche Komplikationen möglich sind, wie die Reha abläuft und mit welchen Übungen man präventiv vorbeugen kann.
Übersicht
- Wie es zu einem Kreuzbandriss kommt
- Kreuzband gerissen – was muss man jetzt sofort tun?
- Warum die Verletzung so gefürchtet wird
- Orthopäde erklärt, wie eine Kreuzband-Operation abläuft
- Nach der Operation sollte direkt mit der Reha begonnen werden
- Physiotherapeut über die Reha nach einem Kreuzbandriss: Ab 9. bis 12. Woche leichtes Ausdauertraining
- Muss ein Kreuzbandriss immer operiert werden?
- Mögliche Komplikationen bei einer Kreuzband-Operation
- Übungen, die einem Kreuzbandriss vorbeugen können
- Quellen
Wie es zu einem Kreuzbandriss kommt
Durch ein Verdrehtrauma. „Man verliert die Kontrolle, stürzt und der Fuß ist gefangen, etwa durch eine verdrehte Position auf dem Spielfeld oder in festsitzenden, hohen Skischuhen.“ So schildert Dr. med. Thomas Teichmüller, Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin aus Frankfurt/Main, einen möglichen Hergang. Wenn es nun – durch ein Foul beim Kontaktsport oder die eigene Gewichtsverlagerung beim Sturz – zu einer Krafteinwirkung kommt, ist das Kreuzband schnell gerissen.
Kreuzband gerissen – was muss man jetzt sofort tun?
Direkt im Anschluss an die Verletzung sollte man das betreffende Bein ruhig stellen, idealerweise hochlegen, und mit Eis oder Ähnlichem kühlen. Dann bitte möglichst schnell vom Fachmann untersuchen lassen, der nach einer Kernspintomografie eine Vordiagnose stellen kann. So kann eingesehen werden, ob und gegebenenfalls wo es zu einer Ruptur, also einem Riss, gekommen ist. Mit etwas „Glück“ ist nur eines der Kreuzbänder an-, mit Pech beide komplett gerissen. Und es kann leider noch unangenehmer kommen.
Warum die Verletzung so gefürchtet wird
Vor allem, weil die Verletzung so langwierig ist, weiß Dr. Teichmüller. Es kann Profisportler sehr zurückwerfen, wenn sie sich darauf einstellen müssen, erst viele Monate nach einer Operation und dem Beginn der Therapie wieder voll ins Training einsteigen zu können. „Zudem geht ein Kreuzbandriss oft mit Begleitverletzungen einher“, erklärt der Orthopäde. Er spricht etwa vom „Unhappy Triad“: dem unglücklichen, aber häufigen Fall, dass zusätzlich zum Kreuzband auch das Seitenband reißt und der Innenmeniskus geschädigt ist. Hier komme man ohne einen operativen Eingriff kaum wieder auf die Beine.
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Orthopäde erklärt, wie eine Kreuzband-Operation abläuft
Laut dem Experten kann man das genaue Ausmaß der Verletzung bei der Kernspintomografie nicht immer gut erkennen. Der Patient wird daher, nachdem er in Narkose versetzt wurde, noch einmal genauestens untersucht. Danach beginnt der eigentliche Eingriff. Über einen kleinen Schnitt seitlich der Kniescheibe wird der Arthroskopieschaft samt Trokar (einem in der minimalinvasiven Chirurgie üblichen Instrument, um sich zunächst einen Zugang zu schaffen) in das Gelenk eingebracht. Danach wird der Trokar durch das Arthroskop ausgetauscht und dieses an einer digitalen Chipkamera fixiert. Die Kamera überträgt die Bilder „live“ aus dem Körper auf einen LCD-Monitor. So können die Strukturen innerhalb des Kniegelenks begutachtet und gegebenenfalls mit Fotos festgehalten werden. Für eine bessere Übersichtlichkeit wird Wasser mittels einer Pumpe in das Gelenk geleitet, damit es sich entfaltet.
Mit einem Tasthaken, der über einen weiteren kleinen Schnitt auf der anderen Seite der Kniescheibe in das Gelenk eingebracht wird, können die Kreuzbänder auf Festigkeit untersucht werden. Auch lässt sich so nachvollziehen, ob etwa der Meniskus ebenso abgerissen ist und gegebenenfalls mitoperiert werden muss. Ist der Zustand innerhalb des Gelenks klar, wird das geschädigte Sehnengewebe abgetragen. Nur dessen Stumpf wird auf jeden Fall belassen, „damit der Operateur genau weiß, wo die neue Sehne einzusetzen ist“. Die richtige Stelle auf der korrespondierenden Seite im Gelenk zu erkennen, erfordert laut Dr. Teichmüller jahrelange chirurgische Erfahrung. Die Sehne, von der er spricht, ist körpereigenes Gewebe, das im Zuge des Eingriffs meist aus der Oberschenkelrückseite entnommen wird. Es wird anstelle des geschädigten Kreuzbandes eingesetzt und häufig mit sich selbst auflösenden Schrauben fixiert.
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Nach der Operation sollte direkt mit der Reha begonnen werden
„Dass man direkt mit der Reha beginnt“, betont Andre Scholz, geschäftsführender Physiotherapeut bei Physion in Frankfurt/Main. Bei der Therapie gehe es in erster Linie darum, wieder einen Reiz und Druck in das Gelenk zu bringen. Wichtig sei, dass der Patient schnellstmöglich aufsteht und das operierte Bein dabei teilbelastet – also nicht mit vollem Körpergewicht, aber kontrollierten 20 Kilogramm. Ebenso müsse man in der ersten Phase der Therapie eine Streckung aktiv ansteuern, um die Beweglichkeit zu fördern. Belastungsübungen kommen erst viel später. „Wenn man das Kreuzband überfordert und zu früh belastet, ist es noch nicht ausreichend durchblutet. Man muss etappenweise vorgehen, damit die eingesetzte Sehne sukzessive die Eigenschaften eines echten Kreuzbands erlernen kann.“
Physiotherapeut über die Reha nach einem Kreuzbandriss: Ab 9. bis 12. Woche leichtes Ausdauertraining
Die Therapie erfolgt laut dem Physiotherapeuten in Phasen. Nachdem das Knie in der ersten Woche langsam an das Gefühl einer Teilbelastung herangeführt wurde, kann zwischen Woche zwei und vier mit „isometrischen Kraftübungen“ begonnen werden, „passiven und aktiven, leichten Übungen zur Verbesserung der Beweglichkeit“, so Scholz. Ab der fünften Woche gelte es, das Bewegungsausmaß zu steigern und koordinative Übungen in die Reha zu integrieren. Zwischen der neunten und zwölften Woche ist der Patient in der Regel bereit für komplexere Bewegungsabläufe und leichtes Ausdauertraining. „Erst ab dem fünften oder sechsten Monat können spezifisches Training und Kontaktsport wieder aufgenommen werden.“
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Muss ein Kreuzbandriss immer operiert werden?
Nein. Das Nichtoperieren bedeutet allerdings auch den Abschied des entsprechenden Bandapparats, wie Dr. Teichmüller erklärt: „Bei Erwachsenen heilt das Kreuzband nicht wieder ein.“ Ein Problem sei das nicht unbedingt; laut dem Experten leben viele Menschen ohne Kreuzband, was sich weder im Alltag noch beim Joggen oder Fahrradfahren bemerkbar machen müsse. Anders verhalte es sich bei Kontaktsportarten und komplexeren Bewegungsabläufen, die ohne Kreuzband nicht ausgeführt werden können. Generell ist der Unfallchirurg ein großer Befürworter des Eingriffs, den er im Rotes-Kreuz-Krankenhaus in Frankfurt/Main regelmäßig durchführt. Er lohne sich nicht nur für aktive Profi-Athleten, sondern auch bei älteren sowie weniger sportlich aktiven Menschen.
Meist empfehle es sich, gleich zu operieren. Viele Kreuzbandriss-Patienten setzten jedoch monatelang auf die konventionelle Physiotherapie, um dann doch zu merken, dass der Eingriff die bessere Entscheidung ist. „So haben sie aber leider unnötig viel Zeit verloren“, mahnt der Orthopäde.
Meine Erfahrung von 3 Kreuzbandrissen
„„Leider hat auch mich in meiner Ski-Profi-Karriere die häufigste Verletzung in dieser spannenden, jedoch riskanten Sportart ereilt - der Kreuzbandriss. Jedoch nicht nur einmal, sondern ganze dreimal. Im linken und rechten Knie - also quasi fair verteilt. Die Ursachen waren unterschiedlich. Das erste Kreuzband verabschiedete sich nach einem Sturz bei einem Super-G-Rennen in Alpe d'Huez, als ich ungebremst in eine Schutzmatten-Wand vor einem Felsen krachte. Ich fuhr noch auf der Piste ab, hatte jedoch ein wenig Schmerzen. Als ich die Ski abschnallte und meine Knie bei einem Schritt im weichen Schnee nach hinten durchschlug, war klar - da ist etwas kaputt. Wenige Tage später lag ich schon auf dem OP-Tisch. Damals entschied man sich für die 'Healing Response'-Methode des US-Kniespezialisten Richard Steadman. Eigentlich verspricht der minimal-invasive Eingriff eine kürzere Heilungsdauer, da keine Plastik als Kreuzband-Ersatz eingesetzt wird, sondern das ursprüngliche Band durch Stiche und das erneute Ansetzen am Knochen zur Selbstheilung angeregt wird. Das klappte auch zunächst super; nach fünf Monaten Reha- und Konditionstraining stand ich wieder beschwerdefrei auf Ski und nahm an Training und Wettkämpfen teil. Leider hat sich im Laufe der Jahre erst herausgestellt, dass diese OP-Methode in extremen Sportarten auf Dauer nicht genug Stabilität bietet. Und so riss auch mir - über mehrere Monate unbemerkt, da das Knie gut stabilisiert war - das gleiche Kreuzband erneut. Aufgefallen ist das erst, als ich mir einen kleineren Meniskusschaden zuzog, der arthroskopisch behandelt werden musste. Ich wechselte den Arzt und bekam eine Plastik aus der Semitendinosus-Sehne aus meinem Oberschenkel eingesetzt. Das machte anfangs Probleme beim Beugen, hat sich im Nachhinein jedoch als sehr stabil erwiesen. Ich bin immer noch sehr zufrieden damit. Aber auch mein anderes Knie blieb, wie erwähnt, nicht verschont. Auf den Tag genau zehn Jahre nach meinem ersten Kreuzbandriss - inzwischen war ich zum Skicross gewechselt - überwand ich bei einem Weltcup-Rennen in Südtirol zu schnell einen Sprung, sprang zu weit ins Flache und stauchte nach hinten in die Hocke. Ich fuhr trotzdem weiter, in Führung liegend, bis der Schmerz schließlich so groß wurde, dass ich das Knie nicht mehr belasten konnte. Mit dem Ski-Doo ging es nach unten, zur Kernspin-Untersuchung ins Unfallkrankenhaus, aber ich wusste bereits vorher, dass es wieder das Kreuzband war. Auch hier entschied ich mich mit meinem Arzt für eine Semitendinosus-Plastik. Knapp zwei Wochen nach der OP startete die Reha, die ich als Profi natürlich umfassender und mit direktem Anschluss des sportartspezifischen Trainings angehen konnte. Auch hier war ich nach einem halben Jahr wieder voll einsatzfähig, was das Skitraining anging. Körperlich jedenfalls - für mich kann ich sagen, dass die mentale Genesung viel schwieriger ist, das Knie wieder als verlässlichen Körperteil zu betrachten und ohne Handbremse zu fahren. Zusammenfassend möchte ich allen, die ebenfalls einen Kreuzbandriss erlitten haben, Mut machen: Ich kann heute wirklich alles sportlich machen, was ich machen möchte, sogar einen Marathon laufen. Okay, ich hatte bei meinen Verletzungen auch Glück, dass „nur“ das vordere Kreuzband betroffen war und der Knorpel und andere Bänder im Knie weitgehend unbeschadet blieben. Sonst sähe das evtl. auch anders aus. Es ist wichtig, sich einen Spezialisten zu suchen, dem man vertraut und der versucht, die beste OP-Methode für die individuellen Voraussetzungen zu finden. Nach der OP sollte man sich umgehend in eine Reha begeben und konsequent an der Wiederherstellung der Funktion arbeiten, auch wenn es anfangs nur in kleinen Schritten vorangeht oder streckenweise gar nicht. Ich musste nach solchen Verletzungen und Operationen immer wieder staunen, was für ein Wunderwerk der Körper ist, dass er sich von so etwas so schnell erholen kann, wenn man ihn richtig pflegt.““– Alexandra Grauvogl, Redaktionsleiterin FITBOOK
Mögliche Komplikationen bei einer Kreuzband-Operation
„Die Kreuzbandchirurgie hat in den vergangenen sieben, acht Jahren große Fortschritte gemacht, es werden in 95 Prozent der Fälle sehr gute Ergebnisse erzielt“, versichert Dr. Teichmüller. Natürlich sei es wichtig, sich in fähige Hände zu begeben. Ein weniger erfahrener Chirurg könnte womöglich ein Implantat von der falschen Größe einsetzen, was zu mechanischen Störungen führen könne, oder es falsch platzieren. Auch gebe es – in sehr seltenen Fällen – Abstoßungsreaktionen auf das neue Gewebe.
Die Reha nach dem Eingriff zu vernachlässigen oder vorzeitig zu beenden, sei in jedem Fall die ungünstigste Entscheidung, die sich sehr wahrscheinlich mit Arthrose rächt. Ein paar Monate zum Physiotherapeuten zu gehen vs. bis ins hohe Alter unter schmerzendem Gelenkverschleiß zu leiden, stehe in keinem Verhältnis.
Übungen, die einem Kreuzbandriss vorbeugen können
Neuere Studien zeigen, dass durch gezielte Prävention ein Großteil der Kreuzbandrisse vermieden werden könne. Darauf macht Professor Rüdiger von Eisenhart-Rothe, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) aufmerksam. Um schwere Knieverletzungen zu vermeiden, sei ein neuromuskuläres Training förderlich – also eine Mischung aus Kraft, Schnellkraft, Balance sowie Koordination.
Die Deutsche Kniegesellschaft hat dafür spezielle Übungen im Präventionsprogramm „Stop-X“ online zusammengestellt1. Dabei zeigen kurze Videos Anleitungen für über 30 Übungen, darunter etwa Ausfallschritt mit Rotation oder mit seitlichem Zug, Kniebeugen auf einem Wackelbrett oder Wurf mit Rotation. Auf der Internetseite gibt es auch Anregungen für Reha-Übungen2. Idealerweise ergänzen die präventiven Einheiten das gezielte Training für eine spezielle Sportart sowie das reguläre Aufwärmtraining. Wer die Übungen regelmäßig ins Training integriert, könne das Verletzungsrisiko um bis zu 35 Prozent reduzieren, so Prof. Dr. med. Rüdiger von Eisenhart-Rothe, Direktor der Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum rechts der Isar der TU München und Vorstand der Deutschen Kniegesellschaft.
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Quellen
- 1. Deutsche Kniegesellschaft: Trainingsübungen für Prävention (aufgerufen am 19.07.2023)
- 2. Deutsche Kniegesellschaft: Trainingsübungen für Rehabilitation (aufgerufen am 19.07.2023)