16. Oktober 2020, 5:17 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Bei manchen Kindern sind es nur Verfärbungen, bei anderen zerbröseln die Zähne regelrecht im Mund. Fast immer reagieren die Zähne extrem schmerzhaft auf Berührung und Temperatur. Die Ursachen für Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH), einer Störung der Mineralisation des Zahnschmelzes, sind noch immer nicht bekannt. Eltern können trotzdem etwas gegen die auch Kreidezähne genannte Krankheit tun.
Die Zähne der kleinen Patienten sind gelb oder bräunlich verfärbt. Manche sind so porös, dass sie zerbröseln. Die Kinder, die zu Katrin Bekes in die Spezialambulanz kommen, haben fast immer starke Zahnschmerzen und Angstzustände – sie haben Kreidezähne
„Wir haben Kinder, denen allein der thermische Reiz eines kalten Instruments oder des wärmenden Lichts der OP-Lampe schmerzt“, sagt die Professorin für Kinderzahnheilkunde an der Medizinische Universität Wien. Viele wollen sich erst gar nicht in den Mund schauen lassen.
Verfärbungen und Überempfindlichkeit als Zeichen für Kreidezähne
Die Kinder, die Katrin Bekes behandelt, leiden unter MIH – kurz für Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation. Bei diesen Kindern ist die Mineralisation des Zahnschmelzes der ersten bleibenden Backenzähne (Molaren) und zum Teil der Schneidezähne (Inzisiven) gestört. In schwächeren Fällen sind die Zähne der Kinder nur verfärbt, in schweren Fällen ist der Zahnschmelz stark geschwächt und bricht ein. Deshalb spricht man allgemein auch von Kreidezähnen. Die betroffenen Kinder reagieren an den Zähnen extrem empfindlich auf Berührungen und Temperatur.
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1987 haben schwedische Wissenschaftler die Krankheit erstmals beschrieben. Seitdem scheint sich diese auszubreiten. „Etwa 14 Prozent sind weltweit betroffen“, sagt Bekes, die auch Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde ist. Die Zahlen schwankten aber stark von Studie zu Studie. In Deutschland leiden sogar 28 Prozent der Zwölfjährigen an MIH, wie die 5. Deutsche Mundgesundheitsstudie in der ersten bundesweiten Untersuchung herausfand. Bei dem Großteil davon treten allerdings nur Verfärbungen auf.
MIH-Fälle werden häufiger erkannt
Der Kinderzahnheilkunde-Experte Norbert Krämer vom Universitätsklinikum Gießen hält diese Zahlen für zu hoch, sieht aber auch eine Zunahme der Erkrankungen. „Auch die Schwere der Fälle nimmt zu“, sagt er. Wie Bekes zählt er zu den MIH-Fachleuten, hat diverse Studien zu der Krankheit publiziert und gibt Fortbildungen für Zahnärztinnen und Zahnärzte.
„Der Blick hat sich geschärft“, sagt Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer in Berlin. Heute würden mehr MIH-Fälle erkannt, die man früher für Karies gehalten hätte. „Deshalb streiten sich die Wissenschaftler, ob es sich um eine relative oder absolute Zunahme bei MIH handelt.“
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Viele Kinder haben heutzutage kariesfreie Zähne – auch weil die Eltern auf gründliches Zähneputzen und eine gesunde Ernährung achten. Auf die Bedeutung gesunder Zähne weisen jedes Jahr zahlreichen Veranstaltungen und Aktionen bundesweit hin. In diesem Jahr steht besonders die Ernährung im Mittelpunkt. Dabei geht es unter anderem um die Frage, was den Kinder-Zähnen schadet und was sie stärkt.
Wann entstehen Kreidezähne bei Kindern?
Auf die Entstehung von Kreidezähnen hat die Ernährung allerdings genauso wenig Einfluss wie das Zähneputzen. Die Wiener Expertin Bekes trifft oft auf verzweifelte Eltern, die sich Vorwürfe machen. „Die Eltern müssen wissen, dass sie nichts falsch gemacht haben“, sagt sie. Die Schäden entstehen, wenn sich der Zahnschmelz bildet, die Zähne der Kinder also noch im Kiefer liegen. Bei den ersten bleibenden Backenzähnen sei das in der Hauptphase zwischen dem ersten und dem dritten Lebensjahr, erläutert Bekes.
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Auf Röntgenbildern lasse sich der geschwächte Zahnschmelz nicht erkennen. Deshalb würden die Schäden erst Jahre später sichtbar, wenn die Zähne durchbrechen. Das mache die Forschung nach der Ursache auch so schwierig, betont Bekes. „Es gibt plausible Erklärungsversuche, aber wir fischen immer noch im Trüben.“
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Ursachen von Kreidezähnen bei Kindern noch ungeklärt
Als Auslöser kommen unter anderem Antibiotika, Infektionskrankheiten, die Ernährung in der Schwangerschaft, Umwelteinflüsse wie Dioxine oder die Chemikalie Bisphenol A (BPA) infrage. „Es gibt immer noch viel Forschungsbedarf“, sagt Krämer. Inzwischen ist bekannt, dass auch andere bleibende Zähne betroffen sein können. Und auch die zweiten Milchbackenzähne können Mineralisierungsstörungen aufweisen – Milchmolaren-Hypomineralisation genannt. Bei diesen Kindern sei die Wahrscheinlichkeit elffach höher, das sie auch unter MIH litten, sagt Krämer.
Doch eben, weil die Ursachen für MIH noch nicht bekannt sind, ist Prävention nicht möglich. Eltern können nach Ansicht von Krämer trotzdem etwas tun: Die Zähne ihrer Kinder genau beobachten und schon früh mit ihnen regelmäßig zum Zahnarzt gehen, damit sie sich daran gewöhnen und später keine Angst haben.