10. Juni 2022, 16:08 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Laut Schätzungen des Robert-Koch-Instituts erkranken allein in Deutschland jährlich rund 59.700 Menschen an Lungenkrebs. Die Krankenhausfälle haben sich in den letzten 20 Jahren stark gehäuft. Etwa 85 Prozent aller Patienten, die an einem Bronchialkarzinom sterben, sind Raucher.
Tabakkonsum ist der größte Risikofaktor, Lungenkrebs zu bekommen. Noch dazu kann Rauchen auch weitere Organe schädigen, z. B. Bauchspeicheldrüse, Blase und Nieren. Etwa 80 bis 90 Prozent der chronischen Atemwegserkrankungen und 25 bis 45 Prozent aller Erkrankungen der Herzkranzgefäße stehen mit Rauchen in Verbindung.1 Dennoch gibt es auch Raucher, die überraschenderweise nicht an Lungenkrebs erkranken. Eine kleine Studie liefert nun den Hinweis, dass ein genetischer Faktor hier eine Rolle spielen könnte.
Übersicht
Entnahme von Lungenzellen mit neuartiger Methode
An der Studie nahmen insgesamt 33 Probanden teil. 14 von ihnen waren Nichtraucher im Alter zwischen 11 und 86 Jahren. Die 19 anderen waren leichte, mäßige oder starke Raucher im Alter von 44 bis 81. Die Wissenschaftler entnahmen Oberflächenzellen aus dem Lungengewebe der Studienteilnehmer und untersuchten diese Proben auf Mutationen. Sie nutzten dafür ein neuartiges Verfahren, das die Analyse von Zellen mit seltenen und zufälligen Mutationen möglich macht.2
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Wie die Forscher betonen, bergen die Zellen in den Bronchien das größte Risiko, im Laufe der Zeit zu mutieren. Grund dafür können genetische Veranlagungen, aber auch Risikofaktoren wie Rauchen sein. „Diese Lungenzellen überleben Jahre, sogar Jahrzehnte, und können daher sowohl mit dem Alter als auch mit dem Rauchen Mutationen anhäufen“, erklärt Dr. Simon Spivack, Co-Seniorautor der Studie. Er ist Professor für Medizin, Epidemiologie, Population Health und Genetik am Albert Einstein College of Medicine in New York sowie Pneumologe. „Von allen Zelltypen der Lunge gehören diese zu den am ehesten krebsartigen.“3
Mutationen verursachen Krebs im Lungengewebe
Durch die neuartige Methode der Einzelzellsequenzierung konnten die Forscher herausfinden, dass sich mit zunehmendem Alter Mutationen in den Lungenzellen von Nichtrauchern ansammelten. In den Lungenzellen von Rauchern konnten sogar noch mehr Mutationen gefunden werden. „Das Experiment bestätigt, dass Rauchen das Lungenkrebsrisiko erhöht, indem es – wie zuvor angenommen – die Entstehung von Mutationen erhöht“, so Dr. Spivack. „Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum so wenige Nichtraucher an Lungenkrebs erkranken, während zehn bis 20 Prozent der lebenslangen Raucher an Lungenkrebs erkranken.“
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Wie in der Studie deutlich wurde, stieg die Zahl der in den Lungenzellen nachgewiesenen Mutationen linear mit der Anzahl der Jahre, in denen pro Tag eine Schachtel Zigaretten geraucht wurde. Damit erhöhte sich vermutlich also auch das Risiko für Lungenkrebs. Erstaunlicherweise stagnierte der Anstieg der Zellmutationen nach 23 Jahren, in denen täglich eine Schachtel Zigaretten geraucht worden war.
Die mögliche Rolle der Gene
Die Zellen in den Lungen der Raucher, die bereits 23 Jahre Tabak konsumiert hatten, schienen im Laufe der Zeit also weniger wahrscheinlich zu mutieren. Dr. Spivack nennt einen möglichen Grund dafür: „Unsere Daten deuten darauf hin, dass diese Personen trotz ihres starken Rauchens möglicherweise so lange überlebt haben, weil sie es geschafft haben, die weitere Anhäufung von Mutationen zu unterdrücken. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass diese Menschen sehr kompetente Systeme zur Reparatur von DNA-Schäden oder zur Entgiftung von Tabakrauch haben.“ Demnach seien die Gene, die für die Reparatur von DNA zuständig sind, bei diesen Leuten aktiver und könnten der Grund dafür sein, dass viele Raucher keinen Lungenkrebs bekommen.
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Einordnung der Studie
Dr. Spivack und sein Team wollen ihre Studienerkenntnis nutzen, um die Fähigkeit der DNA-Reparatur weiterzuerforschen. Außerdem sieht er die Studie als „wichtigen Schritt in Richtung Prävention und Früherkennung des Lungenkrebsrisikos“.
Einschränkend sei aber zu betonen, dass es sich bei der Untersuchung um eine sehr kleine Studie (33 Teilnehmer) handelt. Damit ist fraglich, ob sich die besagte Stagnation der Mutationen auf die Allgemeinheit der Raucher übertragen lassen kann. Ferner kann bei der versuchten Erklärung der Stagnation aktuell nur spekuliert werden. Um Sicherheit zu gelangen, bedarf es also – wie auch die beteiligten Forscher erklären – weiterer Forschung.
Rauchverhalten ändert sich
Das Statistische Bundesamt hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die offenlegt, dass sich das Rauchverhalten der Menschen in den letzten 20 Jahren verändert hat.4 Demnach würden Frauen deutlich häufiger an Lungen- und Bronchialkrebs sterben. Im Zeitraum 2000 bis 2020 hat sich bei Frauen das Risiko an einer raucherspezifischen Erkrankung zu sterben um rund 73 Prozent erhöht (von 23 auf 40 Frauen pro 100.000 Einwohner). Bei Männer ist es insgesamt höher, dennoch hat das Risiko im selben Zeitraum abgenommen. Um rund 6,8 Prozent sank die Zahl der an raucherspezifischen Erkrankungen gestorbenen Männer (von 73 auf 68 Männer pro 100.000 Einwohner). 375 200 Menschen wurden im Jahr 2020 aufgrund von raucherspezifischen Erkrankungen in einer Klinik behandelt. Laut des Statistischen Bundesamts ist das ein Anstieg um 19 Prozent im Vergleich zu 2000.
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Der Pro-Kopf-Zigarettenverbrauch ist von 2000 bis 2021 stark gesunken. Hat zu Beginn des Jahrtausends im Durchschnitt eine Person ab 18 Jahren 2096 Zigaretten pro Jahr geraucht, ist die Zahl im Jahr 2021 auf 1033 Zigaretten gesunken. Prozentual ist das eine Abnahme von rund 77 Prozent. Dementsprechend sank auch der Absatz von Zigaretten auf dem Markt. Hierfür hat sich das Statistische Bundesamt den Zeitraum 1991 bis 2021 angesehen und kam zu der Erkenntnis, dass der Absatz von 146,5 Milliarden Stück auf 71,8 Milliarden Stück zurückging.
Gefahr des Rauchens nicht unterschätzen
Auch wenn die hier vorgestellte Studie spannende Hinweise zu dem Phänomen liefert, dass nicht alle Raucher an Lungenkrebs erkranken, kann man nicht oft genug betonen, wie gesundheitsschädlich das Qualmen ist. Weitere Informationen finden Sie bei rauchfrei!, einem Informationsportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Forschung Warum sich ein Rauchstopp immer lohnt
Studie Forscher identifizieren Möglichkeit, Raucher vor tödlichem Lungenkrebs zu schützen
Bronchialkarzinom Ursachen und Symptome von Lungenkrebs
Quellen
- 1. Deutsche Krebshilfe. Lungenkrebs. (aufgerufen am 27.5.22)
- 2. Huang, Z., Sun, S., Lee, M. et al. (2022). Single-cell analysis of somatic mutations in human bronchial epithelial cells in relation to aging and smoking. Nature Genetics.
- 3. Albert Einstein College of Medicine. (2022). Study Suggests Why Most Smokers Don’t Get Lung Cancer. (aufgerufen am 27.5.22)
- 4. Statistisches Bundesamt. Frauen sterben deutlich häufiger an Lungen- und Bronchialkrebs als vor 20 Jahren. (aufgerufen am 09.06.2022)