1. April 2019, 7:03 Uhr | Lesezeit: 14 Minuten
Für die Serie „Das Geheimnis der 100-Jährigen” hat FITBOOK Menschen getroffen, die es geschafft haben, gesund so alt zu werden. Aber was sagt die Wissenschaft? Woran liegt es, wenn Menschen das durchschnittliche Maximalalter von 80 Jahren mit Schwung überschreiten? Wir haben mit Deutschlands führendem Altersforscher über eben jene Fragen besprochen, Studien gesichtet und kennen nun die ultimative Formel, die uns alle fit und gesund alt werden lassen könnte.
Wie lange unser Körper und Geist gesund bleiben, hängt nur zu zwischen zehn und 30 Prozent von den Genen ab. Heißt: Durch die richtige Lebensführung können wir maßgeblich beeinflussen, wie alt wir werden. Was wir dafür tun müssen, weiß der Bremer Altersforscher Sven Voelpel.
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Voelpel ist Professor für Betriebswirtschaft an der Jacobs University Bremen und hat es mit seinem Buch, „Entscheide selbst, wie alt du bist“ (Rowohlt) ist die Bestseller-Listen geschafft. Als Altersforscher berät er Firmen und Organisationen mit dem Ziel eines Wissenstransfers von der Wissenschaft in die Gesellschaft. „Wissen wirkt Wunder“, betont er im Gespräch mit FITBOOK, und erklärt auch genauer, was das bedeutet.
Man kann seine Gene beeinflussen
Der Mensch ist eine „hoch effiziente Anpassungsmaschine“, sagt der Experte. So verhalte es sich auch mit den Genen; beispielsweise durch einen Ortswechsel. „Eine Afrikanerin, die in den Norden zieht, wo es kühler ist als in ihrer Heimat, wird ihren Kindern andere Gene mitgeben, als wenn sie weiter in Afrika gelebt hätte.“ Und auch durch Sport kann man sein Erbmaterial verändern. Der wissenschaftliche Hintergrund: Intensive Bewegung vermag es, Anlagerungen von den DNA der Muskelzellen zu lösen.
Bestimmte Gesetze der Natur sollen sich tatsächlich nicht ändern lassen. „Beispielsweise haben wir Menschen zwei Arme und zwei Beine, und auch die maximale Lebensspanne ist gewissermaßen determiniert.“ So sei noch niemand älter geworden als 122 – „was aber nicht heißt, dass man nicht älter werden könnte!“ Bedeutet: Der Körper kann sich auch an den Wunsch anpassen, lange gesund zu bleiben und alt zu werden. Auch, wenn alle Körperfunktionen von Natur aus mit der Zeit zurückgehen – wie schnell das passiert, da hat der Mensch ein entscheidendes Wörtchen mitzureden.
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Laut Altersforscher Voelpel kommt es auf drei maßgebliche Dinge an, wenn man gesund den 100. Geburtstag feiern will…
1. Die richtige Ernährung
Die gesündeste Kost, um sehr alt zu werden, sei die vegane Kost. Prof. Voelpel erklärt uns, dass sich durch die Zufuhr tierischer Produkte Krankheiten und Entzündungen im Körper verschlimmern, „pflanzliche Produkte hingegen verbessern die Krankheiten“. Ein simples Naturgesetz, das uns auch ein Blick in die Tierwelt zeigt.
Voelpel berichtet von Affen, die bei Krankheit bewusst zu Kräutern und Heilpflanzen greifen und ansonsten kaum etwas zu sich nehmen, bis sie wieder gesund sind. Offenbar wissen sie: Kräuter wie Thymian und Basilikum wirken antiseptisch. Und so verhält es sich auch beim Menschen. „Ein paar Blättchen zu kauen, entspricht einem natürlichen Antibiotikum“, erklärt Voelpel – ebenso Aroniabeeren, die mehr Vitamin C und Antioxdantien enthalten als Orangen. „Wenn man 100 Milliliter Aroniabeerensaft zu jedem Essen trinkt, haben Bakterien keine Chance.“ Aroniabeerensaft gibt es beispielsweise im Reformhaus.
Veganismus – viel besser als gedacht?
Dass eine vegane Ernährung zu Mangelerscheinungen führen kann, will der Experte nicht bestätigen. Beispielsweise Eiweiß stecke nicht nur in tierischen Lebensmitteln, sondern auch in manchen Gemüsesorten (beispielsweise in Spinat) und Samen (in Chiasamen sogar zu rund 17 Prozent). Aber ohnehin: „Wenn ich mir keine Aminosäuren durch die Ernährung zuführe, bildet mein Darm sie selbst“, erklärt er uns. Das einzige, was wir nicht produzieren können, sei das Vitamin B 12. Dies stecke – neben bekanntermaßen Fleisch und Fisch – zu gewissen Mengen auch in bestimmten Algen. Man kann es sich aber auch über Nahrungsergänzungsmittel zuführen, sollte sich tatsächlich ein Mangel bemerkbar machen.
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Grundsätzlich könne der Körper schon sehr viel. In diesem Sinne wäre eigentlich auch der Verzehr von Rohkost zu empfehlen – wenn nicht manche Nährstoffe besser aufgenommen werden sollen, wenn sie vorgekocht sind. In gewisser Weise sei das „‚Outsourcing‘ für den Darm, also quasi ‚Vorverdauung‘“, erklärt der Experte. „Normalerweise würde sich auch die Vitamin-D-Produktion von selbst regulieren – zumindest, wenn wir nicht in Häusern leben würden.“
Kalorienreduktion und intermittierendes Fasten
In puncto Essen gelte: weniger ist mehr. Der Altersforscher bestätigt uns, was FITBOOK bereits berichtete: Der Mensch ist nicht an konstante Mahlzeiten gewöhnt. Intermittierendes Fasten wird von immer mehr Bereichen der Wissenschaft als Maßnahme für ein gesundes und langes Leben gehandelt. Manche Wissenschaftler glauben sogar, dass man durch Intervallfasten auch im Alter neue Hirnzellen produzieren kann.
Intermittierendes Fasten
„Intermittierendes Fasten, oft auch Intervallfasten genannt, bedeutet, dass nur während acht Stunden des Tages Kalorien aufgenommen werden und man sich die restlichen 16 Stunden auf die Zufuhr kalorienfreier Flüssigkeiten beschränkt. Prof. Voelpel erklärt uns, dass man sich an das Intervallfasten sehr schnell gewöhnen kann. Zumal man sieben bis acht der essfreien Stunden in die Schlafenszeit fallen sollten. „Man hat sogar weniger Hunger“, weiß er aus Erfahrung. „Hunger wird viel eher durch Insulinausschüttung verursacht, wenn man zwischendurch beispielsweise etwas gegessen hat.“ Wer nicht ständig von außen Energie zuführt, ermögliche einen ketogenen Stoffwechsel. Hier bezieht der Körper die Kraft aus den Ketonkörpern im Blut. “–
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Essen sei eine Belastung für den Körper. Er verbrauche die meiste Energie für die Verarbeitung von Nahrung – entsprechend seien essensfreie Phasen für ihn fast schon ein „Urlaub“, im Zuge dessen in den Zellen Erneuerungs- und Heilungsprozesse angeregt werden. „Aus dem Grund wollen die meisten, wenn sie krank sind, intuitiv nichts. Ihre Umwelt glaubt nur immer, ‚du musst gesund werden, iss Hühnersuppe‘.“
Haben wir unser gesundes Bauchgefühl verloren?
Stichwort intuitiv. Neben den vielen Ernährungsbewussten gibt es auch immer mehr „Intuitive Esser“, die glauben, sich durch die Impulse ihres Körpers genau die Nährstoffe zuzuführen, die ihr Körper gerade braucht. Sie essen also mit dem bestem Gewissen genau das, worauf sie gerade Lust haben – und das sind im Zwiefelsfall auch Fast Food und industriell gefertigte Süßigkeiten. Wie kann es sein, dass Instinkt und Intuition in diese anscheinend ungesunde Richtung gehen? „Weil die meisten hier kein echtes intuitives Gefühl haben“, sagt uns Prof. Voelpel. Wir seien von dem, was unsere Mütter gegessen und uns vorgesetzt haben, geprägt; und nicht zuletzt vom Nahrungsangebot.
Prof. Voelpel erzählt von den „Blue Zones“, also Orten, deren Bewohner besonders alt werden. Etwa Okinawa in Japan. Das liege an verschiedenen Dingen, unter anderem an ihren Ernährungsgewohnheiten. Hier sei der Speiseplan eher beschränkt: Man isst viel Obst, Gemüse und frischen Fisch. Insgesamt kommen hier weniger Kalorien zusammen als beispielsweise bei uns. „Ich fragte mal jemanden in Okinawa, warum sie so essen. Also ob es ihnen schmeckt oder ob sie es nur tun, weil es gesund ist. Die Antwort: ‚Warum ist das ein Unterschied?‘“
Bei uns sei das etwas anders. Wir hätten das Gefühl für gesundes Essen, das uns guttut, verloren. Das liege daran, dass man hier Schokolade aus dem Supermarkt isst, die viel mehr Zucker als Kakao enthalte. „Wer von Haus aus rohe Schokolade kennen würde, dem würde das industrielle Zeug nicht schmecken.“ Prof. Voelpel würde etwa lieber eine Mango essen als einen extrem übersalzenen Burger. Das sei wohl nicht zuletzt auch Gewöhnungssache.
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2. Das richtige Maß an Bewegung
Am gesündesten sei die Art und Intensität an Bewegung, die man in den Alltag integrieren kann – davon ist der Altersforscher überzeugt. Von tatsächlichem Sport würde er eher abraten, geschweige denn von Leistungssport. „Dabei kommt es zu einer einseitigen Belastung, die den Alterungsprozess sogar weiter antreiben kann“, sagt er.
Natürlich gebe es Ausnahmen. So sei es beispielsweise „fantastisch“, wenn jemand Yoga praktiziert – aufgrund der Eigenkraftübungen und weil Flexibilität trainiert wird. Das einzige Problem („das ist aber schon Kritik auf hohem Niveau“): Yoga bestehe nur aus drückenden Bewegungen, wodurch die Muskeln ebenfalls einseitig belastet würden. NOCH besser seien „Push and Pull“-Bewegungsabläufe mit einem ausgewogenen Verhältnis aus Druck und Zug.
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Der 45-Jährige selbst befolgt seinen eigenen Rat und verzichtet gänzlich auf Workouts. Dafür gehe er viel zu Fuß, nimmt die Treppen und verzichtet aufs Autofahren, wenn es die Möglichkeit öffentlicher Verkehrsmittel gibt. „Der Mensch ist ein Bewegungstier“, sagt er uns. Dadurch würde der gesamte Körper durchblutet – und auch das Hirn. Vor allem deshalb sei der Ruhestand die Zeit, in der die geistige Leistung typischerweise am meisten nachlasse, da im Leben der Rentner nun die Bewegung und Interaktion mit anderen Menschen fehle.
Tatsächlich berichtete FITBOOK kürzlich über eine deutsche Studie zu dem Thema, bei der nachgewiesen wurde, dass sich sowohl ein gesundes Maß an Bewegung als auch ein reges Sozialleben positiv auf die Hirnstruktur auswirken, genauer gesagt auf die graue Substanz in bestimmten Hirnregionen. Bei Menschen, die mehr Sport trieben und häufiger mit anderen Menschen interagierten, soll sich das Hirnvolumen nicht so stark reduzieren wie bei den weniger aktiven.
Mit „Hirntraining“ ist nicht Sudoku gemeint
Regelmäßiges Gehen gehen sei viel effektiver als Gehirnjogging. Das sei schon in etlichen Studien nachgewiesen worden, auch in einer unter seiner Leitung. Bei Probanden, die sich regelmäßig bewegt haben, seien sogar Intelligenzsteigerungen messbar – ob nun beim Nordic Walking oder Tai Chi, was auch für die Koordinationsfunktion günstig sei. „Die Art der physischen Aktivität beeinflusst die Art, wie wir denken“, betont er.
3. Die richtige Denkweise
Der Forscher betont, wie wichtig die Art der Gedanken für den Alterungsprozess sind. Das sei zunächst gar nicht so einfach: Der Mensch habe aus Evolutionsgründen ein „katastrophisches“ Gehirn. „Wir sind von Natur aus negativ eingestellt und auf Alarmbereitschaft. Es drohte schließlich jederzeit ein Angriff durch einen Säbelzahntiger.“ Mit dem entsprechenden Bewusstsein könne man sich das aber abtrainieren: durch positives Denken. Das kann man auch gemeinsam üben. Seine Kinder fragt Voelpel jeden Abend vor dem Schlafengehen, was die fünf schönsten Dinge waren, die sie den Tag über erlebt haben. Das soll sich nicht zuletzt in einer verbesserten Schlafqualität bemerkbar machen, und entsprechend fit ist man am nächsten Tag.
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„Das beste und einfachste Gefühl, das man haben kann, ist Dankbarkeit. Dass man dankbar ist, gesund zu sein, Kinder zu haben, dass die Sonne scheint … Selbst die simpelsten Themen sind gut, da sie funktionieren“, weiß der Wissenschaftler. Und wie? Indem sie die Produktion von Glückshormonen anstoßen und das Stresslevel senken.
Positives Denken kann ins Positive lenken
Der Fachmann spricht von selbsterfüllender Prophezeiung. Das funktioniere im Negativen und auch im Positiven. Wer davon überzeugt ist, sein Gedächtnis funktioniere gut, der könne sich Dinge auch besser einprägen. Und auch auf andere Körperfunktionen soll sich eine positive Einstellung ebenso auswirken – das belegen bereits zahlreiche Studien.
Beispielsweise ist Dr. Howard S. Friedman von der University of California at Riverside davon überzeugt, „dass Menschen, deren Psyche gesünder ist, auch länger leben“. Das erklärte er schon vor einigen Jahren im Interview mit der „New York Times“ als Schlussfolgerung einer Studie mit 660 Probanden über 50. Diese hatten zu Beginn der Studie im Jahr 1975 persönliche Fragen beantwortet, die Rückschlüsse auf ihre Lebenseinstellung zuließen. Bei der Auswertung im Jahr 1998 zeigte sich, dass die Optimisten von ihnen die Pessimisten im Schnitt um 7,5 Jahre überlebt hatten.
Die Macht der Einbildung
Interessant ist im Zusammenhang mit positivem Denken auch eine neuere Erkenntnis der Forschung: Dass nur etwa sechs Prozent des Effekts von Schmerzmitteln nachgewiesenermaßen mit dem Wirkstoff zusammenhängen. „Zu zwischen 35 und 100 Prozent liegt es am Placeboeffekt, wenn ein Schmerzmittel wirkt“, weiß Prof. Voelpel. Der Placebo-Effekt sei ein reeller Effekt, weil er tatsächlich bestimmte Botenstoffe provoziert, die etwas gegen Schmerzen und Unwohlsein bewirken. „Wenn ich Kopfschmerzen habe kann es also genügen, mir einzureden, dass ich etwas dagegen eingenommen habe.“
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Weitere Faktoren, die die Lebenszeit verkürzen oder verlängern
Neben Ernährung, Bewegung und Einstellung sei es natürlich sinnvoll, auch auf andere Dinge zu achten. Etwa ausreichenden Schlaf. „Der Schlaf ist extrem wichtig für die Regeneration“, sagt uns Prof. Voelpel. „Wir sind die einzigen Lebewesen, die so dumm sind und es schaffen, unseren Schlaf zu reduzieren.“ Schuld daran seien die ständige Berieselung durch Fernsehen, Computer und Handys. Der Fachmann rät zu regelmäßigen Zubettgehzeiten, damit der Körper auf den Schlaf eingestellt ist – und auf diese Weise auch auf durchschnittliche sieben Stunden pro Nacht kommt. „Wer dauerhaft weniger als sieben Stunden schläft, reduziert seine Immunabwehr gegen eine Krebserkrankung um 70 Prozent“, warnt er.
Dass Zigaretten- und Alkoholkonsum nicht zu den gesündesten Hobbys gehören, ist bekannt. Prof. Voelpel kann die Auswirkungen in erschreckenden Zahlen ausdrücken: Bis zu 18 Jahre Lebenszeit gehen aufgrund der Laster verloren. Auf der anderen Seite sollen sich durch regelmäßige Bewegung locker 14 Jahre dazu gewinnen lassen. Bereits der Laie merkt also: Schlechte Angewohnheiten auf der einen Seite können durch gute auf der anderen Seite in ihrer Tragweite etwas gelindert werden.
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Nicht vergessen, zu leben!
Übrigens: Obwohl Prof. Voelpel es besser weiß, isst er ab und zu ein Stück Fleisch. „Meine Frau ist Argentinierin“, so die einleuchtende Erklärung, die allen rationalen Gründe gegen tierische Produkten offenbar überwiegt. Auf der Pro-Argumente-Seite für Fleischkonsum stehen Voelpels Meinung nach Geschmack und Genuss – nicht nur, sondern immerhin. Also bitte den Spaß nicht vergessen und das mit dem Älterwerden auch mal etwas lockerer und mit einem Lächeln sehen. Oder wußten Sie gar nicht, dass nicht zuletzt Humor das Leben verlängert …?